April 1999: Klonen für medizinische Zwecke
Der Juli 1995 war für unser Team am Roslin-Institut bei Edinburgh (Schottland) ein denkwürdiger Monat: Zwei lebensfähige Lämmer wurden geboren, die nach Ansicht vieler Fachleute eine neue Ära für Biologie und Medizin ankündigten, mit revolutionären Möglichkeiten. Megan und Morag, ausgetragen von einem Ersatzmuttertier, waren nicht aus der üblichen Vereinigung von Ei- und Samenzelle hervorgegangen; ihr Erbmaterial stammt vielmehr aus Zellen eines neun Tage alten Schaf-Embryos, die wir weiterkultiviert hatten, bis sie wie ältere Zellen aussahen. Die beiden Tiere sind also genetische Kopien – sogenannte Klone – dieses Embryos.
Zwar hatten Forscher verschiedener Institutionen schon zuvor Schafe, Rinder und andere Säuger aus einzelnen Zellen geklont, die sie mit viel Fingerspitzengefühl aus Embryonen eines frühen Entwicklungsstadiums herausgelöst hatten. Unser Erfolg jedoch versprach, das Verfahren erheblich praktikabler zu machen, da kultivierte Zellen vieles erleichtern. Wie Megan und Morag bewiesen, lassen sich selbst Zellen, die bereits eine gewisse Differenzierung, also Spezialisierung durchlaufen haben, wieder genetisch auf das Niveau eines ganz frühen Embryos zurückschalten. Dies hatten die meisten Biologen für unmöglich gehalten.
In weiteren Experimenten verwendeten wir kultivierte Zellen aus späteren Entwicklungsstadien: von einem 26 Tage alten Fetus und von einem ausgewachsenen Mutterschaf. Aus einer Zelle dieser letzten Kultur entstand Dolly, der erste Klon eines erwachsenen Säugetiers. Die Bekanntgabe des Erfolges im Februar 1997, acht Monate nach der Geburt, fand in den Medien gewaltiges Echo – vielleicht, weil die Aufmerksamkeit auf die theoretische Möglichkeit gelenkt wurde, bereits geborene Menschen zu klonen. Ich hoffe allerdings, daß so etwas niemals in die Tat umgesetzt wird.
Das generelle Verfahren aber, aus kultivierten Zellen leicht zugänglicher Gewebe Klone zu erzeugen, dürfte von großem praktischen Wert sein:
- für die Tierzucht, weil sich mit der Prozedur auch effektiver genetische Veränderungen einführen lassen,
- für die Beantwortung entscheidender biologischer Fragen, etwa wie die Entwicklung einzelner Zellen festgelegt und wieder umprogrammiert werden kann,
- für die Medizin, wobei hier die Zeit zeigen muß, welche Anwendungen gesellschaftlich akzeptiert werden.
Die Erzeugung geklonter Säugetiere aus Embryonalzellen, von Wissenschaftlern nunmehr seit etlichen Jahren praktiziert, basiert vor allem auf Methoden des sogenannten Kerntransfers. Anders als dieser Begriff vielleicht suggerieren mag, muß der zu übertragende Zellkern, der das Erbgut für den gewünschten Klon enthält, für die Prozedur nicht unbedingt aus der Spenderzelle isoliert werden. Als Empfänger dient heute meist eine unbefruchtete Eizelle, die einem weiblichen Tier kurz nach dem Eisprung entnommen wird. In diesem Stadium wartet sie geradezu nur auf einen geeigneten Stimulus, der ihr das Startsignal zur Entwicklung gibt.
