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Inselzell-Verpflanzung bei Diabetes

Die günstigste und eleganteste Therapie beim sogenannten juvenilen – insulinabhängigen – Diabetes mellitus wäre, das funktionsuntüchtige Gewebe der Bauchspeicheldrüse zu ersetzen, das normalerweise das Hormon Insulin bildet. Neuerdings zeichnen sich dafür Techniken ab, die eine dauerhafte Kontrolle des Immunsystems erübrigen.

Noch vor 75 Jahren gab es für Kinder und Jugendliche, die aufgrund einer erblichen Veranlagung zuckerkrank wurden, keine medizinische Hilfe. Die Diagnose Diabetes mellitus dieses Typs bedeutete, daß der bislang gesunde junge Mensch rasch körperlich verfiel und binnen Wochen oder Monaten starb.

Die Ursache kannte man seit Anfang dieses Jahrhunderts: Charakteristische Gewebeinseln in der Bauchspeicheldrüse arbeiten nicht mehr regulär, und der Zuckerhaushalt ist deshalb schwer gestört. Normalerweise sezernieren diese Langerhans-Inseln – benannt nach dem Berliner Pathologen Paul Langerhans (1847 bis 1888), der sie 1869 entdeckt hatte – ein lebenswichtiges Hormon, ein erst 1905 eingeführter Begriff. Seit 1909 heißt es Insulin, wurde 1921 von dem kanadischen Mediziner Frederick G. Banting und seinem Studenten Charles H. Best in wirksamer Form isoliert (Banting teilte seinen Nobelpreis von 1923 freiwillig mit Best), 1926 von dem amerikanischen Pharmakologen John Jacob Abel rein dargestellt und von dem Aachener Chemiker Helmut Zahn 1963 erstmals synthetisiert. Es bewirkt, daß die Körperzellen den Brennstoff Traubenzucker (Glucose) aus dem Blut aufnehmen.

Den jugendlichen Diabetikern mangelte es offensichtlich an Insulin, so daß sie geradezu verhungerten, obwohl das Blut mit Zucker überschwemmt war. Heute nennt man diese Form des Diabetes mellitus nach der altersunabhängigen Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation Typ I – im Gegensatz zum insulin-unempfindlichen Typ II, dem sogenannten Alterszucker. Dessen Verlauf ist gewöhnlich milder, weil die Bauchspeicheldrüse oft zumindest noch ein wenig Insulin bildet, auf das die Körperzellen aber teilweise schlecht ansprechen.

Erst als es nach Bantings und Bests Erfolg gelang, das Hormon in größeren Mengen aus Tierorganen zu gewinnen, konnte man Patienten mit juvenilem Diabetes retten. Doch daß tägliche Insulinspritzen über viele Jahre eine normale Gesundheit und Lebensqualität gewähren, wie man anfangs hoffte, erwies sich als Fehleinschätzung: Bei vielen Kranken entstehen allmählich typische Gefäßschäden. Wenn davon die feinen Kapillaren der Augennetzhaut oder der Nieren betroffen sind, können die Menschen schließlich erblinden, oder ihre Nieren versagen. Schleichende arteriosklerotische Veränderungen größerer Gefäße wie auch eine Schädigung der Nerven bewirken unter anderem nicht selten schwe- re Durchblutungsstörungen verbunden mit Taubheitsgefühl und Schmerzen in den Beinen.

Der Grund für solche Spätfolgen ist, wie sich herausstellte, daß der Blutzuckerspiegel trotz sorgsamer Insulingabe stärker schwankt, als den betreffenden Geweben zuträglich ist (auch wenn es meist gelingt, den Patienten vor einem hyperglykämischen Koma zu bewahren). So genau wie eine gesunde Bauchspeicheldrüse, die auf jede geringe Veränderung reagiert, vermag man ihn mit der herkömmlichen Insulinbehandlung nicht einzuregulieren. (Nicht nur zu wenig, auch zu viel Insulin ist schädlich: Ein zu geringer Blutzuckergehalt – Hypoglykämie – zeigt sich unter anderem in Heißhunger, Schwitzen, Zittern, Verwirrung und schließlich Ohnmacht.)

