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Künftige Raumfahrzeuge

Um tiefer in den Weltraum vorzudringen, brauchen die Menschen wirksamere Methoden und billigere Vehikel. An ausgefallenen Ideen mangelt es nicht.


Das Jahr 1996 war ein Meilenstein in der Geschichte der Raumfahrt: Nach einer Studie der amerikanischen Bilanzprüfungsfirma KPMG Peat Marwick lagen die weltweit erzielten Gewinne – insgesamt 130 Milliarden Mark – erstmals über den öffentlichen Ausgaben für die Raumfahrt. Und das Wachstum geht weiter. Im Jahre 1997 wurden etwa 150 zivile und militärische Nutzlasten in den Weltraum befördert; darunter waren 75 kommerzielle – dreimal so viele wie im Jahr zuvor. Jonathan McDown von der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) schätzt, daß auch für 1998 ähnliche Zahlen gelten. Marktanalysen zufolge wird sich die Anzahl der kommerziellen Raketenstarts zumindest in den nächsten Jahren vervielfachen. Zwischen 1998 und 2004 sollen insgesamt 1200 Nachrichtensatelliten den Betrieb aufnehmen. Kurz, eine regelrechte Goldgräberstimmung macht sich breit.

Weltraum-Enthusiasten fiebern dem Tag entgegen, an dem außer professionellen Astronauten auch normale Passagiere zu einer Raumstation oder gar zu einer Mond- oder Marsbasis reisen werden. Die Space Transportation Association, eine Lobby der amerikanischen Raumfahrtindustrie, gründete vor kurzem eine Abteilung zur Förderung des Weltraumtourismus, um das Wirtschaftswachstum jenseits der Erde anzukurbeln. Der größte Stolperstein auf dem Weg zu den Sternen ist der Aufwand beim Verlassen der Erde. Schon das Erreichen einer Umlaufbahn ist teuer und riskant. Erst recht mühselig ist es, mit der gängigen Antriebstechnik Raumsonden zu entlegenen Zielen im Sonnensystem zu bringen: Sie müssen jahrelange Umwege um einen oder mehrere Planeten nehmen, um von deren Schwerkraft Schwung zu holen, und haben dann keine Energie mehr für die Rückkehr zur Erde. Eine Reise zu anderen Sonnensystemen würde viele Jahrhunderte dauern.

Zum Glück mangelt es den Ingenieuren nicht an Plänen für neuartige Antriebssysteme. Manche sind radikale Verbesserungen herkömmlicher Raketen- oder Flugzeugtechnik. Andere nutzen Kernenergie oder leistungsstarke Laserstrahlen. Sogar "Weltraumaufzüge", die Lasten in eine Umlaufbahn heben sollen, sind im Gespräch.

"Ist erst einmal eine erdnahe Umlaufbahn erreicht, hat man den halben Weg zu jedem Ort im Sonnensystem hinter sich", schrieb Science-Fiction-Autor Robert A. Heinlein schon in den fünfziger Jahren. Fast alle Fachleute sind sich einig, daß das kostengünstige Erreichen einer niedrigen Umlaufbahn der entscheidende erste Schritt ist. Die meisten Szenarien sehen die Montage großer Raumschiffe und anderen Geräts in der Erdumlaufbahn vor, und dafür sind jedoch zahlreiche Raketenstarts nötig.

Schon jetzt besteht erhebliche private und öffentliche Nachfrage nach besseren Transportsystemen. Die meisten kommerziellen Nutzlasten sind entweder für die inzwischen überfüllten geostationären Umlaufbahnen in 36000 Kilometern Höhe bestimmt oder aber für erdnahe, wenige hundert Kilometer hohe Bahnen. Letztere gewinnen zusehends an Bedeutung, weil derart nahe Satelliten mit Tischgeräten – oder sogar mit tragbaren Empfängern – kommunizieren können.

Auch die Anzahl wissenschaftlicher Nutzlasten nimmt gewaltig zu. Für die kommenden zehn Jahre sind mehr als 50 größere Missionen zu Objekten im Sonnensystem geplant. Die Häufigkeit solcher Starts wird gewiß noch steigen, wenn die amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde NASA sich wie geplant auf schnellere, leistungsfähigere und billigere Raumfahrzeuge konzentriert: Die jetzt entwickelten wissenschaftlichen Missionen kosten nur ein Drittel des zu Beginn der neunziger Jahre Üblichen.

