Künstliche Planktonblüten durch Eisendüngung - ein probates Mittel zum Klimaschutz?
Durch Zugabe von Eisen lassen sich mikroskopisch kleine Algen im Meer zu starkem Wachstum anregen. Dabei verbrauchen sie große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid. Böte dies einen eleganten Ausweg aus der befürchteten Klimakatastrophe?
Der Name des US-Forschungsschiffs erinnerte an den Autor von "Moby Dick". Doch statt auf die größten Meeresbewohner hatten es die Wissenschaftler an Bord der "Melville" auf die kleinsten abgesehen: nur im Mikroskop erkennbare Einzeller, die als Bestandteil des Planktons (altgriechisch für "das Dahintreibende") die Ozeane besiedeln; aus eigener Kraft können sie sich nicht oder höchstens minimal fortbewegen, werden aber von Strömungen oft weit verdriftet. Die Arten des pflanzlichen oder Phytoplanktons – vornehmlich Vertreter der Kieselalgen und Panzergeißler – enthalten grünes Chlorophyll und andere Pigmente, mit denen sie Sonnenlicht einfangen und aus Kohlendioxid (CO2) und Wasser durch Photosynthese organische Materie aufbauen können. Sie sind somit die Primärproduzenten der Ozeane, von denen direkt oder indirekt alle anderen Meeresorganismen leben, und steuern rund 40 Prozent zur gesamten Erzeugung von Biomasse auf der Erde bei. Das Zielgebiet der "Melville" lag im Pazifik gut tausend Kilometer westlich der Galápagos-Inseln, nur wenige Breitengrade südlich des Äquators. Dort erstreckt sich eine Auftriebszone, in der nährstoffreiches Wasser aus 200 bis 300 Metern Tiefe an die Oberfläche dringt. Trotz des hohen Angebots an Stickstoff (in Form von Nitrat), Phosphat und vielen anderen Mineralstoffen (wie Kieselsäure für die Schalen der Kieselalgen) ist das Phytoplankton-Wachstum jedoch gering. Ähnliches gilt für die Meere um die Antarktis und für den arktischen Nordpazifik. In den späten achtziger Jahren hatten John H. Martin und seine Mitarbeiter an den Meereslaboratorien in Moss Landing (Kalifornien) gezeigt, daß Mangel an Eisen für diese überraschende Wachstumshemmung verantwortlich sein könnte. Das Metall ist ein lebensnotwendiges Nährelement für Mikroalgen, die es unter anderem für die Bildung von Chlorophyll und die Assimilation von Stickstoff brauchen. Werden sie in Kultur nicht ausreichend mit Eisen versorgt, können sie auch die reichlich vorhandenen übrigen Nährstoffe nicht voll nutzen; Vermehrung und Photosyntheseleistung sind eingeschränkt. Aber waren diese Befunde auf die Verhältnisse im Ozean übertragbar? Im Labor lassen sich Versuche allenfalls im Hektolitermaßstab durchführen, und viele Umstände, die im offenen Meer von Bedeutung sind, können nur ungenügend oder gar nicht berücksichtigt werden. Aufschluß war allein von einem großangelegten Düngungsversuch mit Eisen auf hoher See zu erwarten. Deshalb initiierte Martin das sogenannte IronEx-Projekt und schaffte es, durch kräftiges Rühren der Werbetrommel die nötigen Geldmittel dafür aufzutreiben. So konnte im Oktober 1993 eine erste Expedition starten (Martin selbst starb kurz vorher an Krebs). Das Ergebnis war allerdings widersprüchlich, weil das gedüngte Wasser nach einigen Tagen unter weniger dichte Wasserschichten geriet und in die Tiefe absank. Obwohl ein deutlicher Wachstumseffekt auftrat, ließ sich kein klarer Netto-Kohlendioxidverbrauch nachweisen. Im Mai 1995 stachen deshalb Martins Kollegen mit der "Melville" in See, um den Großversuch unter verbesserten Bedingungen zu wiederholen. Im Verlauf einer Woche wurden auf einer Fläche von acht mal acht Kilometern rund eine halbe Tonne Eisen in Form einer sauren Sulfatlösung ins Meerwasser gegeben und durch die Schiffspropeller in einer 25 Meter tiefen Schicht verwirbelt. Diesmal gelang es, den gedüngten Wasserkörper, den die Meeresströmung mit einer Geschwindigkeit von 10 bis 100 Kilometern pro Tag in west-südwestlicher Richtung verfrachtete, über 19 Tage zu verfolgen. In diesem Zeitraum wurden unablässig Wasserproben genommen und auf ihren Gehalt an