Neues zur Biosynthese von Proteinen
Im Prinzip weiß man, wie eine Zelle die benötigten Proteine herstellt; im Detail aber sind noch viele Fragen offen. Sie reichen von der genauen Struktur der zellulären Proteinfabriken über den molekularen Synthesemechanismus bis zum Faltungsmodus der frisch hergestellten Aminosäureketten. Eine Fülle von Untersuchungen brachte nun einiges Licht in dieses Fragendickicht.
Trotz der überragenden Bedeutung von Proteinen für fast alle Lebensfunktionen der Zelle ist ihre Biosynthese keineswegs vollständig aufgeklärt. So weiß man von der zuständigen Maschine, dem Ribosom, immer noch nicht genau, welche räumliche Gestalt sie hat. Von diesem hochkomplizierten und empfindlichen Organell konnte bisher nämlich keine Röntgenstrukturanalyse durchgeführt werden; denn zum einen ist es äußerst schwierig, die dafür benötigten großen und stabilen Einkristalle zu gewinnen, und zum anderen bedeutet es eine enorme Herausforderung, bei einem derart riesigen Gebilde aus den Streudaten die Struktur zu errechnen. Alle Informationen über die äußere Gestalt des Ribosoms leiten sich deshalb aus elektronenmikroskopischen Untersuchungen ab, deren Auflösung noch weit vom atomaren Maßstab entfernt ist.
Eine im Jahre 1987 ermittelte Grobstruktur legte nahe, daß die größere der beiden Untereinheiten, aus denen das Ribosom besteht, einen Tunnel enthält, durch den sich die wachsende Aminosäurekette schiebt. Dazu paßt, daß die jeweils zuletzt eingebauten Aminosäuren vor Spaltung durch proteolytische Enzyme geschützt sind – offenbar, weil sie noch im Tunnel stecken.
Zwei kürzlich vorgelegte Strukturen, die mit verfeinerten elektronenmikroskopischen Techniken und raffinierten Bildverarbeitungsverfahren eine Auflösung von rund 2,5 Nanometern (millionstel Millimetern) erreichten, bestätigen nun die Existenz dieses Hohlraums. Während die eine allerdings diverse zusätzliche Durchgänge, Schluchten und Löcher zeigt (Bild 1; "Structure", Band 3, Seiten 815 bis 821), enthält der Tunnel in der anderen lediglich eine Verzweigung und wird durch einen weiteren Durchgang in der kleinen ribosomalen Untereinheit ergänzt ("Nature", Band 376, Seiten 441 bis 444). Möglicherweise beruht die Diskrepanz aber nur auf einer unterschiedlichen Interpretation der gemessenen Elektronendichten.
Eine Besonderheit des Ribosoms ist, daß es sowohl Proteine als Ribonucleinsäure (RNA) enthält. Bis heute konnte nicht eindeutig geklärt werden, welche der beiden Komponenten für die Funktion verantwortlich ist. Schrieb man diese Rolle zunächst den mehr als 50 Proteinen zu, so lassen neueste Erkenntnisse eher vermuten, daß die RNA der eigentlich aktive Bestandteil ist, der von den Proteinen lediglich geschützt und gestützt wird.
In diese Richtung deutet auch eine jüngst publizierte Arbeit ("Nature", Band 377, Seiten 309 bis 314). Darin wurde erstmals nachgewiesen, daß sich zwischen einem RNA-Baustein der großen ribosomalen Untereinheit und einem Bestandteil der Transfer-RNA (tRNA), welche die neu einzubauende Aminosäure heranbringt, ein sogenanntes Watson-Crick-Basenpaar bildet. Solche Paare halten in der Erbsubstanz DNA die beiden Nucleotid-Stränge der Doppelhelix zusammen.
Wie aber läuft die Proteinsynthese im einzelnen ab? Schon der Beginn – Biochemiker sprechen von Initiation – ist reichlich kompliziert. Da muß die Maschinerie erst einmal richtig in Stellung gebracht werden. Die Bauanleitung für das Protein befindet sich auf einer Boten-RNA (mRNA), gewissermaßen einer transportablen Abschrift des Original-Gens auf der DNA. Wo diese Anleitung anfängt, versammeln sich die beiden Untereinheiten des Ribosoms sowie ein spezielles Initiator-tRNA-Molekül, das die erste Aminosäure der Peptidkette (üblicherweise Methionin) trägt. Diese tRNA in die richtige Position zum Ankoppeln der nächsten Aminosäure an das Methionin zu manövrieren, ist die Aufgabe weiterer Proteine (der Initiationsfaktoren), welche sich gleichfalls anlagern.
Im sogenannten Elongationszyklus wird dann gemäß der Bauanleitung schrittweise jeweils ein neuer Baustein an die wachsende Peptidkette angehängt. Knud Nierhaus und seine Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin haben ein Modell entwickelt, das den prinzipiellen Ablauf dieses Kreisprozesses schlüssig erklärt (Bild 2). Die Helferrolle übernehmen in diesem Falle sogenannte Elongationsfaktoren. Derjenige mit der Bezeichnung EF-Tu sorgt zunächst dafür, daß sich die tRNA mit der anzuhängenden Aminosäure anlagert. Nach der Kettenverlängerung läßt dann der Faktor EF-G das Ribosom entlang der mRNA um einen Platz (drei Nucleotide) weiterrücken. An beiden Vorgängen ist außerdem Guanosin-triphosphat (GTP) beteiligt, das jeweils durch Abspaltung eines Phosphatrestes in Guanosindiphosphat (GDP) übergeht.