Zunächst aber kommt die Eizelle zum »Entkernen« unter ein Hochleistungsmikroskop: Angesaugt an die Öffnung einer feinen Pipette bleibt sie in Position, während der Experimentator eine noch feinere Mikropipette einsticht, um ihre Chromosomen zu entfernen. Diese sind in dem Stadium nicht in einem eigens abgegrenzten Zellkern eingeschlossen, liegen aber in einem bestimmten Bereich des Zellplasmas beieinander, der sich heraussaugen läßt. Statt nun einen Ersatzkern zu injizieren, fusioniert man im typischen Fall die Eizelle einfach mit einer kompletten Spenderzelle, die unter die gelatinöse Schutzhülle des Eies – die sogenannte Glas-haut – transferiert wird. Die Fusion läßt sich beispielsweise durch dosierte Stromimpulse herbeiführen, die in Gegenwart bestimmter Ionen zugleich den – sonst vom besamenden Spermium kommenden – Stimulus zum Entwicklungsstart imitieren können. Manche der »aufgefüllten« Eizellen beginnen sich normal zu Embryonen zu entwickeln, und einige wenige davon können nach Implantation in die Gebärmutter eines scheinträchtigen Ersatzmuttertieres lebensfähige Jungen ergeben. Bei unseren Experimenten zum Klonen mit kultivierten Zellen trafen wir spezielle Vorkehrungen, um Spender- und Empfängerzelle in ihrem Zellzyklus aufeinander abzustimmen. Insbesondere entschieden wir uns, die Spenderzellen in einer Phase zu verwenden, in der ihre Erbsubstanz DNA nicht verdoppelt wurde. Dazu setzten wir die Konzentration an Nährstoffen im Kulturmedium herab – wir ließen sie also vor der weiteren Verwendung hungern.
Ruhestadium als Schlüssel zum Klonen?
Hungernde Zellen als bessere Kernspender
Bei unseren Experimenten benutzen wir nur Zellen als Spender, die sich in einem durch Hungern erzwungenen Ruhezustand befinden – sie verdoppeln dann ihre Erbsubstanz DNS nicht und produzieren so gut wie keine boten-RNA mehr, die als eine Art Gen-Abschrift an die Proteinsynthese-Maschinerie der Zelle geht.
Unser Entschluss, mit solchen ruhenden Zellen zu experimentieren, hatte zunächst einen recht banalen Grund: Sie lassen sich tagelang in einem gleichförmigen Zustand halten, während sie sonst dauernd ihren Vermehrungszyklus durchlaufen würden. Keith H.S. Campbell aus unserer Gruppe erkannte jedoch, dass ein Spenderkern vor dem Transfer vermutlich seine natürliche RNA-Produktion einstellen muss, damit das Klonen gelingt. Denn die ersten Schritte der Embryonalentwicklung stehen noch unter der Kontrolle eines Vorrats an Proteinen und RNA-Molekülen, den die Eizelle von ihrer Vorläuferzelle mitbekommen hat. Erst rund drei Tage nach der Befruchtung beginnen die Zellen des Embryos, eigenen RNA-Zellen zu produzieren. Da an den Chromosomen einer Eizelle normalerweise keine RNA mehr entstehen, hat ein dieser Situation angepasster Ersatzkern möglicherweise eher Entwicklungschancen.
Die Chromosomen ruhender Zellen könnten sich auch in einem besonderes günstigen Strukturzustand befinden, der es noch unbekannten regulatorischen Molekülen der empfangenden Eizelle erleichtert, den eingebrachten Zellkern zu reprogrammieren – gewissermaßen seine Entwicklungsuhr auf den Anfang zurückzudrehen.
Die Probe aufs Exempel
Nachdem mit der Geburt von Megan und Morag gezeigt war, daß sich lebensfähige Jungtiere aus kultivierten, von einem Embryo abgeleiteten Zellen erzeugen ließen, beantragten wir dafür Patente. Zugleich nahmen wir – wie schon erwähnt – weitergehende Klonierungsversuche in Angriff, diesmal mit stärker differenzierten, in Kultur genommenen Zellen. Dies geschah zusammen mit der gleichfalls bei Edinburgh ansässigen Firma PPL Therapeutics. Bei einem 26 Tage alten Schaf-Embryo beispielsweise sind Organe angelegt und ausgebildet; er ist deshalb per Definition bereits ein Fetus. Von einem solchen testeten wir kultivierte Fibroblasten – Bildungszellen für Bindegewebe.
Von einem ausgewachsenen weiblichen Schaf hingegen hatten wir Milchdrüsenzellen aus dem Euter vorrätig, eigentlich für andere Zwecke. Das Tier war im vierten Monat trächtig gewesen; zu diesem Zeitpunkt wachsen die Zellen des Euters lebhaft, was gute Kultivierbarkeit versprach. Die Wahl fiel auch auf sie, weil bei der weiteren Vermehrung ihre Chromosomen stabil blieben, so daß ihnen dabei mutmaßlich keine genetische Information verlorenging. Die erfolgreiche Klonierung von Dolly aus dieser Euterzellenkultur – sowie von weiteren Lämmern aus den kultivierten Fibroblasten – bewies schließlich, daß unser für Megan und Morag entwickeltes Konzept sich fortführen läßt und die als Roslin-Protokoll bezeichnete Methode wiederholbare Ergebnisse liefert.