Die Internationale Raumstation wird im Laufe ihrer vermutlich 15jährigen Lebensdauer außer den geplanten 43 Montageflügen noch Dutzende weitere Starts erfordern, um Besatzungsmitglieder, Treibstoff und andere Frachten heranzuschaffen. Auch werden in den kommenden Jahren zahlreiche Flugkörper die Atmosphäre verlassen, um die Erde zu beobachten – von geheimen Spionagesatelliten über Wettersatelliten bis zu hochmodernen Plattformen zur Überwachung globaler Umweltveränderungen. Wegen des dringenden Bedarfs an Raketenstarts hat sich die Raumfahrtabteilung der Firma Boeing mit RSC-Energia in Moskau und Kvaerner Maritime in Oslo zusammengeschlossen, um eine ausgediente Ölplattform zu einer 34000 Tonnen schweren schwimmenden Raketenrampe umzurüsten, die in günstige Startposition geschleppt werden soll.



Ein teures Vergnügen



Selbst die nüchternsten Wissenschaftler sähen es gerne, wenn noch viel mehr Forschungssonden die irdische Umwelt überwachen und das Sonnensystem erforschen würden. Visionäre träumen sogar schon von einer florierenden Weltraumindustrie, die begehrte Mineralien auf Asteroiden oder Planeten abbaut und die dafür erforderliche Energie sowie lebensnotwendige Gase aus der jeweiligen Atmosphäre extrahiert. Wie K. R. Sridhar von der Universität von Arizona betont, müssen Weltraumpioniere von der Umgebung leben; dafür hat er eine elektrochemische Zelle entwickelt, die aus der Marsatmosphäre Sauerstoff gewinnen soll. Schon hat die Firma SpaceDev laut über den Abbau von Mineralien auf Asteroiden nachgedacht und sich für ihren überstürzten Enthusiasmus einen Tadel der US-amerikanischen Bankenaufsicht eingehandelt. Einige Träumer möchten sogar allen Ernstes mit Sonden in die Tiefen des interstellaren Raums vordringen.

Die enorme Nachfrage nach einer Fahrkarte in den Weltraum ist angesichts ihrer extrem hohen Kosten bemerkenswert. Konventionelle Raketen – bislang zumeist im Regierungsauftrag entwickelt – kosten für jedes in eine erdnahe Umlaufbahn beförderte Kilogramm Nutzlast mehr als 30000 Mark. Die US-Raumfähre, die inzwischen von der United Space Alliance betrieben wird, einem privaten Gemeinschaftsunternehmen von Boeing und Lockheed Martin, war eigentlich als billiges Transportmittel gedacht, doch sie kostet nicht weniger als herkömmliche Stufenraketen. Seit dem Challenger-Unglück von 1986 steht das Space Shuttle ohnehin für kommerzielle Missionen nicht mehr zur Verfügung. Selbst wenn eine Raumfähre für 50 Passagiere ausgestattet wäre, würde jedes Ticket mindestens 14 Millionen Mark kosten.

Heutige Shuttle-Flüge sind so teuer, weil die zwei Booster (Feststoff-Hilfstriebwerke) für ein paar Minuten Betriebsdauer gewaltige Massen an Oxidator und Treibstoff mitführen müssen und jedes Mal noch in der Erdatmosphäre verglühen; außerdem läßt sich die Raumfähre nur eingeschränkt wiederverwenden. Lange hofften die Ingenieure, sie könnten die Startkosten mittels komplett wiederverwendbarer Shuttles senken, die wie moderne Verkehrsflugzeuge zwischen den Flügen lediglich aufgetankt und einigen technischen Überprüfungen unterzogen würden. In den letzten Jahren sind Firmen entstanden, in denen ehemalige Spitzenkräfte der NASA die Startkosten energisch zu reduzieren suchen. Die meisten entwickeln vorhandene Technologien weiter, um kleine Nutzlasten kommerziell günstig in eine niedrige Erdumlaufbahn bringen zu können.

