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Klimafühlige Knochen

Isotopenverhältnisse in Knochen und Zähnen von Tieren erlauben Rückschlüsse auf die Umgebungstemperaturen prähistorischer Zeiten.


Wer Gras frisst, braucht lange Zähne, denn der Verschleiß ist erheblich. So werden die Backenkronen von Pferden oft mehr als zehn Zentimeter hoch. Der größte Teil steckt im Kiefer und wird nach und nach herausgeschoben, um den Verbrauch an Kaufläche auszugleichen. Ein solcher Zahn benötigt mehr als ein Jahr für sein Wachstum. In dieser Zeit ist er der chemischen Zusammensetzung seiner jeweiligen Umgebung ausgesetzt. Archäozoologen untersuchen deshalb Isotopenverhältnisse im Schmelz, um beispielsweise Wanderungsbewegungen von Tierherden nachzuvollziehen.

Selbst Rückschlüsse auf die während des Zahnwachstums herrschende Temperatur lassen sich ermitteln. Denn mit dem Trinkwasser hatte das Pferd die Sauerstoff-Isotope 18O und 16O aufgenommen. Vereinfacht gesagt verdunstet bei Kühle weniger Wasser mit dem schwereren Isotop. Es reichert sich deshalb im Meer an, während der Regen über dem Festland weniger davon enthält. Änderungen im Verhältnis von 18O zu 16O charakterisieren deshalb globale Warm- und Kaltzeiten. Weil Pferdezähne kontinuierlich von der Krone her wachsen und Jungtiere noch keine Wurzel bilden, lässt sich sogar noch feiner differenzieren. Beispielsweise enthält der untere Schmelzrand eines Jungtieres chemische Verbindungen und Elemente, die es kurz vor seinem Tode aus der Umgebung aufgenommen hatte. Auf diese Weise vermag der Archäozoologe sogar Sommer- und Winterniederschläge zu unterscheiden. Das Gebiss eines jungen Maultiers, das am vermutlichen Kampfplatz der Varus-Schlacht gefunden wurde (Spektrum der Wissenschaft 2/2000, S. 76), half beispielsweise, die Auseinandersetzung auf den Spätsommer des Jahres 9 nach Christus zu datieren.

Anhand der Sauerstoff-Isotopien im Knochen untersuchten wir den Einfluss des Klimas auf die Größe eiszeitlicher Tiere. Die so genannte Bergmannsche Regel besagt nämlich, dass sich warmblütige Tiere derselben Art unter kälteren Bedingungen größer entwickeln sollten, da sie dann im Verhältnis zu ihrer Masse eine kleinere Wärme abstrahlende Oberfläche aufweisen. Die Isotopen-Analyse von Rentierknochen der vorletzten und der letzten Eiszeit widerlegte diese Hypothese: Während des Kältemaximums lebten durchschnittlich kleinere Rentiere. Immerhin ergab die anatomische Vermessung einen regelgemäßigen Unterschied zwischen Tieren im Norden und solchen im Süden – was saisonale Wanderungen ausschließt. Offensichtlich ist die Größenentwicklung eiszeitlicher Säugetiere eine komplexe Angelegenheit.

Voruntersuchungen lassen hoffen, dass Knochen und Zähne zudem eine gute Quelle für aDNA genannte Fragmente von Erbsubstanz bieten. Weil sie in Nahrungsabfällen häufig und in großer Menge vorkommen, sollten die entsprechenden Aufbereitungs- und Analysemethoden zielstrebig entwickelt werden, um mehr über frühe Haustiere und damit auch mehr über unsere Ahnen zu erfahren.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2001, Seite 95
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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