Lungenkrebs als selbst verschuldete Epidemie
Interview mit Professor Peter Drings
Spektrum der Wissenschaft: Herr Professor Drings, von den etwa 37000 Menschen, die jährlich in Deutschland an Lungenkrebs sterben, könnten zirka 31000 – nämlich 85 Prozent – noch leben, wenn sie nicht geraucht hätten. Was sollte getan werden, um diese Zahlen zu senken?
Professor Peter Drings: Wir brauchen Kampagnen gegen das Rauchen. Tabakwaren dürften nicht wie jetzt in Automaten oder Selbstbedienungsläden frei zugänglich für Minderjährige sein, sondern ihr Verkauf müsste auf ausgewiesene Tabakgeschäfte beschränkt bleiben. Und auch nur dort dürfte meines Erachtens für Zigaretten geworben werden, nicht im öffentlichen Raum.
Schulen und andere Ausbildungsstätten für Jugendliche müssten rauchfrei sein. Außerdem plädiere ich für einen bundesweiten Informationsdienst, der Bürgern Auskunft über die gesundheitlichen Folgen des Rauchens gibt. Und schließlich sollten Maßnahmen der Tabakprävention finanziell in einem angemessenen Verhältnis zum Tabaksteueraufkommen stehen. Die Koalition gegen das Rauchen, die Deutsche Krebsgesellschaft, die Deutsche Krebshilfe und das Deutsche Krebsforschungszentrum sind bereits in Aufklärungskampagnen aktiv.
Spektrum: Raten Sie Lungenkrebskranken, mit dem Rauchen aufzuhören? Oder können Patienten, die schon einen Tumor haben, ihren Zustand dadurch nicht wesentlich verbessern?
Drings: Doch! Auch der lungenkrebskranke Raucher profitiert davon, das Rauchen aufzugeben, weil er besser atmen kann. Wir haben außerdem in einer Studie festgestellt, dass Patienten, die mit dem Rauchen aufhören, länger leben als diejenigen, die weiter zur Zigarette greifen.
Spektrum: Sind effektive Verfahren für breite Vorsorgeuntersuchungen auf das Bronchialkarzinom in greifbarer Nähe?
Drings: Meines Wissens nicht. In den nächsten Jahren wird es wohl noch keine einfach durchführbare Methode geben, die wirklich zuverlässig ist. Es gibt jedoch entsprechende wissenschaftliche Programme, an denen auch wir uns beteiligen.
Spektrum: Rauchen bewirkt ja auch Karzinome anderer Organe, zum Beispiel im Mund- und Rachenraum. Angenommen, es gäbe einfache Tests, um in Zellen der Mundschleimhaut Vorstufen von bösartigen Veränderungen zu entdecken. Welche Konsequenzen hätte das?
Drings: Man müsste diese Menschen ganz besonders zu einem gesunden Leben motivieren, also dazu, nicht zu rauchen und keinen Alkohol zu trinken. Ich würde einem Betroffenen deutlich machen: "Bei Ihnen fängt’s schon an. Wenn Sie aufhören zu rauchen, bilden sich diese Vorstufen des Krebses möglicherweise zurück."
Behandeln lassen sich solche Veränderungen (der Mundschleimhaut) nicht. Aber ich würde den Patienten in Abständen von maximal einem halben Jahr untersuchen.
Spektrum: Appelle scheinen wenig zu fruchten, selbst bei Lungenkranken. Was kann man tun?
Drings: Ja, die Fakten sind eigentlich Furcht erregend. Jede Zigarette, die ein durchschnittlich starker Raucher inhaliert, verkürzt sein Leben britischen Gesundheitsökonomen zu Folge um elf Minuten. Pro Stange Zigaretten entspricht das eineinhalb Tagen. Aber ich habe gelernt, dass die Einsicht oft erst einsetzt, wenn man selbst direkt betroffen ist – und selbst dann nicht immer.
Das Interview führte Nicola Siegmund-Schultze.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2000, Seite 63
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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