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Quantenpunkte

Mit extrem miniaturisierten, nur millionstel Millimeter kleinen Halbleiter-Strukturen vermag die Nanotechnik heute sogar einzelne Elektronen punktgenau zu fixieren. Aus solchen Gebilden – quasi künstlichen Atomen – könnten schon bald neuartige elektronische und optische Geräte hervorgehen.

Während der letzten Jahre ist die Halbleiterforschung in unvertraute Welten vorgestoßen – nämlich in die Dimensionen zwei, eins und null. Denn mit kürzlich entwickelten Geräten läßt sich die Bewegungsfreiheit der Elektronen auf Flächen, Linien oder gar auf sogenannte Quantenpunkte einschränken.

Die Mikrochip-Hersteller haben ein ganzes Arsenal an Fertigungstechniken geschaffen, mit denen man millionstel Millimeter (Nanometer) kleine Strukturen geradezu Atom für Atom aufzubauen vermag. Diese Nanotechnik hat zugleich ein neues Gebiet der Grundlagenphysik und -chemie eröffnet, denn nun können die Forscher künstliche Äquivalente von Atomen, Molekülen und Kristallen fabrizieren und müssen sich bei ihren Experimenten nicht mehr mit deren natürlichen Formen, Größen und Ladungsverteilungen zufriedengeben.

Doch die Quantenpunkte versprechen nicht nur aufregende Grundlagenforschung; ihre exotisch anmutenden Eigenschaften lassen sich wahrscheinlich für zahlreiche elektronische und optische Anwendungen nutzen. Dicht gepackte Quantenpunkt-Gitter könnten ein Substrat für Computer beispielloser Leistungsfähigkeit bilden; Norman Margolus vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (USA) hat dafür sogar schon den Namen „Crayonium“ (nach einer Supercomputer-Marke) geprägt. Aus Quantenpunkten könnten optische Werkstoffe entstehen, die Strahlung beliebig vorgegebener Wellenlängen absorbieren und emittieren, oder auch Halbleiter-Laser, die sich überaus effizient und präzise abstimmen lassen.

Flächen, Linien und Punkte sind mathematische Ideengebilde ohne körperliche Ausdehnung. Wie kann man sie in einem realen, dreidimensionalen Material herstellen?

Die Antwort liefert die Quantenmechanik, insbesondere das Heisenbergsche Unbestimmtheitsprinzip: Der Ort eines quantenphysikalischen Objekts (zum Beispiel eines Elektrons) und sein Impuls lassen sich nicht beide zugleich mit beliebiger Genauigkeit bestimmen. Je mehr ein Elektron räumlich eingeengt wird, desto unbestimmter muß sein Impuls werden (siehe „Werner Heisenberg und das Unbestimmtheitsprinzip“ von David C. Cassidy, Spektrum der Wissenschaft, Juli 1992, Seite 92). Dem größeren Impulsbereich entspricht eine höhere mittlere Energie. Wäre ein Elektron demnach tatsächlich in einer verschwindend dünnen Schicht eingeschlossen, so wäre seine Energie unendlich groß.

In einem Halbleiter wird die Energie der Elektronen von ihrer Temperatur und den Eigenschaften des Materials begrenzt. Sind sie aber in hinreichend dünne Schichten eingesperrt, überwiegen die Quanteneffekte. Solange die Elektronen nicht genug Energie haben, um aus ihrem Gefängnis auszubrechen, verhalten sie sich zweidimensional.

Das ist keineswegs nur eine saloppe Ausdrucksweise. Elektronen, die in einer Ebene eingeschlossen sind, haben tatsächlich keine Bewegungsfreiheit in der dritten Dimension. Sind sie in einem sogenannten Quantendraht eingesperrt, steht ihnen nur noch eine Dimension frei, und in einem Quantenpunkt überhaupt keine.