Die Risiken des Raketenbaus sind nicht zu unterschätzen, selbst bei konventioneller Antriebstechnik. Der Prototyp der Boeing Delta 3 – des ersten privat entwickelten großen Boosters seit Jahrzehnten – explodierte im vergangenen August kurz nach dem Start in Cape Canaveral. Zwei Wochen zuvor war an gleicher Stelle eine von der US-Luftwaffe und Lockheed Martin gemeinsam entwickelte Titan 4A detoniert, und 1996 hatte die neue Trägerrakete der europäischen Arianespace einen kostspieligen Fehlstart. In den USA sind mehrere staatlich geförderte Versuche, neuartige Wegwerf-Raketen zu entwickeln, am Mißverhältnis zwischen Kosten und Nachfrage gescheitert.

Doch die neuen Raumfahrt-Unternehmen lassen sich nicht so leicht entmutigen. Eines der kapitalkräftigsten ist Kistler Aerospace in Kirkland (US-Bundesstaat Washington); es baut derzeit die ersten beiden von fünf geplanten Trägerraketen mit russischen Triebwerken. Die erste Stufe soll nach dem Start zur Abschußbasis zurückkehren, die zweite vor der Rückkehr die Erde umrunden. Beide Stufen sollen an Fallschirmen herabschweben und auf aufblasbaren Luftkissen landen. Die Firma hat bereits über 700 Millionen Mark beisammen und sucht weitere Hunderte Millionen aufzutreiben; trotz der weltweit schwierigen Wirtschaftslage will sie noch in diesem Jahr mit Starts beginnen. Die Privatfirma Beal Aerospace Technologies in Texas entwickelt gerade eine dreistufige Trägerrakete, die im Herbst 2000 abheben soll; später ist an eine wiederverwendbare Version gedacht.



Weltraum-Pioniere



Mehrere Unternehmen möchten die Raketen von mitgeführtem Flüssigsauerstoff entlasten, indem sie horizontal startende und landende Flugkörper entwerfen, die den Sauerstoff der irdischen Lufthülle nutzen. Pioneer Rocketplane in Vandenberg (Kalifornien) entwickelt ein leichtes zweisitziges Gerät, das sowohl mit einem Raketentriebwerk als auch mit herkömmlichen Turbojets ausgestattet ist. Dieses Flugzeug trägt in seiner kleinen Ladebucht eine Nutzlast und eine zweite Antriebsstufe. Es hebt mit seinen Strahltriebwerken von einer gewöhnlichen Startbahn ab und steigt bis auf 6100 Meter; dort wird es von einem Tankflugzeug mit 64 Tonnen Flüssigsauerstoff versorgt. Danach zündet der Raketenantrieb und trägt das Flugzeug mit Mach 15 (fünfzehnfacher Schallgeschwindigkeit) auf 113 Kilometer Höhe. Dort setzt es die Nutzlast und die zweite Stufe frei. Das größte technische Problem ist nach Meinung der Firma ein fehlerfrei funktionierender Mechanismus für das Betanken mit flüssigem Sauerstoff.

Auch bei Kelly Space and Technology arbeitet man an einem horizontal startenden Raumflugzeug für Satellitentransporte. Es soll sogar Nutzlasten bis zu 32 Tonnen befördern können. Der Astroliner, der einer kleinen Raumfähre ähnelt, soll versuchsweise bis in 6100 Meter Höhe geschleppt werden. Dort werden die Raketentriebwerke geprüft und entschieden, ob das Gerät bis in 122 Kilometer Höhe aufsteigt oder zur Startbasis zurückkehrt. Die ersten beiden Flugkörper dieses Typs sollen etwa 825 Millionen Mark kosten. Derzeit wirbt Kelly um Investoren.

Andere Firmen sind technisch wagemutiger. Eines der interessantesten ist Rotary Rocket in Redwood City (Kalifornien), das derzeit eine bemannte Rakete namens Roton konstruiert, die vertikal startet und landet. Die auffallendste Neuerung ist das Triebwerk: 96 Brennkammern sind in einer horizontalen Scheibe von sieben Metern Durchmesser untergebracht, die vor dem Start auf 720 Umdrehungen pro Minute gebracht wird. Die Fliehkraft preßt Oxidator und Treibstoff in die Brennkammern, so daß keine großen und teuren Turbopumpen nötig sind und der Flugkörper mit nur einer einzigen Stufe in die Erdumlaufbahn gelangt. Die Roton kehrt schließlich mit Hilfe von ausklappbaren Rotorblättern, die von winzigen Raketen an den Enden angetrieben werden, zur Erde zurück.