Die beste Langzeittherapie wäre somit eine, die den Blutzuckerspiegel von Anfang an und permanent im normalen Bereich hält. Idealerweise müßte man den Patienten gesunde Langerhans-Inseln einpflanzen, die auf jede Schwankung des inneren Milieus reagieren. Bei geeigneter Technik würde auch eine einzige Implantation genügen. Im Ursprungsorganismus zumindest überleben diese Gewebe jahrelang und vermögen absterbende Zellen aus noch nicht ausdifferenzierten zu regenerieren.

So einfach dies klingt, so schwierig ist es durchzuführen. Nachdem aber mittlerweile mehrere Verfahren an ersten Patienten erprobt wurden, darf man optimistisch sein, daß innerhalb der nächsten fünf Jahre eine solche Behandlung prinzipiell möglich und die Inselzell-Transplantation bald darauf Routine sein wird.


Gewinnung von Langerhans-Inseln

In meinem Laboratorium an der Washington-Universität in Saint Louis (Missouri) wird daran seit rund 25 Jahren intensiv geforscht. Die meisten frühen Erkenntnisse stammen von uns. Anfangs wollten wir noch gar nicht eine Therapie entwickeln, sondern einfach wissen, wie die insulinproduzierenden B-Zellen (früher Beta-Zellen genannt) funktionieren. Außerdem enthalten die Langerhans-Inseln noch A-Zellen und D-Zellen, deren Produkte unter anderem ebenfalls an der Regulation des Blutzuckergehalts mitwirken.

Als erstes mußten wir die Inseln überhaupt erst einmal aus Bauchspeicheldrüsen von Versuchstieren isolieren. Sie machen aber nur etwa zwei Gewichtsprozent aus und sind darin überdies recht verstreut – das übrige Drüsengewebe produziert Verdauungsenzyme.

Im Jahre 1967 gelang es uns, Inseln von Ratten zu gewinnen (Bild 3). Verständlicherweise waren wir neugierig, ob die Isolate in diabetischen Tieren regulär arbeiten würden.

Diese Experimente führten wir 1972 mit Walter F. Ballinger und David W. Scharp aus der Chirurgischen Abteilung unserer Universität durch. Wir spritzten Ratten eine Substanz, die ihre B-Zellen zerstörte, und transplantierten ihnen dann gesunde Inseln desselben Inzuchtstammes. Weil solche Tiere genetisch identisch sind, griff das Immunsystem das frische Gewebe nicht an: Der Blutzuckerspiegel der zunächst zuckerkrank gemachten Ratten normalisierte sich auf Dauer; und in weiteren Experimenten zeigte sich, daß die typischen Schädigungen von Nieren- und Netzhautgefäßen ausblieben beziehungsweise bei Tieren, die schon länger diabetisch gewesen waren, sich sogar wieder rückbildeten.

Gleiches wollten wir nun gern am Menschen erproben, doch sahen wir uns mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Schon um die Langerhans-Inseln in genügender Menge zu isolieren, mußten wir neue Verfahren suchen. Drei Jahre lang probierten wir verschiedene Prozeduren aus – unter anderem, mit einigem Erfolg, indem wir das Drüsengewebe mit einem Fleischwolf zerkleinerten.

Schließlich entwickelten Mitte der achtziger Jahre Scharp, Camillo Ricordi und ich eine halbautomatische Technik, die bis heute vielfach angewandt wird (Bild 2). Man kann damit aus einer menschlichen Bauchspeicheldrüse etwa 400000 Inseln gewinnen, also beinahe die Hälfte der schätzungsweise eine Million beim Menschen vorhandenen. Wir nahmen damals an, dies sei genug, um den Blutzuckerspiegel dauerhaft zu regulieren.


Erste Versuche an Menschen

Das eigentliche Problem aber war, daß der Organismus körperfremdes Gewebe vehement abstößt. Zwar läßt sich dies medikamentös unterdrücken, doch sind die dadurch bedingten potentiellen Nebenwirkungen – wie größere Anfälligkeit für Entzündungen und Infektionen, erhöhtes Krebsrisiko oder auch Nierenschädigung – bei ansonsten gesunden Menschen, denen es nur an Insulin mangelt, unvertretbar hoch. Anders ist dies, wenn ein Diabetiker bereits mit einer Spenderniere lebt, denn dann muß er solche Medikamente ohnehin einnehmen.

