Perpetuum mobile
Es gibt ihn nicht, den unerschöpflichen Kraftquell. Aber der Traum davon hat die erfindungsreichsten Geister beflügelt.
Nichts ist umsonst. Niemand hat je ein echtes perpetuum mobile arbeiten sehen – einen selbsttätigen Mechanismus, der unaufhörlich mechanische Energie aus dem Nichts erzeugt. Sollten Sie den Erfinder eines solchen Gerätes besuchen, können Sie sicher sein, dass er Ihnen seine Maschine nicht vorführt: Entweder ist sie angeblich noch nicht fertig, oder sie befindet sich gerade im Umbau.
Noch bevor die Wissenschaftler einen klaren Begriff von der Energie hatten, wussten einige von ihnen bereits, dass sie nicht beliebig vermehrbar ist. Gottfried Wilhelm Leibniz führte 1686 die kinetische Energie unter dem Namen vis viva ("lebendige Kraft") in die Theorie ein; die französischen Physiker Jean Victor Poncelet (1788-1867) und Gustave Gaspard Coriolis (1792-1843) definierten um 1826 erstmals die mechanische Arbeit als Produkt von Kraft und Weg. Aber schon im 16. Jahrhundert formierten sich die Fraktionen der Befürworter, die perpetua mobilia für möglich und erstrebenswert hielten, und der Kritiker, die sie für unmöglich, sogar für absurd, erklärten. Namentlich der niederländische Mathematiker und Physiker Simon Stevin (1548-1620) postulierte schon 1586 die "Unmöglichkeit einer Krafterschaffung" und erklärte damit, warum eine Kugelkette, die auf zwei glatten schiefen Ebenen unterschiedlicher Neigung lagert, sich im statischen Gleichgewicht befinden muss. Wären nämlich die beiden oberen Teile der Kette nicht im Gleichgewicht, müsste sich der gesamte Ring links oder rechts herum in Bewegung setzen, so lange, bis jede Kugel den Platz ihrer Vorgängerin eingenommen hat, und dann aber in alle Ewigkeit, weil ja der Ausgangszustand wiederhergestellt und damit derselbe Gedankengang abermals gültig wäre. Also hätte man ein Perpetuum mobile, das es aber nach dem Postulat nicht geben kann. Da der untere Kettenbogen wegen seiner Symmetrie für sich allein im mechanischen Gleichgewicht ist, kann man ihn weglassen, ohne das Gleichgewicht des Restes der Kette zu stören.
Exakt gilt diese Argumentation nur für "unendlich viele unendlich kleine Kugeln", sprich eine homogene Massenverteilung entlang der Kette. Aber diese infinitesimalen Begriffe standen Stevin noch nicht zur Verfügung. Lässt man den unteren Kettenbogen tatsächlich weg, so ist das Gleichgewicht der Restkette nicht "stabil" – die kleinste Verschiebung nach rechts oder links lässt das Kettenstück ins Bodenlose rutschen.
Die Idee des Perpetuum mobile hat ihren Ursprung wahrscheinlich im 12. Jahrhundert in Indien, von wo sie im 13. Jahrhundert über die Araber nach Europa gelangte. Während die Bewohner arabischer Länder mit ihrem großen Bedarf an Arbeitskraft zur Bewässerung der Felder vielleicht ganz praktisch auf der Suche nach einem Antrieb für ihre zahlreichen Wasserheber waren, hatten nach der Auffassung des Technik-Historikers Friedrich Klemm die Menschen im mittelalterlichen Europa eher einen ideellen Zweck im Sinn: eine immer währende Kreisbewegung als irdisches Abbild der göttlichen Bewegung der himmlischen Sphären zu erschaffen – eine "Profanisierung des aristotelischen Gedankens der allein dem Himmel vorbehaltenen ewigen Kreisbewegungen".