Die freie Weglänge eines Leitungselektrons liegt in üblichen Halbleitern in der Größenordnung von etwa 10 Nanometern. (1 Nanometer entspricht mit 10–9 Metern ungefähr dem zehnfachen Radius eines Wasserstoffatoms). Ein Elektron, das man in einen Halbleiterwürfel von 10 Nanometern Kantenlänge gesperrt hat, ist daher praktisch auf einen einzigen Punkt fixiert.

Quantenmulden

Die Konstruktion von Halbleitern mit weniger als drei Dimensionen kam Anfang der siebziger Jahre in Gang, als Arbeitsgruppen an den AT&T-Bell-Laboratorien und bei IBM die ersten zweidimensionalen Quantenmulden (englisch quantum wells) herstellten. Man erzeugt dabei mittels Molekularstrahl-Epitaxie – einzelne Atomschichten werden im Ultrahochvakuum sukzessive auf ein Substrat aufgedampft – dünne Regionen halbleitenden Materials (meist Galliumarsenid und verwandte Verbindungen), die Elektronen anziehen. In der Quantenmulde haben die Elektronen weniger Energie als außerhalb, und deshalb strömen sie hinein – genau wie Wasser bergab fließt und eine Mulde füllt.

Mit der gleichen Technik vermag man auch Quantenbarrieren aufzubauen: zweidimensionale Hügel aus einem Material, das Elektronen abstößt. Aus Mulden und Barrieren lassen sich wiederum komplexe Gebilde konstruieren, die es zuvor nur als Rechenbeispiele in Quantenmechanik-Lehrbüchern gegeben hat (siehe „Nanotechnik“ von Elizabeth Corcoran, Spektrum der Wissenschaft, Januar 1991, Seite 76).

Mittlerweile sind Quantenmulden Stand der Technik. Auf ihnen beruhen die Laser-Dioden in Compact-Disc-Abspielgeräten und die empfindlichen Mikrowellenempfänger für das Satellitenfernsehen. Doch unterdessen ist es gelungen, Elektronen nicht bloß in eine Ebene oder eine Linie zu zwängen, sondern in einen Punkt zu sperren.

Nanokristallite

Die ersten Hinweise auf nulldimensionalen Quanteneinschluß gab es in den frühen achtziger Jahren; damals beobachteten A.I. Ekimow und seine Mitarbeiter am Joffe-Institut für Physik und Technik in Leningrad (jetzt Sankt Petersburg) ungewöhnliche optische Spektren an Glasproben, die die Halbleiter Cadmiumsulfid oder -selenid enthielten. Die Proben waren hohen Temperaturen ausgesetzt gewesen. Ekimow spekulierte, das Erhitzen könne im Glas eine Ausfällung von Nanokristalliten des Halbleiters bewirkt haben, und für das ungewöhnliche optische Verhalten sei der Quanteneinschluß von Elektronen in diesen Kristalliten verantwortlich.

Um diese Schlußfolgerungen zu verstehen, stellen wir uns ein Elektron vor, das in einem Kasten eingeschlossen ist. Der Quantenmechanik zufolge hat es Welleneigenschaften – wie windbewegtes Wasser oder eine schwingende Violinsaite. Genau wie die Saite an beiden Enden befestigt ist, wird die Elektronenwelle von den Wänden des Kastens begrenzt; die Wellenlänge muß wie die der Saitenschwingung diesen Randbedingungen genügen (Bild 2).

Bewegt sich der Finger des Geigers auf dem Griffbrett zum Steg hin, verkürzt sich die längstmögliche Wellenform, und die Frequenz der Saitenschwingung sowie all ihrer harmonischen Obertöne nimmt zu. Wird analog dazu der Kasten verkleinert, in dem das Elektron eingesperrt ist, so erhöht sich – wie der Grundton der Violinsaite – das niedrigste Energieniveau des Elektrons. Bei Nanokristalliten aus Halbleitermaterial entspricht diesem Grundton die Schwellenenergie für optische Absorption, und den harmonischen Obertönen entsprechen neue Absorptionseigenschaften bei höheren Energien.