Unsere ersten Versuche führten wir 1986 durch. Scharp und ich beschlossen, die Isolate in den Gefäßbaum einzubringen, in den die Pfortader sich in der Leber aufzweigt (sie leitet der Leber das mit Nährstoffen angereicherte Blut vom Magen-Darm-Trakt zu; Bild 1). Dieses Adersystem ist chirurgisch leicht zugänglich: Man macht einen kleinen Schnitt beim Nabel und infundiert das Präparat in eine Vene, die zur Pfortader führt. In deren feinen Verästelungen in der Leber, so hofften wir, würden die Inseln sich festsetzen und – vom Blut umspült – permanent den Blutzuckergehalt registrieren und bei Bedarf Insulin sezernieren. Dort wäre auch ihre eigene Ernährung gewährleistet. Inseln direkt in die Bauchspeicheldrüse einzupflanzen wäre wesentlich komplizierter gewesen.

Anfangs waren die Befunde ermutigend: Die Isolate arbeiteten tatsächlich im Körper der Empfänger. Allerdings reichte die Hormonmenge bei 400000 Inseln nicht aus, um auf Injektionen verzichten zu können. Mit jeweils 800000 Inseln, wie wir sie später infundierten, kamen einige der Behandelten – zumindest eine Zeitlang – ohne zusätzliches Insulin aus. Andere Arbeitsgruppen haben diesen Befund dann bestätigt. Außerdem stellte sich heraus, daß man Langerhans-Inseln sogar vorher einfrieren, also ein frisches Organ für den akuten Bedarf konservieren kann.

Seit 1990 haben weltweit schätzungsweise 145 Menschen solche Transplantate erhalten, in einigen Fällen auch in weniger reiner Form zusammen mit anderem Bauchspeicheldrüsengewebe. Allerdings war der Erfolg noch nicht allzu groß. Vielfach normalisierte sich der Blutzuckerspiegel nicht gänzlich; auch nahm die Hormonproduktion oft binnen drei Jahren deutlich ab. Unseres Erachtens könnten zu wenige Zellen übertragen worden sein, die darum schließlich überlastet wurden. Des weiteren könnten Immunprozesse die Gesundung des Patienten vereitelt haben. Das muß nicht einmal die sonst bei Transplantationen gefürchtete Abstoßung des fremden Gewebes gewesen sein. Typ-I-Diabetes entsteht wahrscheinlich durch eine Autoimmunreaktion gegen die Insulinzellen; darauf komme ich noch zurück.

Trotzdem erwägen viele Mediziner, routinemäßig allen Typ-I-Diabetikern, wenn sie sich einer Nierenverpflanzung unterziehen müssen, zugleich Inselzellen zu übertragen. Denn schon geringe Mengen körpereigenen Insulins helfen, zumindest die Spitzen der Blutzuckerschwankungen abzufangen und die Werte einigermaßen im Normalbereich zu halten. Dieses Vorgehen ist auf jeden Fall der viel beschwerlicheren Transplantation einer ganzen Bauchspeicheldrüse oder größerer Teile davon vorzuziehen – was manchmal gemacht wird, wenn ein Diabetiker eine neue Niere erhält. (Man möchte das Spenderorgan so davor schützen, wie vorher die körpereigenen Nieren wegen überhöhten Blutzuckers Schaden zu nehmen.) Zu bedenken sind auch die Belastung für den Patienten und der Aufwand. Inselgewebe kann man unter örtlicher Betäubung infundieren, und der Eingriff kostet einen Bruchteil dessen einer Bauchspeicheldrüsen-Transplantation.


Überlisten der Abwehr

Ungelöst war allerdings immer noch, wie man der Immunabwehr begegnen könnte, ohne sie massiv zu unterdrücken. Diesem Problem widmeten sich in der Folge viele Forscher. Über längere Zeit verfolgte man im Tierversuch besonders zwei Ansätze: die Abwehr zu überlisten oder das Transplantat gleichsam vor ihr zu verstecken.

Das erste Konzept geht auf eine Idee von George D. Snell vom Roscoe-B.-Jackson-Memorial-Laboratorium in Bar Harbor (Maine) zurück. Er vermutete 1957 - und hatte, wie sich nun herausstellt, damit recht –, daß die Abstoßung eines Organs primär nicht durch inhärente Komponenten von ihm selbst initiiert wird, sondern durch mit übertragene weiße Blutzellen darin. Wenn es gelänge, diese Leukocyten vor der Transplantation zu eliminieren, sollte sich die kritische Immunattacke vermeiden lassen.