Nach Einschätzung von Rotary Rocket lassen sich mit die-sem Flugkörper Nutzlasten für ein Zehntel des heute üblichen Preises in erdnahe Umlaufbahnen bringen. Der Jungfernflug ist für das Jahr 2000 vorgesehen. Das Unternehmen hat bereits einzelne Brennkammern getestet und möchte noch in diesem Jahr Flüge in der Atmosphäre durchführen. Der Entwurf "hat viele Tücken", meint Mark R. Oderman, geschäftsführender Direktor von CSP Associates in Cambridge (Massachusetts), der neue Raketentechnologien begutachtet. Er sieht bei Roton viele Faktoren "mit hohen technischen und finanziellen Risiken".

Space Access in Palmdale (Kalifornien) plant einen völlig andersartigen, aber nicht minder kühn konzipierten Flugkörper. Ein schweres Weltraumflugzeug soll mit einem patentierten Triebwerk, dem Ejektor-Ramjet, horizontal starten und landen. Der neue Antrieb, der am Boden schon getestet wurde, beschleunigt das Flugzeug nach Firmenangaben aus dem Stand auf Mach 6 – eine Leistung, die ihresgleichen sucht: Damit wäre das Triebwerk zehnmal leistungsstärker als alle bisher verfügbaren.

Bei Mach 6 zündet das Flugzeug zwei Flüssigwasserstoff-Raketen. Bei Mach 9 öffnet sich seine Nase wie der Rachen eines Krokodils und gibt die zweite und dritte Stufe sowie die Nutzlast frei. Alle Stufen haben Tragflächen und kehren zur Startbasis zurück, wo sie horizontal landen. Das Flugzeug von Space Access vermag Nutzlasten von rund 14 Tonnen zu befördern – soviel wie die Space Shuttle. Die kommerzielle Nutzung ist ab 2003 geplant.

Den bekanntesten Träger, die X-33, baut derzeit Lockheed Martin in Palmdale (Kalifornien) im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts der NASA und der Privatindustrie, mit dem die Startkosten auf ein Zehntel gesenkt werden sollen. Die X-33 ist ein kleiner experimenteller Flugkörper, der einen Raketenantrieb namens linear aerospike (etwa: linearer Luftbolzen) erproben soll. Auf dem Papier kann der Antrieb einen vollständig wiederverwendbaren, senkrecht startenden Träger mit einer einzigen Triebwerksstufe in die Umlaufbahn befördern, wobei er sich automatisch an die Luftdruckänderung anpaßt. Doch die X-33, die selbst noch keine Erdumlaufbahn erreicht, gerät an die Grenzen heutiger Konstruktionstechnik. Einige Beobachter bezweifeln inzwischen, daß sie der NASA genügend Informationen darüber zu liefern vermag, ob die Behörde über 2020 hinaus die heutigen teuren Raumfähren einsetzen muß oder ab etwa 2012 allmählich auf billigere Alternativen umsteigen kann.

Der Jungfernflug der X-33 hat sich durch Schwierigkeiten beim Bau der Triebwerke um mindestens sechs Monate verzögert – bis Ende dieses Jahres. NASA-Chefingenieur Daniel R. Mulville zufolge sind nach Abschluß der Testflüge gegen Ende 2000 noch ein bis zwei Jahre Entwicklungsarbeit nötig, bevor über den Bau einer großen einstufigen Trägerrakete entschieden werden kann. Hingegen will sich Lockheed Martin mit seinem Träger namens VentureStar schon bis Ende 2000 festlegen. Ein Problem ist freilich, daß es nirgendwo auf der Welt einen Autoklaven gibt, der groß genug wäre, den aus Verbundwerkstoff bestehenden Flüssigwasserstofftank des VentureStar zu fertigen. Auch an den Metallkacheln, die den Flugkörper vor der Hitze beim Wiedereintritt in die Lufthülle schützen sollen, muß noch gearbeitet werden.