Phyto- sowie Zooplankton, Nitrat, Eisen und Kohlendioxid untersucht. Das Ergebnis bestätigte die Laborbefunde nunmehr unzweideutig ("Nature", Band 383, Seiten 495 und 508): Die Eisendüngung ließ den Bestand an Phytoplankton bis zum Vierzigfachen des Ausgangswerts emporschnellen, wobei sich die Kieselalgen am stärksten vermehrten; gleichzeitig gingen die Konzentrationen von Nitrat, Kohlendioxid und Kieselsäure im Meerwasser drastisch zurück. Auch für das bloße Auge manifestierte sich der Effekt eindrucksvoll (Bild): Die kristallklaren blauen Fluten nahmen eine trüb- grüne Färbung an. Zwar vermehrte sich auch das Zooplankton, der Hauptvertilger der Mikroalgen, und steigerte seine Freßaktivität; doch reichte dies bei weitem nicht aus, den Zuwachs an Phytoplankton auszugleichen. Seine Brisanz bezieht das Experiment aus der Rolle von Kohlendioxid als Treibhausgas, das sich durch menschliche Aktivität in der Atmosphäre anreichert; Modellrechnungen zufolge könnte dadurch das irdische Klima aus dem Gleichgewicht geraten. Die Ozeane bilden ein bedeutendes Reservoir an Kohlendioxid und tauschen es fortwährend mit der Atmosphäre aus. Prozesse, die das Verhältnis von Aufnahme zu Abgabe im Meer ändern, sollten somit große Bedeutung für das globale Klima haben. Das Oberflächenwasser der untersuchten Pazifikregion ist normalerweise mit Kohlendioxid übersättigt, so daß das Gas daraus in die Atmosphäre entweicht. Der Zuwachs an Phytoplankton nach der Eisendüngung hat diese Abgabe während der Dauer des Versuchs um 350 Tonnen verringert und damit mehr als halbiert. Dadurch wurde der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre insgesamt zwar nicht meßbar beeinflußt. Bei einer Eisenzufuhr über längere Zeit und in anderen, größeren Meeresgebieten sind jedoch spürbare Auswirkungen denkbar. So hatte Martin mit dem augenzwinkernden Slogan "Gebt mir eine Schiffsladung Eisen, und ich gebe euch eine Eiszeit" für seinen Großversuch geworben. Tatsächlich war während der letzten Eiszeit sowohl der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre um rund 60 Prozent geringer als auch der Eintrag von Eisen in die Ozeane deutlich höher als heute; denn unter den trockenen glazialen Bedingungen wurde gut 50mal soviel eisenhaltiger Staub ins Meer geweht. Nicht minder bedeutsam für das globale Klima dürfte freilich sein, daß sich durch die experimentelle Eisendüngung zugleich der Gehalt des Meerwassers an Dimethylsulfid mehr als verdreifacht hat ("Nature", Band 383, Seite 513). Planktonorganismen geben dieses schwefelhaltige Gas ins Wasser ab, und durch Reaktion mit Luftsauerstoff können daraus atmosphärische Sulfatpartikel entstehen. Diese wiederum wirken abkühlend auf die Erdoberfläche, weil sie das Sonnenlicht streuen und absorbieren sowie die Wolkenbildung fördern. Auch hier ist der Vergleich mit der letzten Eiszeit aufschußreich: Die atmosphärische Sulfatkonzentration war damals deutlich höher als heute. Dennoch warnen Umweltforscher dringend davor, in der künstlichen Eisendüngung riesiger Meeresregionen eine realistische Option zur Lösung des Kohlendioxidproblems zu sehen. Sie halten es für naiv zu glauben, sich auf diese Weise den mühsamen Weg ersparen zu können, das Übel an der Wurzel zu packen und die Kohlendioxid-Emission zu verringern. Es sei ein unverantwortliches Vabanque-Spiel, die Folgen des unbedachten menschlichen Eingriffs in den kaum durchschauten Regelkreis des globalen Klimas durch ebenso unüberschaubare Manipulationen an der marinen Nahrungskette abmildern zu wollen. Auch Martin selbst sah in einer Drosselung des CO2-Ausstoßes die einzig sinnvolle Maßnahme zum Klimaschutz, bezweifelte aber, daß sie politisch durchsetzbar sei. Darum engagierte er sich dafür, zumindest zu erforschen, wie sich die Eisendüngung auswirken würde.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1997, Seite 24
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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