Doch erst 1975 machte Kevin J. Lafferty, der damals an der Australischen National-Universität in Canberra tätig war, davon praktischen Gebrauch. Er wollte zwischen Mäusen verschiedener Stämme Schilddrüsen verpflanzen und entdeckte, daß dies gelang, ohne die Abwehr zu wecken, wenn er die Spenderorgane zuvor Sauerstoff hoher Konzentration aussetzte. Seiner Ansicht nach hatte dies spezifisch die Leukocyten zerstört.

Lafferty unterbreitete auch eine Erklärung dafür, daß nur die mitgeschleppten weißen Blutzellen die Abstoßungsreaktion auslösen sollten. Die eigentlichen Angreifer aus dem Wirtsorganismus, so nimmt man an, sind sogenannte T-Killerzellen (auch T-Killerlymphocyten genannt, eine Art von Leukocyten); um aktiv zu werden, müßten sie nach Laffertys Ansicht zwei Signale erhalten: ein initiierendes, indem diese Zellen auf der Oberfläche implantierter Zellen bestimmte Proteine – nämlich gewebetypisierende Histokompatibilitäts-Antigene der Klasse I – erkennen, und als mutmaßlich zweites bestimmte kleine, Cytokine genannte Proteine, die wiederum auf die Killerzellen wirken.

Man vermutet, daß die eingeschleppten Leukocyten sowohl die passenden Antigene tragen als auch die entsprechenden Cytokine sezernieren. Hingegen scheinen die anderen Zellen eines Transplantats – so auch die hormonproduzierenden Inselzellen – zwar das erste Signal (in Form des Oberflächenantigens) zu vermitteln, nicht aber das zweite (die Cytokine). Sind die Killerzellen aber erst einmal durch beide Signale aktiviert, greifen sie jede Zelle mit dem fremden Oberflächenantigen an, auch wenn diese das zweite Signal gar nicht selbst abgibt. Treffen die körpereigenen Killerzellen dagegen nur auf das erste Signal, werden sie offenbar gegenüber fremden Zellen mit diesem Antigen tolerant.

Zu unserer Enttäuschung versagte Laffertys Sauerstoffbehandlung bei den Langerhans-Inseln, denn auch die Hormonzellen gingen dabei zugrunde. Erst nach vielen Fehlversuchen fanden 1979 mein Kollege Joseph M. Davie und ich eine Kulturtechnik, bei der sie verschont blieben und nur die Leukocyten abstarben. Jeweils etwa 1500 derart behandelte Inseln von Ratten infundierten wir in die Pfortadern von Tieren eines anderen Stammes.

Die einmalige Injektion einer Substanz, welche die Immunabwehr unterdrückte, genügte, daß auch später keine Abstoßung mehr auftrat. Mehr noch, mit dieser Methode konnten wir sogar Inseln zwischen verschiedenen Arten – von Ratten auf Mäuse – verpflanzen. In der Folge haben wir und andere Arbeitsgruppen zahlreiche andere Techniken entwickelt, um die unerwünschten Leukocyten in den Langerhans-Inseln abzuwandeln oder abzutöten.

Nun lassen die Verfahren sich nicht ohne weiteres für die Behandlung von Menschen übernehmen. Bei den Versuchen an Nagetieren werden die benötigten rund 1500 Inseln handverlesen, damit das Transplantat keinerlei anderes Gewebe, zum Beispiel von Lymphknoten, enthält. Für einige hunderttausend Inseln ist das nicht machbar.

Doch berichteten 1990 Ali Naji und seine Mitarbeiter an der Universität von Pennsylvania in Philadelphia, wie sie Ratten Inseln eines anderen Stammes in den Thymus eingepflanzt und dadurch eine Immuntoleranz gegen sie wie auch gegen weitere gleiche Inseln erzeugt hatten, die später anderswo im Körper implantiert wurden. Wir probierten daraufhin, ob die Abwehr sich auch dann überlisten ließe, wenn wir zunächst kleine Mengen kultivierter Inseln von Ratten in verschiedene Gewebe von Mäusen einpflanzten und später erst unbehandelte in größerer Zahl übertrugen. (Gleichzeitig mit den Transplantaten erhielten die Tiere eine einmalige Injektion von Antikörpern gegen weiße Blutzellen von Ratten und von Mäusen; eventuell noch vorhandene fremde Leukocyten sollten so eliminiert und die Immunüberwachung des Empfängers damit vorübergehend unterdrückt werden.) Der Versuch im Jahre 1993 gelang; wir möchten das entsprechende Verfahren demnächst bei Hunden anwenden. Sollte auch dies Erfolg haben, bestünde Hoffnung, menschliche Patienten gewissermaßen vorimmunisieren zu können – ihren Organismus durch relativ wenige, sorgsam behandelte Inseln auf die eigentliche Transplantation vorzubereiten.