Zwar ist der VentureStar – laut Marcia S. Smith vom Forschungsdienst des Kongresses – als mögliche amerikanische Trägerrakete vorgesehen, doch das könnte die Zeitpläne durcheinanderbringen, denn der erste VentureStar soll unbemannt starten. Die NASA hat kürzlich bei der Industrie angefragt, ob sich zu Beginn des kommenden Jahrhunderts sowohl Personen als auch Nutzlasten in die Umlaufbahn bringen lassen. Mit einem kleineren Fluggerät, der X-34, werden zur Zeit mögliche Detaillösungen erforscht: Noch in diesem Jahr will man damit zweistufige Träger und einen neuen Typ wiederverwendbarer Keramikkacheln testen.

Zusätzlich forciert die NASA neuerdings wieder die Arbeit an Hyperschall-Strahltriebwerken; dieser Antriebstyp führt ein Schattendasein, seit das National Aerospace Plane Program zur Entwicklung eines kombinierten Luft- und Raumfahrzeugs im November 1994 gestrichen worden ist. Sogenannte Scramjets saugen Luft an wie herkömmliche Düsentriebwerke, funktionieren aber noch bei Geschwindigkeiten von mehr als Mach 6. Vielleicht läßt sich damit ein einstufiger Raumflugkörper realisieren. Von 2000 an sollen mehrere unbemannte Scramjet-Protoptypen zehnfache Schallgeschwindigkeit erreichen und anschließend in den Pazifik stürzen (siehe Kasten Seite 82.

Wie NASA-Mitarbeiter Gary E. Payton allerdings einschränkt, muß die einströmende Luft verlangsamt werden, da anderenfalls zu wenig Schub und zuviel Abwärme entsteht. Im Prinzip löst eine am Lufteinlaß erzeugte Schockwelle das Problem, doch dabei geht viel Energie verloren.

Eine Alternative wäre ein Luftstrahltriebwerk, das auch als Rakete funktioniert – und zwar sowohl bei langsamem Flug als auch in allzu dünner Luft, wo Raumflugkörper Geschwindigkeiten um Mach 10 erreichen sollen. Solche Kombi-Raketen gibt es vorläufig nur in Windkanaltests; sie müssen in passend geformte Flugkörper integriert werden, um genügend Schub zu erzeugen. Die NASA hat kürzlich im Rahmen ihres neuen Future-X-Programms die Firma Boeing an der Entwicklung eines Hyperschall-Testflugzeugs beteiligt. Wenn alles gut läuft, so Payton, können zwischen 2004 und 2006 die ersten Testflüge mit Kombi-Raketen stattfinden.



Jenseits der Lufthülle



Sobald ein Raumfahrzeug die Atmosphäre verlassen hat und mit rund Mach 25 in den Erdumlauf einschwenkt, stellen sich völlig andere technische Probleme. Große Schubleistung ist nicht mehr nötig, da der Flugkörper weder Schwerkraft noch Luftwiderstand überwinden muß. Nun kommt insbesondere der Ionenantrieb ins Spiel, den gegenwärtig das NASA-Raumfahrzeug Deep Space 1 mitführt (siehe Bild auf Seite 93). In solchen Triebwerken beschleunigen starke elektrische Felder die geladenen Atome (Ionen) eines Treibstoffs auf hohe Geschwindigkeit. Die rückwärts ausgestoßenen Ionen verleihen dem Flugkörper Schub. Der momentan bevorzugte Treibstoff ist Xenon.

Bei Deep Space 1 liefern Solarzellen die Energie, doch theoretisch käme jede beliebige Form der Stromerzeugung in Frage. Ionentriebwerke können pro Kilogramm Treibstoff fast zehnmal so viel Schub erzeugen wie chemische Raketen; deshalb erzielt ein Ionenantrieb trotz seiner geringen Schubkraft mit der Zeit extrem hohe Geschwindigkeiten. Nach James S. Sovey vom Lewis-Forschungszentrum der NASA würden ionengetriebene Langzeitmissionen zu Uranus und Neptun viel mehr Daten liefern als die simplen Vorbeiflüge der Sonde Voyager 2 in den achtziger Jahren.

Während in diesen Triebwerken elektrisch geladene Metallgitter die Ionen beschleunigen, erzielen sogenannte Hall-Triebwerke mit radialen Magnetfeldern mehr Schub. Eine 50-Kilowatt-Version wurde schon getestet, und Prototypen erreichen laut Robert S. Jankovsky vom Lewis-Forschungszentrum ebenso gute Treibstoff-Wirkungsgrade wie Gitter-Ionentriebwerke. Solche Geräte sind vorläufig nur für erdnahe Missionen interessant, doch das könnte sich mit erhöhter Leistung ändern. Die US-Regierung hat bereits eine geheime Nutzlast mit einem Hall-Triebwerk erprobt, und die Firma Teledesic, die einen weltweiten Breitband-Telekommunikationsdienst anbieten möchte, wird für ihre Satellitenflotte solche Antriebe einsetzen.