Die Perpetuum-mobile-Konstruktionen des Mittelalters sind, dem Stand der Technik entsprechend, überwiegend Räder mit umklappenden Hebeln oder mit Röhren, die teilweise mit Quecksilber gefüllt sind. Oder in einem Rohrsystem strömt Wasser in einem Kreislauf und leistet Arbeit. Die Erfinder glaubten ein dauerndes Ungleichgewicht schaffen zu können: Durch die Lage der Klapphebel oder Flüssigkeitsspiegel werde der Schwerpunkt des Rades immer auf ein und derselben Seite des Drehpunkts gehalten und bewege sich, während sich das Rad dreht, unablässig abwärts. Wenn das möglich wäre, könnte der Mechanismus fortwährend potenzielle Energie aus dem Schwerkraftfeld in Bewegungsenergie umsetzen und damit Arbeit verrichten. Nur kann der Schwerpunkt des Rades sich höchstens so weit vom Drehpunkt entfernen, wie es die Massen vorgeben; obendrein ist nach einer vollen Umdrehung, wenn der Mechanismus nach der Vorstellung seines Erfinders wieder im selben Zustand ist wie zuvor, auch der Schwerpunkt wieder auf seiner ursprünglichen Höhe.
Wenn schon nicht die Maschinen, so befinden sich die Gedanken der unentwegten Erfinder in unablässiger Bewegung, selbst in unserem aufgeklärten Jahrhundert. Alle denkbaren physikalischen und chemischen Prozesse werden in den Dienst vermuteter Perpetua mobilia gestellt. Arthur W. J. G. Ord-Hume, Flugzeugkonstrukteur und Autor mehrerer Bücher, spricht von der "perpetuity of the perpetual motion inventor".
Die Zahl der Ideen und Beweisführungen, die den wissenschaftlichen Akademien zur Prüfung vorgelegt wurden, muss schon vor mehr als zweihundert Jahren so groß gewesen sein, dass die Pariser Académie Royale des Sciences 1775 beschloss, für gewisse Probleme keine Lösungsvorschläge mehr zur Prüfung anzunehmen: die Verdopplung des Würfels nur mit Hilfe von Zirkel und Lineal; die Dreiteilung des Winkels mit denselben Mitteln der klassischen Geometrie; und die Konstruktion einer Maschine in immer währender Bewegung. Die Unlösbarkeit der beiden ersten Aufgaben ist inzwischen mathematisch bewiesen. Dagegen stützt sich die Begründung der Akademie, die Konstruktion eines Perpetuum mobile sei "absolut unmöglich", "nur" auf einen Erfahrungssatz und lässt sich naturgemäß nicht beweisen. Deshalb werden die Perpetuum-mobile-Erfinder wohl auch in Zukunft nicht aussterben.
Energie-Erhaltung: Seit der Formulierung des Satzes von der Erhaltung der Energie (des Ersten Hauptsatzes der Thermodynamik) 1842 durch Robert Julius Mayer nennt man Perpetuum mobile erster Art eine hypothetische Maschine, die den Satz von der Erhaltung der Energie verletzt, das heißt mechanische Arbeit leistet, ohne ihr Äquivalent einem Energiespeicher zu entnehmen, und dadurch die Energie im Universum vermehrt. (Ein Perpetuum mobile zweiter Art wäre dagegen eine Maschine, die – unter Einhaltung des Energieerhaltungssatzes – die ungeordnete Wärmebewegung der Moleküle in geordnete mechanische Bewegung verwandelt, ohne ander-wärts größere Unordnung zu erzeugen, und damit den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik verletzt.) Könnte man solche Maschinen bauen, stünde Energie zur Fortbewegung, Heizung und Beleuchtung in unbegrenzter Menge zur Verfügung. Bemerkenswert ist auch die Kehrseite der Medaille: Gäbe es solche Maschinen, wären sie gefährlich und müssten aus Sicherheitsgründen verboten werden. Falls nämlich die vorgesehenen Abnehmer der Energie die angebotene Leistung nicht in jedem Augenblick vollständig verbrauchen, speichert die Maschine die produzierte Energie in ihrer Bewegung oder ihrer Struktur, das heißt sie beschleunigt und/oder erhitzt sich, wodurch sie am Ende schmelzen oder explodieren würde. Wundern wir uns also nicht, dass wir heute keine funktionierenden Perpetua mobilia vorfinden: Wenn es sie je gegeben haben sollte, wären sie vor lauter Kraft längst geplatzt!
Im Folgenden werde ich drei typische Perpetuum-mobile-Konstruktionen vorstellen und (im "Kleingedruckten") erklären, warum sie nicht funktionieren können.