Die Lieferanten der Spenderzellen und der Empfänger-Eizellen gehörten jeweils anderen Schafrassen an als die Leihmütter. Erwartungsgemäß gleichen sämtliche Klonschafe, die aus unseren Experimenten hervorgingen, der Spenderrasse. Genetische Analysen beweisen zudem zweifelsfrei, daß Dolly tatsächlich der Klon eines ausgewachsenen Schafs ist. Höchstwahrscheinlich stammt sie sogar von einer vollständig ausdifferenzierten Euterzelle ab, wenngleich sich dies nicht mit Sicherheit belegen läßt. Denn die fragliche Kultur enthielt auch einige relativ unspezialisierte Zellen, wie sie in kleiner Zahl in der Milchdrüse vorkommen. Mit einer im Prinzip ähnlichen Methode ist es anderen Arbeitsgruppen inzwischen gelungen, gesunde Klon-Rinder und -Mäuse aus Zellen erwachsener, darunter nichtträchtiger Tiere zu erzeugen.
Klonen auf der Basis eines wie immer gearteten Kerntransfers ist zwar reproduzierbar, doch auch mit Problemen behaftet. So sind manche der erzeugten Kälber und Lämmer ungewöhnlich groß. Dieser Effekt tritt auch schon auf, wenn eine im Reagenzglas befruchtete Eizelle während ihrer ersten Teilungen in Kultur gehalten und der resultierende Embryo dann erst in die Gebärmutter überführt wird. Wohl problematischer ist die geringe Effizienz des Kerntransfers. Schon vor fast 30 Jahren beobachtete John B. Gurdon, heute an der Universität Cambridge, bei seinen Experimenten an Fröschen, daß weniger Embryonen bis zum Kaulquappenstadium überleben, wenn ihr Kernlieferant in seiner Entwicklung fortgeschritten ist (Gordon übertrug entnommene Zellkerne).
Unsere ersten Ergebnisse bei Säugern boten ein ähnliches Bild. Wie sich bei allen bisher veröffentlichten Klonierungsstudien zeigt, sterben die meisten Kerntransfer-Embryonen ab – der größte Teil noch in der Anfangsphase der Entwicklung und nicht wenige im späteren fetalen Stadium. Kaum mehr als ein bis zwei Prozent gelangen überhaupt bis zur Geburt, und leider sterben selbst von diesen manche noch kurz danach. Der Grund für diese hohen Verluste ist unbekannt, liegt aber wohl darin, daß die Eizelle das Erbgut des untergeschobenen »älteren« Zellkerns reprogrammieren muß – ein komplexes Geschehen. Wenn später nur ein Gen sein Protein zufällig zur falschen Zeit oder am falschen Ort ausprägt oder zu einem kritischen Zeitpunkt versagt, können die Folgen fatal sein. Das Umprogrammieren dürfte jedoch die Regulation Tausender von Genen beinhalten. Verbesserungen im experimentellen Verfahren, zum Beispiel die Verwendung anderer Kernspenderzellen oder eine wie auch immer geartete Vorbehandlung, können vielleicht die hohen Verluste verringern helfen.
Klone der etwas anderen Art
Wie dem auch sei: Das Klonen aus kultivierten Zellen eröffnete uns zugleich einen relativ einfachen Weg, Tiere genetisch zu verändern. Solche »transgenen« Individuen sind für die Grundlagenforschung bedeutsam, überdies lassen sich mit ihrer Hilfe medizinisch nutzbare menschliche Proteine produzieren.
Das bisherige Standardverfahren zur Erzeugung transgener ungeklonter Säugetiere ist mühselig, zeitraubend und ineffizient. Dazu muß eine aus mehreren Teilen zusammengesetzte DNA-Konstruktion, die unter anderem das einzubringende Gen enthält, in eine große Zahl befruchteter Eizellen injiziert werden. Einige wenige davon bauen das fremde Gen so in ihr Erbgut ein, daß die daraus hervorgehenden Tiere es ausprägen und bei der Weiterzucht an ihre Nachkommen vererben können (siehe »Menschliche Proteine aus der Milch transgener Tiere«, Spektrum der Wissenschaft, März 1997, S. 70).