Fast alle erdnahen Satelliten werden heute durch Solarzellen mit Energie versorgt. Für die Sonde Deep Space 1 hat die NASA einen besonders leistungsstarken Typ entwickelt, bei dem viele kleine Linsen das Sonnenlicht auf das photovoltaische Material bündeln.

Doch Sonnenenergie vermag auch direkt Schub zu erzeugen. Die US-Luftwaffe hat 80 Millionen Mark für ein vierjähriges Programm zur Entwicklung einer sonnenkraftgetriebenen Raketen-Endstufe bereitgestellt; sie soll Satelliten aus erdnahen auf geostationäre Umlaufbahnen befördern, und zwar wesentlich billiger als chemische Raketen. Das Solar Orbit Transfer Vehicle lenkt Sonnenlicht mittels eines leichten Spiegels auf einen Graphitblock, der dann bei 2100 Grad Celsius mitgeführten Flüssigwasserstoff verdampft. Das expandierende Gas erzeugt den Schub.

Zwar könnte es drei bis acht Wochen dauern, auf diese Weise Nutzlasten in eine geostationäre Umlaufbahn zu schaffen, doch aufgrund der Gewichtsersparnis würde für den Start vom Boden eine kleinere Rakete als heute üblich ausreichen. Die dadurch möglichen Einsparungen schätzt Boeings Projektleiter Thomas L. Kessler auf etwa 50 Millionen Mark pro Start.

Aber Sonnenkraft hat ihre Grenzen: Für Reisen über Jupiter hinaus ist sie kaum nutzbar. Bei der Galileo-Mission zum Jupiter und der Cassini-Mission zum Saturn wurden kleine Wärmekraftwerke eingesetzt; sie verwandeln die beim Zerfall des radioaktiven Isotops Plutonium-238 entstehende Wärme in Strom. Diese Technik läßt sich aber kaum zur Gewinnung größerer Energien einsetzen.

Viele Weltraumfans halten weltraumtaugliche Kernreaktoren für die Lösung. Da bei deren Betrieb radioaktiver Abfall entsteht, müßten die Reaktoren zunächst in inaktivem Zustand mit chemischen Raketen ins All befördert werden und dürften erst in sicherer Entfernung von der Erde den Betrieb aufnehmen, damit im Falle eines Fehlstarts keine Gefahr von ihnen ausgeht. Manchen Schätzungen zufolge würde ein Flug zum Mars mit Kernenergie nur 100 Tagen dauern – etwa halb so lange wie mit chemischem Antrieb. Ein Reaktor könnte auch eine Mars-Basis mit wertvoller Energie versorgen, meint NASA-Cheftechniker Samuel L. Venneri.

Kernreaktoren könnten auf verschiedene Art als Antrieb dienen. Eine Variante erzeugt auf direktem Wege für kurze Zeit starken Schub (siehe Kasten links). Damit ließen sich vielleicht sogar Gesteinsproben von Pluto zur Erde befördern. Ein Reaktor vermag aber auch über lange Zeitspannen Wärme zu produzieren, die dann in Strom umgewandelt wird – für Ionenantriebe, Hall-Triebwerke oder sogenannten magnetoplasmodynamischen Schub; diese neue elektrische Antriebsart steckt allerdings noch in einem frühen Entwicklungsstadium. "Man kann unterschiedliche Reaktor- und Triebwerk-Konstruktionen kombinieren und aufeinander abstimmen", sagt Gary L. Bennett, der ehemalige NASA-Verantwortliche für neuartige Raumantriebe. Doch da die Kernenergie in der Öffentlichkeit stark umstritten ist, stoßen Weltraumreaktoren auf enorme politische Hindernisse; darum verfolgt die NASA ihre Pläne auf diesem Gebiet momentan nicht weiter.