Wie klein muß ein Nanokristallit sein, damit dieses Phänomen auftritt? Im Vakuum müßte man das Elektron dafür in ein Volumen von etwa 1 Nanometer Durchmesser einschließen; es hätte dann eine Wellenlänge von 2 Nanometern und eine Energie von etwa einem vierzigstel Elektronvolt.

Doch dem Nanotechniker kommt die Halbleiterphysik zu Hilfe. Die Wellenlänge eines Elektrons hängt von seiner Energie und seiner Masse ab. Je kleiner die Masse, um so größer ist bei gegebener Wellenlänge die Energie, und um so ausgeprägter ist auch die Energieverschiebung durch den Einschluß des Elektrons. Tatsächlich überlagern sich die elektrostatischen Potentiale der Atome in einem Kristallgitter derart, daß Elektronenwellen sich in diesem Medium mit weniger Trägheit fortbewegen als im leeren Raum. Die sogenannte effektive Masse des Elektrons ist daher oft viel geringer als seine Masse im Vakuum; in Silicium beträgt sie etwa 14 und in Galliumarsenid gar nur 7 Prozent der Vakuum-Masse. Aus diesem Grund tritt bei Halbleitern schon in einem Volumen von etwa 10 Nanometern Durchmesser der praktisch punktförmige Quanteneinschluß auf.

Die optische Absorptionsschwelle verschiebt sich bei Nanokristalliten dieser Größe zu immer höheren Energien, also weg vom roten Ende des Spektrums, je kleiner die Kristallite werden. Am elegantesten läßt sich dieser Effekt an Cadmiumselenid-Clustern beobachten: Man erkennt mit freiem Auge den Übergang von tiefem Rot über Orange zu Gelb bei abnehmendem Durchmesser der Halbleiter-Cluster (siehe Titelbild).

Eine interessante und bis heute ungeklärte Frage ist freilich, was geschieht, wenn der Durchmesser der Kristallite kleiner wird als 1 Nanometer; dann verliert nämlich der – für makroskopische Festkörper eingeführte – Begriff der effektiven Masse seinen Sinn. Derart kleine Quantenpunkte hat man bisher freilich noch nicht herstellen können.

Herstellungsverfahren

Ekimows Hypothese stellte sich als richtig heraus, aber es dauerte Jahre, bis Arbeitsgruppen bei den amerikanischen Unternehmen Corning Glass und IBM, am City College von New York und anderswo die richtige Glaspräparierung herausfanden und den Quanteneinschluß überzeugend nachwiesen. Parallel dazu erzeugten Louis E. Brus und seine Mitarbeiter bei den Bell-Laboratorien aus passenden Nährlösungen Kolloid-Suspensionen von Nanokristalliten.

Solche Kristallite wachsen durch Anlagern einzelner Ionen, bis sich der Vorrat erschöpft hat oder die Zufuhr unterbrochen wird. Indem Brus und sein Team die Ausfällung nach einer bestimmten Zeit zum Stillstand brachten, konnten sie die Kristallitgröße zwischen 1,5 und etwa 50 Nanometern nach Belieben steuern. Die Größenabweichungen betrugen dabei innerhalb einer Charge nicht mehr als 15 Prozent. Genau wie bei den in Glas eingebetteten Nanokristalliten zeigte auch hier eine drastische Anhebung der niedrigsten Absorptionsenergie den Quanteneinschluß an.