Versteck für Langerhans-Inseln

Noch mehr versprechen sich mittlerweile viele Forscher – so auch ich – von der Strategie, das Immunsystem gar nicht erst auf das Spendergewebe aufmerksam werden zu lassen. Der Hauptgrund sind immer mehr Indizien dafür, daß der Diabetes vom Typ I eine Autoimmunkrankheit ist: Der Körper bekämpft die eigenen B-Inselzellen, als wären sie eingedrungene gefährliche Mikroorganismen (Spektrum der Wissenschaft, September 1990, Seite 102). Weil dabei Antikörper und auch Killerzellen spezifisch auf Antigene der B-Inselzellen ansprechen, helfen Vorsichtsmaßnahmen der beschriebenen Art gegen die Immunabwehr möglicherweise nur vorübergehend, und die besonderen auf die Insulinproduzenten gerichteten Zerstörungskräfte finden wieder ihr Ziel.

Die fehlgerichtete Attacke ließe sich wohl verhindern, wenn die gewebetypisierenden Antigene der transplantierten Langerhans-Inseln nicht mit denen des Empfängers übereinstimmten. Das zugleich mit den Abstoßungsreaktionen einzukalkulieren wäre allerdings sehr aufwendig. Um Immunreaktionen jeglicher Art gar nicht erst anlaufen zu lassen, wird jetzt versucht, die Zellklümpchen in synthetische Membranen mit sehr feinen Poren einzuschließen, die semipermeabel, also nur für kleinere – und idealerweise ganz bestimmte – Moleküle durchlässig sind: Der Zucker aus dem Blut soll eindringen können, damit er die Inselzellen zur Insulinproduktion anregt, und das Hormon soll in den Blutstrom gelangen; aber die wesentlich größeren Immunzellen und Antikörper würden abgehalten.

Als einer der ersten entwickelte 1975 William L. Chick, der damals am Joslin-Diabeteszentrum in Boston (Massachusetts) arbeitete, eine solche Technik für Tierversuche an Nagern. Er brachte das Gewebe in eine winzige Kammer ein, die einen Kunststoffschlauch umschloß (Bild 4 unten rechts). Über diesen verband er eine Arterie mit einer Vene des Tieres, schuf mithin eine Shunt genannte künstliche überbrückende Verbindung. Eine Zeitlang funktionierte das System erwartungsgemäß; doch schließlich starben die Inselzellen ab, weil Blutgerinnsel die Poren des Schlauches verstopften.

Seither hat man zwar die Biokompatibilität der Materialien verbessert, so daß sich der Blutzuckerspiegel diabetischer Hunde mit diesem Eingriff monatelang normalisieren ließ. Dennoch bin ich gegenüber der Anwendung auf den Menschen skeptisch. Solche Shunts bergen auch immense Gefahren, besonders für Kinder und Jugendliche. Würde das Gebilde etwa bei einem Unfall, beim Toben oder bei einem ruppigen Ballspiel reißen, wäre nicht nur der Blutzuckerspiegel außer Kontrolle; es gäbe unter Umständen auch lebensgefährliche innere Blutungen und Thrombosen. Darum entwickelten Franklin Lim vom Medizinischen College von Virginia in Richmond und Anthony M. Sun vom Connaught-Forschungsinstitut in Toronto (Kanada) im Jahre 1980 eine andere Methode. Sie betteten isolierte Inseln in eine viskose Masse aus Alginat ein, die aus Tang gewonnen wird und bei Zusatz von Calcium geliert, und umhüllten die Tröpfchen noch mit einem Kunststoff (Bild 4 links unten). Dann wurden die Kapseln Nagern in die Bauchhöhle verpflanzt, weil dorthin Flüssigkeit aus dem Blut – die Glucose enthält – übertritt, die später samt dem neu gebildeten Insulin wieder ins Gefäßsystem zurückkehrt.