Exotische Antriebsformen



Trotz solcher Widerstände entwerfen findige Ingenieure und Wissenschaftler optimistische Szenarien für die Erforschung des Sonnensystems. So meint Ivan Bekey, ehemals hochrangiger NASA-Funktionär und heute Berater, durch intensive Bemühungen ließen sich die Startkosten während der nächsten 40 Jahre von über 30000 Mark pro Kilogramm auf nur 3 Mark senken.

Vollständig wiederverwendbare einstufige Trägerraketen könnten innerhalb der nächsten zehn Jahre die Kosten auf ein Zehntel senken. Die Kombination von Hyperschalltechnologie und Raketen mit neuen Hochleistungstreibstoffen würde die Starts noch einmal um den Faktor zehn verbilligen. Bekey schätzt, daß wiederverwendbare Einstufen-Systeme für jeweils 1000 Flüge pro Jahr die Startkosten auf rund 300 Mark pro Kilogramm drücken. Außerdem erwartet Bekey einiges von Magnetschwebekatapulten. Dabei soll der Flugkörper ähnlich wie ein Transrapid-Zug reibungslos über eine Schiene gleiten. Die Spur würde allmählich bis auf einen Winkel von 30 bis 40 Grad ansteigen – zum Beispiel an einem Berghang empor. Die Rakete würde auf der Schiene knapp Schallgeschwindigkeit erreichen und dann abheben.

In frühestens 20 Jahren erwartet Bekey Geräte mit Mikrowellenantrieb (siehe Kasten Seite 86). Den Schub liefern in diesem Fall magnetohydrodynamische Kräfte; sie entstehen, wenn leitfähige Flüssigkeiten oder Gase durch gekreuzte elektrische und magnetische Felder strömen. Die technischen Probleme sind freilich enorm – aber nicht unüberwindlich. Da die Antriebsenergie in Form von Strahlung zum Flugkörper transportiert wird, entfällt die Arbeit, Oxidator und Treibstoff gegen die Erdanziehung hinauf zu schaffen. Mit laser- oder mikrowellengetriebenen Raumflugkörpern sinken die Startkosten auf 30 Mark pro Kilogramm, versichert Bekey.

Manche Wissenschaftler glauben, solche Flugkörper könnten durch ein Netzwerk erdumkreisender Sonnenkraftwerke mit Strahlungsenergie versorgt werden. Prinzipiell bieten Solarkraftwerke im Weltraum große Vorteile, denn auf der Sonnenseite ihrer Erdumlaufbahn empfangen sie enorm viel Energie. Im Auftrag der engagierten Vorsitzenden des Unterausschusses für Luft- und Raumfahrt des Repräsentantenhauses, Dana Rohrabacher, untersucht die NASA die Eignung solcher Kraftwerke für die irdische Energieversorgung. Bisher habe sich das wirtschaftlich nicht gerechnet, sagt Samuel L. Venneri; aber mit aufblasbaren Konstruktionen in erdnahen Umlaufbahnen ließen sich die Kosten ein wenig senken. Andere meinen, weltraumgestützte Sonnenkraftwerke, die den fliegenden Untertassen im Film "Independence Day" ähneln, wären wirtschaftlich sinnvoller, wenn sie Flugkörper während ihres Aufstiegs durch die Lufthülle mit Energie versorgten.

Manche der Weltraum-Enthusiasten schwärmen von Seilen. Lange Verbindungskabel haben im Weltraum so erstaunliche Eigenschaften, daß sie fast einem Antriebsmittel gleichkommen. Ihr seltsames Verhalten beruht darauf, daß die Bahngeschwindigkeit von erdumkreisenden Objekten desto geringer wird, je weiter sie von der Erde entfernt sind. Zwischen zwei durch ein Seil verbundenen Satelliten, deren Bahnhöhen sich um ein paar hundert Meter unterscheiden, entsteht deshalb eine hohe Zugspannung.

Für die gekoppelten Körper gilt zudem das Gesetz der Drehimpulserhaltung. Das Seil wirkt wie eine riesige Schleuder, die Impuls von einer Nutzlast zur anderen überträgt und auf diese Weise Satelliten schnell zwischen Umlaufbahnen hin und her befördert. Elektrisch leitfähige Kabel können sogar zur Stromerzeugung dienen oder zusätzlichen Auftrieb erzeugen (siehe Kasten Seite 84). Venneri warnt allerdings vor der Schwierigkeit, das dynamische Verhalten großer erdumkreisender Vielkörpersysteme vorherzusagen und zu steuern.