Forscher in aller Welt haben diese Methode aufgegriffen und weiterentwickelt. An der Universität von Kalifornien in Berkeley zeigten A. Paul Alivisatos und seine Mitarbeiter, daß man Halbleiter-Kristallite nicht nur durch Ausfällen der sogenannten II-VI-Verbindungen (beispielsweise von Cadmium aus der zweiten Spalte des Periodensystems der chemischen Elemente mit Selen aus der sechsten) erzeugen kann, sondern auch mit III-V-Verbindungen wie Galliumarsenid. Michael E. Steigerwald von den Bell-Laboratorien und viele andere benutzten eine Art Seifenhäutchen aus organischem Material (englisch reverse micelle), um die Oberfläche der winzigen Halbleiterkristalle zu stabilisieren. An der Universität von Kalifornien in Santa Barbara, an der Universität Toronto (Kanada) und andernorts zwängt man Atomcluster in die nanometergroßen Hohlräume von Zeolithen (hochporösen kristallinen Tonmineralen); der Vorteil bei dieser Technik ist die präzise Steuerbarkeit der Kristallgröße.

Durch Einsperren der Nanokristalle in andere Materialien dürfte sich ihr Quantenverhalten deutlich verbessern lassen. Die winzigen Halbleiterpartikel haben ein sehr großes Oberfläche/Volumen-Verhältnis, und für Oberflächen sind generell Atome mit ungesättigten chemischen Bindungen typisch. Solche Bindungen können wie Dämpfer wirken, indem sie die Energie von Elektronen in höherenergetischen (das heißt kurzwelligen) Schwingungszuständen absorbieren. Darum zeigen viele Nanokristallite nicht die Vielfalt von Oberschwingungen, die man von einem Quantenpunkt eigentlich erwarten würde.

Lithographie

Da es sich als äußerst schwierig erwies, Quantenpunkte aus Atomclustern herzustellen, begann man sich Mitte der achtziger Jahre nach anderen Methoden umzusehen. Meine Mitarbeiter und ich verfertigten 1987 bei Texas Instruments in Dallas (Texas) erstmals Quantenpunkte mittels lithographischer Technik. Mit einer weiterentwickelten Version der gängigen Ätzverfahren zur Produktion integrierter Schaltkreise schnitten wir Scheiben von Quantenmulden-Material zu kleinen Säulen zurecht (siehe Kasten auf Seite 55).

Um lithographisch Säulen von 10 Nanometern Dicke zu erzeugen, nutzt man – anstelle der für Computerchips üblichen optischen Techniken – den Wellencharakter von Elektronen (ähnliche Wirkungen kann man auch mit Hilfe eines Röntgen- oder Ionenstrahls erzielen). Ein Elektronenstrahl tastet die mit strahlungsempfindlichem Lack (einem sogenannten Resist) dünn beschichtete Halbleiteroberfläche ab. In mehreren Schritten wird der Lack an den Stellen, die der Strahl mit hoher Intensität getroffen hat, durch eine dünne Metallschicht ersetzt. Ein Schwall chemisch aggressiven Gases ätzt nun das ungeschützte Quantenmulden-Material weg und läßt nur die Säulen stehen. Auf diese Weise lassen sich Strukturen bis hinunter zu 100 Nanometern Durchmesser relativ einfach herstellen. Doch bei Größenordnungen um 10 Nanometer stößt dieses Verfahren an Grenzen, die ihm durch die besten verfügbaren Polymer-Lacke gesetzt sind.

In den Säulen liegen über und unter dem Quantenmulden-Material extrem dünne Isolierschichten, Tunnelbarrieren genannt, gefolgt von Leitungskontakten. Die Isolatoren halten die Elektronen zwar sehr lange in der Quantenmulde fest, doch schließlich können die Elektronen aufgrund des quantenmechanischen Tunneleffekts dennoch aus ihr entkommen. So entsteht ein schwacher Tunnelstrom, mit dem man die internen Energieniveaus der Mulde zu sondieren vermag.

Entspricht die an der Mulde anliegende Spannung gerade der Energie eines ihrer internen Resonanzzustände, fließt plötzlich mehr Strom. Ist der Durchmesser der Säule sehr klein, so zeigt ihr Strom-Spannungs-Diagramm die für Quanteneinschluß typische harmonische Folge von Spitzenwerten. Wenn man nur eine einzige, von ihrer Umgebung isolierte Säule herstellt, kann man tatsächlich die Eigenschaften eines einzigen Quantenpunkts berechnen – ein Kunststück, das mit Nanokristalliten kaum zu bewältigen sein dürfte.

