Interview: Den Teufel nicht für Beelzebub vernachlässigen
Reinhard Kurth vergleicht für Spektrum der Wissenschaft "Äpfel mit Birnen" und nimmt die Erreger von SARS und Influenza unter die Lupe.
Spektrum der Wissenschaft: Herr Professor Kurth, in den letzten Monaten hat SARS für jede Menge Aufregung gesorgt und wurde doch immer wieder mit der Grippe verwechselt. Was haben die Krankheiten gemeinsam und worin unterscheiden sie sich?
Prof. Dr. Reinhard Kurth: Nun, zunächst handelt es sich ja um völlig verschiedene Erreger: Während die Grippe von Influenzaviren verursacht wird, entsteht SARS durch ein Coronavirus. Trotzdem beobachten wir auch viele Gemeinsamkeiten, zum Beispiel bei der anfänglichen Symptomatik. Beide beginnen mit relativ hohem Fieber, starkem Krankheitsgefühl sowie Atemwegssymptomen, wie zum Beispiel Husten. Auch Muskel- und Kopfschmerzen sind typisch für beide Erkrankungen. In der frühen Phase ist eine Grippe also kaum von SARS zu unterscheiden. Ein Labortest für beide Erreger ist hilfreich, wobei ein negatives Ergebnis SARS nicht ausschließt.
Spektrum: In der Übertragungsweise ähneln sich die Viren ja ebenfalls.
Kurth: Ja, beide Erreger werden vor allem durch die Atemluft, also durch Tröpfcheninfektion, übertragen. Aber hier gibt es auch einen Unterschied: Im Gegensatz zu Influenzaviren werden SARS-Erreger auch mit dem Stuhl ausgeschieden, sodass theoretisch auch Schmierinfektionen auftreten können.
Spektrum: Für die Epidemiologie spielt die Herkunft der Viren auch eine große Rolle.
Kurth: Ja, wir wissen, dass beide Erreger aus dem Tierreich stammen und sich so weit an den Menschen angepasst haben, dass sie von Mensch zu Mensch übertragen werden. Bei Influenza kennen wir das natürliche Reservoir ganz gut: Es sind in erster Linie Wildvögel, vor allem Wassergeflügel, das dann wiederum Zuchtvögel, etwa Hühner, ansteckt. Auch das Schwein kann »neue Viren« hervorbringen, weil es als »Mischgefäß« für menschliche und Vogelviren fungieren kann. Bei der Erforschung des Reservoirs von SARS sind wir noch nicht ganz so weit. Zibetkatzen stehen unter Verdacht, aber mit Sicherheit kann das noch keiner sagen. Sobald wir den natürlichen Wirt kennen, müssen Maßnahmen eingeleitet werden, die den Kontakt zwischen diesen Tieren und dem Menschen so reduzieren, dass ein erneuter Sprung auf den Menschen weitgehend vermieden werden kann.
Spektrum: Der Erreger könnte also jederzeit wieder überspringen. Sind wir auf einen erneuten Ausbruch besser vorbereitet oder ist es denkbar, dass sich das Virus genauso verändert, wie wir es vom Influenza-Erreger kennen?
Kurth: Die Gefahr, dass das SARS-Virus von seinem natürlichen Wirt wieder auf den Menschen überspringt, besteht natürlich immer. Coronaviren sind genetisch aber viel stabiler als Influenza-Erreger. Sie verändern sich zwar auch schnell, weil sich bei der Vervielfältigung ihres RNA-Genoms leicht Fehler einschleichen, aber Neustrukturierungen des Genoms, die bei Influenza zu den gefürchteten Antigen-Shifts führen können, sind nicht zu erwarten.
Spektrum: Die große Katastrophe, eine Pandemie mit den Ausmaßen einer Spanischen Grippe, ist also für SARS nicht zu befürchten?
Kurth: Bei einem Wiederausbruch kommt es sehr auf die Umstände an: Wo bricht SARS aus, wer bemerkt dies und vor allem, wie schnell und konsequent wird gehandelt. Die wichtigsten Maßnahmen, Isolation, Quarantäne und Infektionsschutz, haben sich bewährt und würden wieder zum Einsatz kommen. Falls nochmals eine Situation wie in China eintreten sollte, dass die Behörden die Sache monatelang herunterspielen, ist eine weltweite Verschleppung vorprogrammiert. Aber davon gehe ich nicht aus. Zudem werden die labordiagnostischen Tests, die ja sehr rasch verfügbar waren, ständig weiter verbessert. Dies würde ebenfalls helfen, die Krankheiteinzudämmen – vielleicht sogar schneller, als es diesmal der Fall war.
Spektrum: In der Aufregung um SARS ist der Ausbruch der Geflügelpest in Holland und am Niederrhein fast untergegangen. Deren Auftreten hat Ihnen doch sicherlich auch Kopfzerbrechen bereitet.
Kurth: Ja, das hat uns große Sorgen gemacht. Wir haben die Geflügelpest in Holland sehr genau beobachtet und standen in engem Kontakt mit unseren dortigen Kollegen. Die Situation war sehr heikel. Die Krankheit hat einen Toten gefordert, es gab gut achtzig Fälle von Bindehautentzündungen und zwei bis drei Sekundärinfektionen, bei denen das Virus sehr wahrscheinlich direkt von Mensch zu Mensch übertragen wurde. Es könnte also sein, das der Influenza-Subtyp A/H7N7 dabei ist, sich an den Menschen zu adaptieren.
Spektrum: Hätte die Sache in der Grippezeit schlimmer ausgehen können?
Kurth: Es war ein großes Glück, dass die Geflügelpest in Holland erst zum Ende der Grippezeit auftrat. Denn so war die Wahrscheinlichkeit geringer, dass durch Doppelinfektion eines Menschen neue gefährliche Virusvarianten entstehen. Andererseits sind im Februar und März, also in der Hauptsaison für Influenza, glücklicherweise die Zugvögel noch nicht da, die den Erreger oft über weite Distanzen verbreiten.
Spektrum: Lässt sich abschätzen, ob von SARS oder Influenza die größere Gefahr ausgeht?
Kurth: Nun, das hieße ein bisschen Äpfel mit Birnen vergleichen. Nach allem, was wir bis heute wissen, ist der SARS-Erreger für den Erkrankten gefährlicher, aber Influenzaviren sind im Regelfall infektiöser. Es werden also viel mehr Menschen angesteckt, weshalb auch mehr an Influenza sterben. Aber SARS ist ebenfalls relevant, und man kann nicht den Teufel wegen Beelzebub vernachlässigen – bösartig sind beide.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2003, Seite 52
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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