Kultivierte Zellen dagegen lassen sich durch eine relativ einfache chemische Behandlung dazu bringen, DNA von außen aufzunehmen. Ein geeignetes Selektionsverfahren ermöglicht es dann, die dabei tatsächlich transgen gewordenen Zellen bequem anzureichern. Nimmt man sie als Spender für den Kerntransfer, so tragen alle daraus geklonten Tiere das DNA-Konstrukt in ihrem Erbgut. Auf diese Weise hat das Roslin-Institut zusammen mit dem Unternehmen PPL bereits transgene Schafe erzeugt, und zwar effizienter als mit der Mikroinjektionsmethode. Sie tragen das Gen für den menschlichen Blutgerinnungsfaktor IX, ein Protein, das zur Behandlung von Hämophilie B eingesetzt wird.
Als Selektionshilfe schleusten wir ein weiteres Gen mit ein, das Resistenz gegenüber dem Antibiotikum Neomycin verleiht. Durch Behandlung der Spender-Kultur mit einer toxischen Dosis des Antibiotikums starben alle Zellen ab, die das zuvor zugefügte DNA-Material nicht aufgenommen hatten. Beim Einbau in das Erbgut besteht zwar die Gefahr, daß vorhandene Gene unterbrochen werden. Doch trotz der genetischen Manipulation lag schließlich der Anteil der Kerntransfer-Embryonen, die sich bis zur Geburtsreife entwickelten, in der gleichen Größenordnung wie bei unseren früheren Experimenten.
Das erste so erzeugte transgene Schaf, Polly, kam im Sommer 1997 zur Welt. Sie und weitere weibliche transgene Klon-Schafe geben den menschlichen Faktor IX mit ihrer Milch ab, weil das Gen mit einem Steuerelement für die Milchdrüsen ausgestattet ist. Die bisherigen Erfahrungen deuten darauf hin, daß es durch Klonen nach diesem Prinzip einmal möglich sein wird, in jedwede Säugerart gezielte genetische Veränderungen einzubringen und zugleich die veränderten Tiere in mehrfacher Kopie zu erzeugen – vorausgesetzt, aus der betreffenden Art lassen sich Eizellen in ausreichender Zahl isolieren. Die Methoden hierfür sind noch zu perfektionieren.
Geht es darum, milchlieferndes Vieh pharmazeutisch interessante Femdproteine produzieren zu lassen, dürften Euterzellkulturen als Kernspendermaterial einen besonderen Vorteil bieten. Ein neues DNA-Konstrukt muß vorab erst einmal darauf getestet werden, ob es wirklich gewährleistet, daß das gewünschte Protein mit der Milch nach außen abgegeben wird. An Großtieren wäre das viel zu aufwendig. Bis vor kurzem gab es nur einen praktikablen Weg: mit diesem Konstrukt transgene weibliche Mäuse zu erzeugen und deren Milch zu analysieren. An kultivierten Milchdrüsenzellen der gewünschten Nutztierart sollte jedoch direkt die Nagelprobe möglich sein. Dies wird das Austesten geeigneter Konstrukte erheblich beschleunigen; außerdem ließen sich gleich jene Zellen als Spender heraussieben, in deren Erbgut die Fremd-DNA so eingebaut ist, daß sie eine effektive Proteinsekretion gewährleistet.
Die Kombination von Klonen und gentechnischem Eingriff hat zahlreiche weitere Anwendungsmöglichkeiten. Ein vielversprechendes Feld ist die nun rasch mögliche Erzeugung von Großtieren mit Gendefekten: als Modelle für menschliche Krankheiten. Meist verwenden Forscher zu diesem Zweck zwar die Maus, doch mitunter hat sie gewisse Nachteile. So läßt sich eine bestimmte Erbkrankheit – die Mukoviszidose oder cystische Fibrose – nur bedingt an dem Nager nachahmen, da sein verantwortliches Gen erheblich von dem menschlichen abweicht. Zudem bestehen Unterschiede im Feinbau der Lunge; gerade dieses Organ ist aber bei Patienten besonders beeinträchtigt. Schafe ähneln in ihrer Lunge eher dem Menschen, sollten sich deshalb besser zur Erforschung dieser Krankheit eignen. Und weil sie mehrere Jahre alt werden können, lassen sich an ihnen auch die langfristigen Wirkungen und Folgen einer zu erprobenden Therapie untersuchen.