Zunächst bewährte sich diese Technik: Die Blutzuckerwerte waren vorübergehend normal, und eine Abstoßungsreaktion fand nicht statt. Mit der Zeit allerdings löste der Kunststoff Bindegewebswucherungen um die Kapsel herum aus, so daß die eingeschlossenen Zellen keine Nährstoffe mehr erhielten.

Inzwischen stehen geeignetere Kunststoffe zur Verfügung. Einem Patienten sollen damit verkapselte Spenderinseln eine Weile zusätzliche Insulin-Injektio-nen erspart haben. Doch die Ideallösung scheint dies noch nicht zu sein. Auch wenn jedes einzelne Perlchen keinen halben Millimeter mißt, kann man doch mehrere hunderttausend davon in der Bauchhöhle niemandem recht zumuten. Was man benötigte, wären weitaus kleinere und auch robustere Systeme – und im Notfall müßte man sie wieder rasch entfernen können.


Patientenfreundliche Techniken

Deshalb schlossen wir 1990 Langerhans-Inseln in halbdurchlässige, hohle Fasern ein, die nicht dicker sind als der Draht einer kleinen Büroklammer (Bild 4 oben). Wir wählten dafür ein Acrylharz, nachdem Wissenschaftler an der Brown-Universität in Providence (Rhode Island) die besonders hohe Biokompatibilität dieses Polymers bei Studien zur Parkinson-Krankheit erwiesen hatten.

In den ersten Experimenten füllten wir einfach etliche Inseln von Ratten in die feinen Röhrchen, versiegelten die Enden und pflanzten eine oder zwei Fasern diabetischen Mäusen in die Bauchhöhle. Bis zu zwölf Tage lang lag der Blutzuckerspiegel der Tiere daraufhin im Sollbereich, dann wurden sie allerdings wieder krank. Hatten wir das Immunsystem doch nicht überlisten können?

Die mikroskopische Analyse der Implantate ergab einen anderen Grund: Die Inseln hatten sich untereinander verklumpt – die inneren waren schlicht verhungert. Dieses Problem ließ sich indes lösen: Als wir die Inseln zusätzlich in gelierendem Alginat verteilten und die so präparierten Fasern Mäusen in die Bauchhöhle oder unter die Haut einsetzten, funktionierten die Mikrosysteme während der Dauer des Experiments, rund ein Jahr lang (also praktisch die halbe Lebenszeit dieser Tiere). Die Immunakzeptanz der Präparate war gut, und es bildete sich kaum Bindegewebe.

Deswegen begannen Scharp und ich im letzten Jahr mit vorbereitenden Tests für den Einsatz beim Menschen. Den Versuchspersonen, Diabetikern vom Typ I wie vom Typ II, pflanzten wir für zwei Wochen Fasern mit lediglich 150 bis 200 Inseln unter die Haut; tatsächlich gab es weder eine Attacke gegen Fremdgewebe noch eine Autoimmunreaktion (Bild 5).

Nach all diesen Studien dürfte es machbar sein, Diabetikern gut verträgliche, dauerhaft funktionierende Inselpräparate einzupflanzen. Ein Problem bleibt aber die Masse an Zellen, die für ausreichende Insulinmengen nötig ist. Obwohl die Langerhans-Inseln sich in Hohlfasern dichter packen lassen als in kugeligen Kapseln, wären davon immerhin mehrere Meter erforderlich.

Wir prüfen jetzt eine besonders dünne Membran aus einem ähnlichen Polymer als Hüllmaterial. In einem Blatt, das etwas größer ist als ein Geldschein, müßten nach unserer Einschätzung die benötigten rund 800000 Inseln unterzubringen sein. Ein solch flaches Gebilde dürfte auch in der Bauchhöhle kaum Beschwerden verursachen. Sicherheitstests hoffen wir demnächst am Menschen vornehmen zu können. Wünschenswert wäre dennoch eine noch konzentriertere Einbettung, so daß man lediglich etwa zwei kleine Einheiten unter die Haut schieben müßte, die notfalls leicht wieder zu entfernen sind.


Engpässe in der Praxis

Dem Routineeinsatz der geschilderten Therapien steht entgegen, daß – wie auch sonstige Organe für Transplantationen – weitaus zu wenige Bauchspeicheldrüsen zur Verfügung stehen. Deswegen erforschen nun etliche Teams die Verwendung von Langerhans-Inseln aus abgetriebenen Feten. Es sollte möglich sein, Vorläuferzellen zu isolieren und zur Bildung von Inseln anzuregen. Solche Studien mit fetalem Gewebe stehen allerdings erst am Anfang.

