Mechanische Eigenschaften des Zellskeletts
Mit einer raffinierten Versuchsanordnung ist es jetzt gelungen, das biophysikalische Verhalten des Cytoskeletts exakt zu messen. Demnach ähnelt seine Struktur einem räumlichen Netz aus dehnbaren Fäden und inkompressiblen Verstrebungen.
Wie der ganze Organismus befindet sich jede lebende Zelle mit ihrer Umgebung in einem Wechselspiel von Abgrenzung und Austausch. Zur Kommunikation mit der Außenwelt dienen nicht nur diffundierende Stoffe als chemische Signale, sondern auch mechanische Informationsbrücken .
So steht die Körperzelle mit ihrer nächsten Umgebung, der extrazellulären Matrix, über Integrine in Verbindung. Das sind in die Zellmembran eingelagerte Proteine, die als Matrix-Rezeptoren fungieren; das heißt, sie erkennen und binden spezifische Aminosäure-Sequenzen in den Bestandteilen der extrazellulären Matrix. Auf der anderen Seite hängen sie mit Proteinen im Inneren der Zelle zusammen, aus denen sich das Cytoskelett aufbaut – gewissermaßen die Knochen und Sehnen der Zelle, die sie braucht, um ihre Form zu halten, sich zu bewegen oder zu teilen.
Den biomechanischen Zusammenhang von extrazellulärer Matrix, Integrinen und Cytoskelett haben sich nun die amerikanischen Forscher Ning Wang, James P. Butler und Donald E. Ingber zunutze gemacht, um das elastische Verhalten des Cytoskeletts zu messen ("Science", Band 260, 21. Mai 1993, Seiten 1124 bis 1127).
Sie beschichteten zu diesem Zweck winzige magnetisierte Kügelchen mit einem Peptid, das sich mittels einer spezifischen Aminosäure-Sequenz namens RGD (nach den Einbuchstabenkürzeln für die Aminosäuren Arginin, Glycin und Asparaginsäure) gezielt an die Integrine der Zellmembran heftet. Mit Hilfe eines äußeren Magnetfelds übten die Forscher nun berührungslos eine genau definierte Drehkraft auf die Kügelchen aus – und damit zugleich auf die per RGD angeklebten Integrine, die ihrerseits mit dem Cytoskelett verbunden sind (Bild).
Wegen dieser Kopplung setzen die magnetischen Kügelchen der Drehkraft einen mechanischen Widerstand entgegen, der Auskunft über das elastische Verhalten des Cytoskeletts gibt: Sie drehen sich nur um einen kleinen Betrag, der sich mit einem Magnetometer exakt messen läßt und als Funktion des äußeren Magnetfelds eine Elastizitätskurve des gesamten Cytoskeletts liefert.
Dieses verhält sich, wie sich zeigte, unter mechanischer Belastung weder wie ein idealer Festkörper – bei dem der elastische Widerstand gegen Deformation unabhängig von der verformenden Kraft konstant bleibt – noch wie ein gummielastisches Polymer, das sichnach anfänglich starkem Widerstand bei wachsender Kraft leichter deformieren (in diesem Fall dehnen) läßt, bis es, zum Zerreißen gespannt, schließlich gar nicht mehr nachgibt. Vielmehr sperrt das Cytoskelett sich um so mehr gegen eine Verformung, je weiter es schon deformiert ist und je stärker die angelegte Kraft wird.
Dieses mechanische Verhalten ist gerade für biologische Substanzen charakteristisch – und vorteilhaft: Es erklärt, warum sie ihre Struktur so erfolgreich gegen eine oftmals lebensfeindliche oder gar zerstörerische Umgebung behaupten können.
Die Autoren schlagen zudem ein mechanisches Modell des Cytoskeletts vor, das sich an sogenannte Tensegritätsstrukturen anlehnt. Der Begriff tensegrity (von englisch tensional integrity, was soviel wie ganzheitliche Spannungsbeständigkeit heißt) stammt von dem amerikanischen Erfinder und Philosophen Richard Buckminster Fuller und bezeichnet ausgeklügelte Gebilde aus starren Stäben und elastischen Fäden, wobei die Stäbe durch das komplizierte Zusammenspiel von Druck- und Zugspannungen frei zwischen den Fäden zu schweben scheinen.
Fuller verfolgte damit vor allem das Ziel, bei bautechnischen Konstruktionen Gewicht zu sparen. Er analysierte, wie sich Druck und Zug auf die Komponenten eines Masts oder eines Querträgers verteilen. Wo eine starre Verbindung überflüssig war, da sie ohnehin nur unter Zugspannung stand, ersetzte er sie durch ein kräftiges Seil; für die unter Druckspannung stehenden Bauteile verwendete er statt massiver Stahlträger leichte Aluminiumröhren .
Solche Konstruktionen zeigen im Belastungsversuch das gleiche Verhalten wie das Cytoskelett: Sie geben bei kleinen Kräften nur wenig nach und werden bei zunehmender Kraftanwendung immer starrer. Als Modell für das Zellskelett erscheinen sie insofern plausibel, als dieses gleichfalls ein Netz aus unterschiedlichen Komponenten ist – röhrenförmigen Mikrotubuli sowie fädigen Mikrofilamenten und Intermediär-Filamenten –, die sich möglicherweise wie in einer Tensegritätsstruktur die Aufgabe teilen, durch Auffangen von äußeren Zug- und Druckspannungen die Stabilität der gesamten Struktur zu bewahren.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1993, Seite 24
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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