Das planmäßige Einführen von Gendefekten in Tiere wirft allerdings provokative ethische Fragen auf. Doch akzeptiert die Gesellschaft offenbar mehrheitlich die Forschung an Tieren, zumindest dann, wenn es dabei um schwere menschliche Erkrankungen geht und alles getan wird, um den Geschöpfen unnötiges Leid zu ersparen.
Ein weiteres Einsatzfeld für trans-gene Tiere ist die Transplantationsmedizin. Derzeit sterben jährlich Tausende von Patienten, weil sie nicht rechtzeitig ein passendes Herz, eine neue Niere oder Leber bekommen. Organe aus Schweinen könnten Ersatz sein, würde das menschliche Immunsystem sie nicht sofort heftig angreifen. Auslöser für diese sogenannte hyperakute Abstoßung sind bestimmte abgewandelte Molekülstrukturen auf der Oberfläche von Schweinezellen; beim Menschen kommen sie nicht vor, weil ihm das dafür zuständige Enzym, die Alpha-Galaktosyl-Transferase, fehlt. Deshalb müßten die Organe von genetisch veränderten Schweinen, deren Enzym ausgeschaltet ist, für den Menschen besser verträglich sein. Andere, weniger heftige Formen der Ab-stoßung wären damit zwar noch nicht umgangen, doch dürften sich diese unter Umständen medikamentös unterdrücken lassen.
Tiere mit maßgeschneiderten genetischen Eigenschaften könnten ferner als Spender für therapeutisches Zellmaterial dienen – zur Behandlung so bedeutender Erkrankungen wie Parkinson, Diabetes und erblich bedingtem Muskelschwund. Bei keinem dieser Leiden läßt sich die fortschreitende Verschlechterung völlig aufhalten. Die pathologischen Prozesse schädigen bestimmte Arten oder Gruppen von Zellen, die weder sich selbst reparieren noch ihre gelichteten Reihen wieder auffüllen können. Als Ersatz denkbar sind in Kultur vermehrte Zellen, die vom Patienten selbst stammen, sowie solche von menschlichen Spendern oder eben von Tieren. Alle diese Ansätze werden derzeit erforscht.
Transplantierte Ersatzzellen dürfen allerdings keinesfalls Krankheiten übertragen und müssen möglichst genau den physiologischen Ansprüchen des Zielorganismus gerecht werden. Falls sie eine Immunantwort hervorrufen, muß sich diese beherrschen lassen. Geklonte Tiere, zur Minimierung der menschlichen Immunreaktion genetisch maßgeschneidert, wären unter Umständen eine ergiebige Quelle für geeignete Zellen. Sie könnten sogar Zellen mit speziell angepaßten Fähigkeiten liefern, freilich besteht dann das Risiko, daß die entsprechenden Veränderungen eine stärkere Immunreaktion auslösen.
Via Klonen ließen sich übrigens auch Herden von Rindern aufbauen, bei denen das Gen für das Prionprotein ausgeschaltet ist. Dieses Gen macht die Tiere anfällig für die als Rinderwahnsinn bekannte Bovine spongiforme Encephalopathie (BSE). Da etliche Medikamente als Hilfsstoff Rinder-Gelatine enthalten (bei Kapseln) und eine bestimmte Form von Insulin ebenfalls aus Rindern stammt, wurde die Besorgnis laut, die als BSE-Erreger verdächtigten Prionen könnten auf diesem Wege Patienten infizieren. Neu geschaffene Rinderbestände mit ausgeschaltetem Prionprotein-Gen wären Rohstofflieferanten für garantiert prionenfreie Medikamente.
Doch zurück zum Ersatz von Zellen. Einige der ehrgeizigsten Vorhaben in der medizinischen Forschung befassen sich mit der Gewinnung und Züchtung universeller menschlicher Spenderzellen für den Zell- und Gewebeersatz. Bei der Maus ist es bereits länger möglich, aus sehr frühen Embryonen undifferenzierte »Stammzellen« zu isolieren, die zu sämtlichen Geweben des erwachsenen Tieres beitragen können. Ähnliche Zellen lassen sich auch bei einigen anderen Tierarten gewinnen, und vor kurzem ist dies sogar beim Menschen gelungen. Wissenschaftler sind gerade dabei herauszufinden, wie sie Stammzellen in Kultur gerichtet zur Differenzierung bringen können. Vielleicht ist es schließlich auf diesem Wege einmal möglich, Zellen zur Reparatur oder als Ersatz für krankheitsgeschädigte Gewebe zu züchten.