Überdies schützt der lithographische Prozeß den Quantenpunkt automatisch vor Oberflächeneffekten, zumindest auf zwei Seiten: Unter- und Oberseite des Quantenpunkts sind Einkristall-Zwischenflächen, die mit Hilfe fortgeschrittener Epitaxie-Technik hergestellt und praktisch makellos sind. Da die Säule elektrisch leitfähig ist, erzeugen die Oberflächenbindungen des Halbleiters eine – in unserem Falle positive – Ladung gegenüber dem Säuleninneren. Diese Ladung treibt Elektronen als Träger negativer Ladung von der Oberfläche in den Quanteneinschluß hinein; die dadurch entstehende Verarmungsschicht erzeugt rund um die Säule eine Isolierung, die den Quantenpunkt auch seitlich schützt. Darum enthält eine 100 Nanometer große Säule in der Regel einen 10 Nanometer großen Punkt.

Ob wirklich ein Quantenpunkt entsteht, hängt von der korrekten Dicke der Isolationsschicht ab und die wiederum von der Größe der geätzten Säule. Da anfangs niemand die richtigen Maße kannte, endeten die meisten Versuche erfolglos. Doch am frühen Morgen des 20. August 1987 – ich bereitete gerade auf einer Konferenz über Quantenmulden einen Vortrag vor – riefen meine Mitarbeiter an: Sie hatten einen Quantenpunkt nachgewiesen. Ich lief zum Fax-Gerät des Hotels, das soeben die Daten ausdruckte; sie zeigten eine ausgeprägte harmonische Reihe von Elektronen-Energieniveaus. Binnen einer Stunde schrieb ich das Ende meines Vortrags um, das Hotelpersonal verwandelte das Fax in ein Schaubild, und ich konnte den Konferenzteilnehmern die Neuigkeit verkünden.

Messungen bestätigten dann, daß unterschiedlich große Quantenpunkte verschiedene harmonische Spektren erzeugten – ein klares Indiz für Quanteneinschluß. Seither haben Arbeitsgruppen vom französischen Nationalen Zentrum für Kommunikationsforschung (CNET) in Issy les Moulineaux, von der Firma NTT in Japan, der Universität Cambridge in England, der Staatsuniversität von New York in Stony Brook und der Universität Princeton (New Jersey) diese Herstellungsmethode ebenfalls angewandt. Pierre Gueret und seine Mitarbeiter bei IBM in Zürich haben sogar einen verformbaren Quantenpunkt erzeugt, indem sie ihn in einer fertigungstechnischen Meisterleistung mit einer Gatterelektrode umgaben; erhöht man das elektrische Potential des Gatters, so schrumpft der Quantenpunkt, und dadurch erhöhen sich seine Grundenergie und die Oberschwingungen des charakteristischen Spektrums.

Der Erfolg mit elektrischen Messungen an lithographisch fabrizierten Quantenpunkten – im Gegensatz zu den relativ schwierigen optischen Messungen an Punkten aus Atomclustern – hat gezeigt, wie wichtig es ist, die störenden Oberflächeneffekte möglichst gering zu halten. Arbeitsgruppen bei den Firmen IBM, AT&T und Philips, an den Universitäten von Hamburg, München und Cambridge sowie der Technischen Universität Delft in den Niederlanden, am Stuttgarter Max-Planck-Institut (MPI) für Festkörperforschung und am MIT haben die Oberflächeneffekte sogar vollständig zum Verschwinden gebracht. Diese Teams erzeugen Quantenpunkte, indem sie über einer Schicht, die Elektroneneinschluß in zwei Dimensionen bewirkt, winzige Gatterelektroden anordnen. Deren Potential treibt die Elektronen punktförmig zusammen (siehe Kasten auf dieser Seite). Diese Methode hat den Vorteil, daß man durch einfaches Variieren der angelegten Spannung ganz nach Wunsch mehr oder weniger Elektronen in den Quantenpunkt sperren kann. Das Ergebnis wird manchmal als künstliches Atom bezeichnet: Das Einschlußpotential wirkt wie ein anziehender Kern, und die äußere Gatterspannung legt über die Elektronenzahl gewissermaßen die chemische Valenz fest.