Vielleicht kann man eines Tages sogar insulinproduzierende Zellen allein verpflanzen. Man könnte sie aus B-Zell-Tumoren gewinnen, die in Kultur unbegrenzt neue Zellen bilden. Solche Zell-Linien gibt es zwar schon, doch haben sie ihre Empfindlichkeit dafür verloren, Insulin gemäß der Glucosekonzentration im Medium freizugeben. Man versucht nun zu ergründen, wie der Regelmechanismus sich wieder einstellen ließe. Zudem muß verhindert werden, daß solche Implantate Krebsgeschwülste bilden.

Eine vielversprechende Alternative für die nächste Zukunft sind Langerhans-Inseln von Schweinen. Sie sind in genügender Menge verfügbar, und Schweine-Insulin ist dem menschlichen sehr ähnlich. Verfahren, sie in großem Umfang zu gewinnen, haben meine und andere Forschergruppen bereits vorsorglich entwickelt. Die Artschranke, die sonst bei Transplantationen große Schwierigkeiten macht, dürfte mit der Einkapselungstechnik kein ernstliches Hindernis sein. Erste Versuche am Menschen ohne Immunsuppression sollen in ein oder zwei Jahren beginnen.

Mit dem Trick, Transplantate vor der Immunabwehr zu verbergen, sollten sich auch andere hormonproduzierende Zellen ersetzen oder Mängel der inneren Sekretion kompensieren lassen. Dazu brauchte man nicht einmal Zellen des gleichen Typs, wenn andere Zellsorten gentechnisch so manipuliert werden könnten, daß sie die gewünschte Substanz erzeugen. Bluterkranke beispielsweise müßten Implantate erhalten, die den fehlenden Gerinnungsfaktor synthetisieren, Parkinson-Kranke solche, die den Neurotransmitter Dopamin bilden – viele Patienten können ihre Bewegun-gen nach Dopamin-Injektionen wenigstens zeitweise wieder besser koordinieren; desgleichen hilft Tieren mit einem künstlich erzeugten Syndrom dieser Art, wenn man Hohlfasern mit dopaminproduzierenden Zellen in der Nähe des geschädigten Gehirnareals einpflanzt.

Höchst ambitioniert schließlich ist die Entwicklung einer künstlichen Bauchspeicheldrüse. Ein sehr kleines biotechnisches System soll permanent den Blutzucker messen und jeweils die erforderliche Menge Insulin abgeben. Noch ist es nicht gelungen, einen Sensor zu konstruieren, der zugleich klein, haltbar und genau genug ist. Eines Tages dürfte das aber gelingen. Ich bin zuversichtlich, daß die Forschung auf die eine oder andere Art Möglichkeiten finden wird, Menschen bei den ersten Anzeichen von Diabetes mellitus vor den oft fatalen Folgen ihrer Krankheit zu schützen.

Literaturhinweise

- Immunobiology of Tissue Transplantation: A Return to the Passenger Leukocyte Concept. Von K. J. Lafferty, S. J. Prowse, C. J. Simeonovic und H. S. Warren in: Annual Review of Immunology, Band 1, Seiten 143 bis 173, 1983.

– An Encapsulated Dopamine-Releasing Polymer Alleviates Experimental Parkinsonism in Rats. Von S. R. Winn, L. Wahlberg, P. A. Tresco und P. Aebischer in: Experimental Neurology, Band 105, Heft 3, Seiten 244 bis 250, September 1989.

– Pancreatic Islet Transplantation. Herausgegeben von Camillo Ricordi. R. G. Landes Company, 1992.

– Status of Islet Cell Transplantation. Von Paul E. Lacy in: Diabetes Care, Band 16, Heft 3, Seiten 76 bis 92, März 1993.

– Protection of Encapsulated Human Islets Implanted without Immunosuppression in Patients with Type I or Type II Diabetes and in Nondiabetic Control Subjects. Von David W. Scharp, Carol J. Swanson, Barbara J. Olack, Paul P. Latta, Orion D. Hegre, Edward J. Doherty, Frank T. Gentile, Karen S. Flavin, Maha F. Ansara und Paul E. Lacy in: Diabetes, Band 43, Heft 9, Seiten 1167 bis 1170, September 1994.




Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1995, Seite 72
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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