Körperfremde Zellen werden allerdings gewöhnlich abgestoßen. Mit dem Kerntransfer-Verfahren ließen sich jedoch Stammzellen gewinnen, die mit dem einzelnen Patienten übereinstimmen und daher keine Immunabwehr auslösen. Zu diesem Zweck müßte eigens ein Klon-Embryo erzeugt werden: Kernspender wäre dabei eine Zelle des Patienten, Empfänger eine unbefruchtete »entleerte« menschliche Eizelle. Der Klon-Embryo würde in einem Nährmedium so weit wachsen, bis man aus ihm die gewünschten Stammzellen isolieren und in Kultur weitervermehren kann. In diesem Stadium besteht er bloß aus ein paar hundert Zellen, die noch nicht begonnen haben, sich zu differenzieren. Insbesondere hat die Entwicklung seines Nervensystems noch nicht eingesetzt, mithin verfügt er über keinerlei Mittel, Schmerz zu verspüren und seine Umgebung wahrzunehmen. Die derart gewonnenen differenzierungsfähigen Stammzellen dürften sich zur Behandlung einer Reihe schwerer Erkrankungen eignen: Neben Diabetes, erblichem Muskelschwund und der Parkinson-Krankheit gehört dazu vielleicht auch AIDS.
Menschliche Embryonen zum Zweck der Zellgewinnung heranzuziehen wäre ein Unterfangen, das manche Menschen zutiefst ablehnen. Ein Embryo hat das Potential, sich zu einer Persönlichkeit zu entwickeln, und deswegen erachten ihn manche bereits von der Empfängnis an als sakrosankt. Diese Sichtweise ist zu respektieren, ich neige jedoch zu einer anderen. Der frühe Embryo ist ein Zellaggregat bar jeglichen Bewußtseins und jedweder Wahrnehmungsfähigkeit, daher noch keine Person. Erst viel später in seiner Entwicklung wird er zu einem empfindenden Wesen. In Großbritannien hat unter anderem die Human Genetics Advisory Commission, ein von der Regierung eingesetztes Fachberatergremium, mittlerweile empfohlen, eine eingeschränkte Art des Klonens zur Erforschung neuer Behandlungsmethoden zu erlauben, das Klonen von Menschen zu Fortpflanzungszwecken aber zu verbieten.
Die Erzeugung eines Embryos eigens zur Behandlung eines bestimmten Patienten wäre freilich ein ziemlich aufwendiges und damit kostspieliges Vorhaben. Praktikabler dürfte es sein, aus verschiedenen geklonten Embryonen eine Bank für stabile humane Stammzell-Linien anzulegen, die sich unbegrenzt in Kultur züchten und einmal nach Bedarf zu einer gerichteten Differenzierung anregen ließen. Zwar würden solche Zellen nicht völlig genetisch zu einem Patienten passen, doch die resultierende Abwehrreaktion wäre wahrscheinlich beherrschbar, wenn die für konventionelle Transplantationen geltenden Regeln eingehalten werden.
Auslegungssache – Einheitliche Regelungen zum Embryonenschutz fehlen.
Das deutsche »Gesetz zum Schutz von Embryonen«, das seit dem 1.1.1991 in Kraft ist, verbietet das Klonen ebenso wie die künstliche Veränderung menschlicher Keimbahnzellen; Experten haben aber auf mögliche Regelungslücken etwa bei der Kombination beider Verfahren hingewiesen.
Ein Klon im Sinne des Gesetzes ist ein »Embryo mit der gleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Fetus, ein Mensch oder ein Verstorbener«. Als Embryo gilt »bereits die befruchtete, entwicklungsfähige Eizelle«, sobald sich ihr Erbgut und das des Spermiums vereinigt haben, ferner »jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich« unter geeigneten Bedingungen »zu einem Individuum entwickeln vermag«.
Der Transfer eines genetisch deutlich veränderten Zellkerns in eine entkernte unbefruchtete Eizelle wäre somit nicht eindeutig verboten. Wie entscheidend der Wortlaut sein kann, hat sich erst jüngst in den USA gezeigt. Dort dürfen keine staatlichen Fördermittel für Forschungen an Embryonen vergeben werden. Als im November vergangenen Jahres James Thomson und sein Team an der Universität von Wisconsin in Madison die gelungene Kultivierung menschlicher embryonaler Stammzellen veröffentlichten, fragten sich Wissenschaftler, die mit diesen Zellen weiterforschen wollten, ob sie auf staatlicher Förderung verzichten müssen.