Auftriebs-Motor: Der Westdeutsche Rundfunk hatte 1979 auf meine Anregung in dem Fernseh-Ratespiel "Kopf um Kopf" ein Perpetuum-mobile-Preisausschreiben ausgelobt. Wir waren skeptisch und rechneten mit Körben voll Einsendungen unbelehrbarer Erfinder. Zu unserer Überraschung gingen jedoch bei der Redaktion nur etwa 150 Vorschläge ein. Ihre Einsender hatten die Aufgabe mehrheitlich als eine Herausforderung an Fantasie und Humor aufgefasst.
Ein typisches Beispiel ist der "Auftriebs-Motor". An einem vertikalen Transportband in einem Wasserbehälter, das über zwei leicht drehbare Rollen läuft, hängt in gleichen Abständen eine größere Zahl von Auftriebsgefäßen. Es handelt sich um starre Flaschen, die mit einer flexiblen Membran verschlossen sind, an der ein schweres Gewicht hängt. Die im Bild rechts hängenden Gefäße haben offenbar größeres Volumen als die linken, weil die Gewichte die Membranen aus der Flasche heraus ziehen. Sie erfahren daher im Wasser bei gleichem Gewicht den größeren archimedischen Auftrieb und setzen den Mechanismus entgegen dem Uhrzeiger in Bewegung. Wenn sie oben und unten die Rollen passieren, tauschen die Gefäße ihre Funktionen. Also bleibt die Bewegung für alle Zeit erhalten – ein Perpetuum mobile.
Fliehkraft-Motor: In der April(!)-Ausgabe 1977 der "Physikalischen Blätter", der Hauszeitschrift der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, wurde "Ein neuartiger Antrieb für Raumflugkörper" beschrieben. Mit Hilfe eines Exzenters schwenkt ein Motor einen Hebel mit einer Masse m an seinem Ende periodisch in einem gewissen Winkelbereich a um die Raketenachse nach rechts und links. Dabei erfährt angeblich die Endmasse Zentrifugalkräfte in Richtung der Pendelstange. Ihre axialen Komponenten bilden den Schub der Rakete, während sich die Komponenten quer zur Raketenachse im zeitlichen Mittel aufheben. Durch Vergrößerung der Winkelgeschwindigkeit oder Verlängerung des Hebels lässt sich der Schub beliebig steigern, behauptet der Erfinder. Der Raketenmotor arbeitet, wie er hervorhebt, ohne Ausstoß von Masse, extrem sauber und mit hohem Wirkungsgrad. Die Querbewegungen schütteln die Insassen heftig hin und her, was Reisen in diesem Raumschiff wenig komfortabel erscheinen lässt. Sie lassen sich aber vermeiden, wenn der Antrieb des Raumschiffs mit zwei spiegelbildlich bewegten, gleichen Hebeln ausgestattet wird.
Hero-Mobile: Dieses Perpetuum mobile können Sie selber mit wenigen Handgriffen aus dem Wasserrädchen eines Sandspielzeugs für Kleinkinder, zwei undurchsichtigen Polyethylen-Waschflaschen aus dem Chemiepraktikum, zwei Gummischläuchen und etwas Glasrohr zusammenstecken.
Bei der Vorführung sehen die Zuschauer Wasser von oben das Wasserrädchen antreiben und im linken Schlauch verschwinden. Der Vorführer behauptet dazu, der rechte Schlauch schließe den Wasserkreislauf. Der Mechanismus sei daher ein Perpetuum mobile.
Ein kleiner Scherz zum Schluss: Schreiben Sie auf beide Seiten eines Zettels "Bitte wenden" und lassen Sie ihn so unauffällig-auffällig zu Boden flattern, dass er die Aufmerksamkeit der umstehenden Leute weckt. Irgendjemand wird neugierig genug sein, den Zettel aufzuheben, die Botschaft zu lesen und auf die Rückseite des Zettels zu schauen. Vielleicht hat er Freude am Schabernack und will den Spaß auch anderen gönnen. Das Spiel kann beliebig weitergehen.
Also ist der Zettel eine Maschine in permanenter Bewegung. Natürlich erzeugt er dabei keine Energie. Aber im übertragenen Sinne lebt er von einer – fast – unerschöpflichen Energiequelle: der menschlichen Neugier.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2002, Seite 112
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben