Amarnakunst: Mut zur Hässlichkeit?
Angesichts der mehr als 3000-jährigen Pharaonenherrschaft erscheint ein Vierteljahrhundert wie ein Wimpernschlag. Und dennoch fasziniert diese kurze Phase der Regentschaft des Ketzerkönigs Amenhotep IV., der sich ab dem fünften Regierungsjahr Echnaton nannte, gerade weil sie mit uralten Traditionen brach: in der Religion, in der Tempelarchitektur und auch in der Kunst. Was nicht überrascht, denn Kunst diente in Ägypten keinem ästhetischen Selbstzweck, sondern erfüllte in erster Linie religiöse und politische Aufgaben. Sie erzeugte nach ägyptischer Vorstellung Realität: Die an den Wänden der Gräber abgebildeten Beigaben standen dem Toten im Jenseits wirklich zur Verfügung, und ein König, der in den Reliefs der Tempelmauern Ägyptens Feinde niederwarf, war allein schon dadurch ein Sieger – auch ohne Feldzug.
Die Wurzeln der Amarnakunst finden sich bereits in Theben, und der älteste erhaltene Beleg ziert dort das Grab des Wesirs Ramose. Touristen besuchen es vor allem wegen der nahezu komplett erhaltenen Malereien, die über die Feiern zu Ehren des Verstorbenen berichten. Die Reliefs auf der Rückwand der Halle beachten sie hingegen nur selten – sie sind ramponiert und liegen immer im Schatten. Doch das ist bedauerlich, denn genau hier machen zwei durch einen Durchgang getrennte Szenen den radikalen Bruch in der künstlerischen Gestaltung deutlich: Auf der einen Seite thront Amenhotep IV. ganz und gar traditionell abgebildet unter einem Baldachin. Vermutlich entstand dieses Relief anlässlich der Ernennung Ramoses zum Wesir, das entspricht dem höchsten Amt im Nilstaat nach dem des Pharaos. Auf der anderen Seite – unvollendet und teilweise nur in Vorzeichnung ausgeführt – lassen sich Echnaton und seine Gemahlin Nofretete in einem "Erscheinungsfenster" vom Volk bejubeln, ein vor allem nach dem Umzug aus Theben nach Achet-Aton gern gebrauchtes Motiv ... Im linken Relief steht die Göttin Ma’at, den Traditionen gemäß, schützend hinter dem Pharao und verspricht ihm laut Beischrift "ewige Herrschaft". Im rechten hingegen leuchtet der Sonnengott Aton über der Szene – ein Sonnenball, dessen Strahlen in kleinen Händen auslaufen und unmittelbar vor Echnaton und Nofretete enden. Sie halten jeweils die "Leben" (ägyptisch "anch") bedeutende Hieroglyphe – alles Leben stammte von Aton ...
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