Im Prinzip ist es sogar möglich, mit einem am Äquator befestigten Seil einen geostationären Satelliten gleichsam an die Leine zu legen. Klettermaschinen könnten an einem solchen Seil höchst energiesparend bis in eine Höhe von 36000 Kilometern gelangen.

Heutzutage läßt sich so ein Kabel freilich noch nicht bauen, da es aus viel reißfesterem und dennoch leichterem Material bestehen müßte als Kevlar, eine für Kletterseile gern benutzte Kunstfaser. Doch Bekey meint, die Lösung könnten sogenannte Nanoröhren sein: winzige Fasern aus röhrenförmig angeordneten Kohlenstoffatomen mit nur wenigen millionstel Millimetern Durchmesser. "Wenn wir es fertigbringen, daraus lange Schnüre zu ziehen und sie zu verarbeiten und zu bündeln, dann können wir ein 600mal stärkeres Seil herstellen", so seine zuversichtliche Prognose. Das wäre in der Tat mehr als ausreichend. Mit einem geostationären Seilsystem würden sich Bekey zufolge die Kosten eines Raketenstarts auf drei Mark pro Kilogramm Nutzlast reduzieren.



Mit Dampf ins All?



Ein besonders billiges, umweltschonendes und sicheres Antriebssystem könnte einfach auf heißem Wasser beruhen. An der Technischen Universität Berlin experimentiert ein Team unter Roger Lo seit Jahren mit der Dampfrakete Aquarius. Eine Weiterentwicklung von Harry Adirim und Martin Schwarz ist als rollende Starthilfe für Raumgleiter gedacht. Sie soll den Raumflugkörper beim horizontalen Start auf rund 600 Kilometer pro Stunde beschleunigen, ehe er mit seinem eigenen Antrieb in den Himmel steigt. Den Schub der Dampfrakete liefert gewöhnliches Wasser, das mit Heizstäben im Raketentank auf fast 300 Grad erhitzt wird. Bei einem Druck von 70 bar öffnet sich ein Auslaßventil, und das überhitzte Wasser entweicht durch eine Düse ins Freie, wobei es schlagartig verdampft und Schub erzeugt. Nach ersten Modellversuchen könnten schon 300 Liter Wasser ausreichen, um 200 Kilogramm Nutzlast auf 600 Stundenkilometer zu bringen. Gegenüber anderen Antriebsformen zeichnet sich die Heißwasserrakete durch ihre Ungefährlichkeit aus: Wenn der Tank platzt, tritt statt hochexplosiver oder radioaktiver Treibstoffe nur heißes Wasser aus.

Als wären all diese Pläne noch nicht ehrgeizig genug, spielen Visionäre schon mit der Möglichkeit, Raumschiffe zu einem anderen Stern zu schicken. Der vielversprechendste Ansatz scheinen derzeit Lichtsegel zu sein. Damit könnten zudem Nutzlasten innerhalb des Sonnensystems befördert werden.

Auch die theoretisch nahezu unerschöpflichen Energiemengen, die bei der Kernfusion frei werden, kämen prinzipiell für Raumantriebe in Frage. Zwar ist die kontrollierte Erzeugung nutzbarer Fusionsenergie bislang noch nicht einmal auf der Erde gelungen, doch im Weltraum könnte ein Fusionsreaktor ausreichend Energie liefern, um damit jeden beliebigen Ort im Sonnensystem zu erreichen.

Andere Ideen, die noch pure Science-fiction sind, werden gelegentlich für interstellare Flüge in Betracht gezogen – etwa Quanten-Teleportation oder Wurmlöcher in der Raumzeit. Diese weithergeholten Ideen setzen offenbar viel neuartige Physik voraus, und welcher technische Weg dorthin führt, läßt sich nicht einmal ahnen. Dennoch suchen ernstzunehmende Forscher nach Möglichkeiten, solche Pläne zu realisieren. Falls das je gelingen sollte, wird sich dadurch unsere Vorstellung vom Universum radikal verändern – und wer darf behaupten, Überraschungen seien ausgeschlossen


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1999, Seite 78
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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Zusätzliches Material zu diesem Artikel ist im World Wide Web zugänglich unter www.sciam.com/1999/0299issue/0299beardsley.html

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