Nachdem bereits 1994 die Struktur des Komplexes aus EF-G und GDP bestimmt worden ist, konnten Jens Nyborg und seine Mitarbeiter an der Universität Århus (Dänemark) nun auch die genaue Gestalt des Dreierverbandes aus EF-Tu, tRNA und GTP ermitteln ("Science", Band 270, Seiten 1464 bis 1472). Interessant ist, daß sich beide Gebilde trotz unterschiedlicher Zahl an Komponenten verblüffend ähneln, was die dänischen Forscher als molekulare Mimikry deuten. Deren Sinn läßt sich indes höchstens vage erahnen.
Trifft das Ribosom beim Entlanggleiten an der mRNA schließlich auf ein Stopp-Signal, wird die Synthese abgebrochen und jener Mechanismus in Gang gesetzt, durch den sich das frisch gebildete Protein vom Ribosom ablöst. Auch daran sind spezielle Proteine beteiligt, die in diesem Falle Entlassungsfaktoren heißen.
Eine wichtige Frage ist, wie das Syntheseprodukt aussieht, während am Ribosom seine Ablösung eingeleitet wird. Ist es schlicht eine lineare Aminosäurekette, die sich sofort hoffnungslos verknäulen und proteolytischen Spaltenzymen zum Opfer fallen würde, wenn nicht sogenannte Chaperone sie als molekulare Anstandsdamen unter ihre Obhut nähmen und ihr zur korrekten Faltung verhülfen? Oder können sich zumindest kleine, einfache Proteine sukzessive selbst zu ihrer richtigen Raumstruktur verschlingen, sobald die jeweils benötigten Abschnitte aus dem Ribosom austreten?
Einen mutigen Versuch, letzteres mittels Antikörpern nachzuweisen, unternahm schon vor einigen Jahren die Arbeitsgruppe von Michel Goldberg am Pasteur-Institut in Paris. Als Untersuchungsobjekt diente das aus drei Untereinheiten aufgebaute Schwanzprotein eines Bakteriophagen – also eines Virus, das Bakterien befällt. Wie die Forscher feststellten, wechselwirken Antikörper, die sich im Reagenzglas an teilweise gefaltete Formen des Proteins heften, gleichfalls mit der am Ribosom austretenden Aminosäurekette.
Eine solche cotranslationale Faltung beobachtete 1994 auch die Arbeitsgruppe von F. Ulrich Hartl am Memorial-Sloan-Kettering-Krebszentrum in New York bei der Synthese des Leuchtproteins der Glühwürmchen (Luciferase) in Säugetier-Zellextrakten. In diesem Falle wirken allerdings, wie sich zeigte, selbst am rudimentären Faltprozeß bereits Chaperone mit.
Boyd Hardesty und seine Mitarbeiter an der Universität von Texas in Austin konnten beim Ricin demonstrieren, daß das fertig synthetisierte Protein selbst dann die korrekte Raumstruktur annimmt, wenn man es daran hindert, sich vom Ribosom zu lösen. Bei dem Enzym Rhodanese mußten sie die Peptidkette freilich künstlich verlängern, um ihr genügend Freiraum zur (Ent-)Faltung zu geben.
Alan R. Fersht und seine Mitarbeiter an der Universität Cambridge erzeugten auf chemischem Wege neun unterschiedlich lange Anfangsstücke des Chymotrypsin-Inhibitors CI-2 und prüften, inwieweit sie sich bereits korrekt zusammenlegten. Wie sich herausstellte, nahmen erst fast vollständige Peptide Strukturen an, die der des natürlichen Proteins ähnelten. Das ist allerdings insofern wenig erstaunlich, als bei diesem Eiweißstoff die am hinteren Ende (C-Terminus) gelegenen Aminosäuren mit denen am vorderen Ende (N-Terminus) ein sogenanntes Beta-Faltblatt bilden. Die Aussagekraft des Versuchs wird auch dadurch eingeschränkt, daß die chemisch synthetisierten Peptide an beiden Enden frei beweglich waren, während bei der Biosynthese das hintere Ende am Ribosom hängt und von ihm festgehalten wird.
Insgesamt gesehen, scheint also cotranslationale Faltung zumindest in Einzelfällen unter physiologischen Bedingungen möglich zu sein. Ob sie dagegen der Regelfall ist, bleibt ebenso offen wie der molekulare Mechanismus. Dieser müßte letztlich auf ein besonders kniffliges Beispiel von molekularer Erkennung hinauslaufen. Die vorderen Aminosäuren hätten nämlich gewissermaßen zu entscheiden, mit welchem der hinter ihnen aus dem Tunnel auftauchenden Kettenglieder sie Bindungen eingehen und mit welchen nicht. In dieser Hinsicht besteht auch ein grundlegender Unterschied zu den üblichen Reagenzglas-Studien zur Proteinfaltung. Dabei bringt man ein natürliches Protein durch Hitze, Druck, Zugabe von Harnstoff oder ähnliches dazu, sich zu entwirren, und versucht anschließend zu verfolgen, wie sich die Kette beim Umkehren der Bedingungen als ganze wieder in Schlaufen legt.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1996, Seite 21
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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