Nein – so das US Department of Health- and Human Servicees. Begründung: Als ein Embryo wird in dem Gesetzestext jeglicher »Organismus« bezeichnet, der sich durch Befruchtung, Jugfernzeugung, Klonen oder irgendeinen anderen Weg« herleitet. Die isolierten embryonalen Stammzellen seine jedoch kein »Organismus« und könnten sich nach Einbringen in die Gebärmutter auch zu keinem mehr entwickeln.
Langfristig ist allerdings ein alternativer Weg denkbar, der sowohl eine Abstoßung ausschlösse als auch die ethischen Probleme umginge: die direkte »Entdifferenzierung« von Zellen eines Patienten, das heißt, die Erzeugung körpereigener »Stammzellen« ohne Zuhilfenahme eines Embryos. Die Forschungen hierzu laufen.
Klonen könnte in speziellen Fällen eventuell auch den Wunsch erbkranker Eltern nach gesunden Kindern erfüllen helfen. Gegenwärtig arbeiten zahlreiche Wissenschaftler an Methoden, Gen- defekte in bestimmten Körperzellen – den blutbildenden etwa – durch Einschleusen intakter Gene zu heilen. Doch selbst wenn die Behandlung gelingt, würden die Patienten über ihre Geschlechtszellen den Gendeffekt nach wie vor an die Nachkommen weitergeben. Wenn in Zukunft einmal ein betroffenes Paar einen gezeugten Embryo durch fortgeschrittene Formen der Gentherapie behandeln lassen wollte (und die gesetzlichen Regelungen des jeweiligen Landes es zuließen), so würde man Zellkerne aus erfolgreich modifizierten embryonalen Zellen in »entkernte« Eizellen transferieren, und daraus könnten nach Reimplantation Kinder entstehen, die von der fraglichen Krankheit vollkommen befreit wären.
Verschiedene Wissenschaftler und Kommentatoren halten es unter Umständen vielleicht für ethisch vertretbar, existierende Menschen zu klonen – etwa im Falle eines sterbenden Kindes. Bedenken bestehen allerdings, daß ein solches geklontes Wesen nicht als völlig eigenständiges Individuum – was es wäre – behandelt würde, sondern wahrscheinlich als die Wiedergeburt seines verstorbenen »genetischen Zwillings«, mit all den dazugehörenden Erwartungen. Und diese könnten fehlgehen, denn die Persönlichkeit eines Menschen wird nur zum Teil durch seine Gene bestimmt. Es ist durchaus möglich, daß der Klon etwa eines extrovertierten Menschen einen in sich gekehrten Charakter entwickelt – oder daß Klone von Sportlern, Filmstars, Unternehmern oder Wissenschaftlern aufgrund zufälliger Ereignisse in ihrer eigenen Biographie ganz andere Berufe ergreifen.
Ferner kam die Idee auf, unfruchtbare Paare könnten sich vielleicht für das Klonen entscheiden. Ein auf diese Weise entstandenes Kind wäre jedoch die genetische Kopie nur eines der beiden Partner, und somit ist fraglich, ob die Eltern es normal behandeln würden. Da für Infertilität bereits Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen, erscheint eine konventionelle, allerdings nicht immer erfolgreiche Behandlung angemessener.
Keine der vorgeschlagenen Anwendungen des Klonens, die auf ein Kopieren existierender Menschen abzielen, ist meines Erachtens ethisch vertretbar, da sie dem Interesse des entstehenden Kindes zuwiderlaufen. Es versteht sich von selbst, daß ich es auch strikt ablehne, geklonte menschliche Embryonen herzustellen, um sie nach fortgeschrittener Entwicklung – wenn Organe angelegt sind – als Spender für Transplantationszwecke zu verwenden.
Dessen ungeachtet scheint klar, daß das Klonen aus kultivierten Zellen bedeutende medizinische Möglichkeiten eröffnet. Prognosen über Wert und Einsatz neuer Technologien liegen freilich oft falsch: Gesellschaftliche Einstellungen wandeln sich in den einzelnen Kulturkreisen, und unerwartete Entwicklungen treten auf. Welche Möglichkeiten letztlich genützt und auch akzeptiert werden, bleibt abzuwarten.
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