Künstliche Atome

In natürlichen Atomen wird der Elektroneneinschluß durch die elektrostatische Anziehung des Kerns bewirkt, und darum sind die Wellenfunktionen der Elektronen radialsymmetrisch. Bei den Quantenpunkten entscheidet hingegen die Form der Gatterelektroden über Größe, Form und Symmetrie des Einschlußpotentials; vielleicht wird es also eines Tages eine Art Wellenfunktionstechnik geben, mit der man eine in der Natur nicht vorkommende Atomphysik treiben kann und beispielsweise die Wellenfunktionen der Elektronen in quadratischen oder rechteckigen Atomen zu untersuchen vermag.

Eine Gruppe am Stuttgarter MPI für Festkörperforschung sowie Teams bei IBM und AT&T haben große, regelmäßige Anordnungen von Quantenpunkten erzeugt, indem sie eine netzförmige Gatterelektrode konstruierten – sozusagen das Nano-Äquivalent eines Fliegengitters (Bild 3). Eine daran angelegte Spannung ruft im darunterliegenden Material ein regelmäßiges Gitter von Quanteneinschlüssen hervor. Größe und Elektronenzahl jedes Quantenpunkts sind ebenso steuerbar wie Höhe und Breite der dazwischenliegenden Barrieren.

Daß in den optischen Absorptionsspektren dieser Strukturen regelmäßige Maxima erscheinen, zeugt von der Präzision, mit der man die Muster – manche enthalten mehr als eine Million Quantenpunkte – hergestellt hat; denn schon die geringste Größenabweichung würde die harmonischen Spektren verschmieren. Ray C. Ashoori und Horst L. Störmer von AT&T haben kürzlich die elektrische Kapazität einzelner Quantenpunkte gemessen und gezeigt, daß man darin in der Tat ein einzelnes Elektron einfangen und dann weitere eins um das andere hinzufügen kann.

Somit ist es im Prinzip möglich, ein ebenes Gitter aus künstlichen Atomen herzustellen, deren Eigenschaften sich praktisch vollständig kontrollieren lassen. So wie einzelne Quantenpunkte – analog zu natürlichen Atomen – diskrete Energieniveaus haben, müßte ein solches Gitter ähnlich wie ein kristalliner Halbleiter Energiebänder aufweisen. Damit könnte man nicht nur theoretische Probleme der Quantenphysik studieren, sondern möglicherweise auch einen extrem schnellen elektronischen Oszillator produzieren.

Doch bislang hat niemand die Bandstruktur eines künstlichen Gitters zweifelsfrei nachgewiesen. Dies erfordert nämlich nicht nur höchste Präzision bei der Herstellung des Elektrodengitters, sondern auch, daß das darunterliegende Quantenmulden-Material völlig makellos ist. In natürlichen Halbleitergittern kann man sich darauf verlassen, daß beispielsweise alle Siliciumatome identisch sind; doch bei einem künstlichen Gitter muß man die Gleichförmigkeit erst mühsam herstellen.

Eine interessante Variante dieser Technik ist das sogenannte Antipunkt-Gitter: Kehrt man die am Gitter liegende Spannung um, so stoßen die Inseln, die vordem Elektronen anzogen, diese nun ab. Die Elektronen werden in die Zwischenräume gedrängt und prallen auf ihrer Wanderung durch das Gitter immer wieder von den Antipunkten ab – als wären sie Kugeln in dem wohl kleinsten Flipper-Automaten, der jemals gebaut worden ist.

Bei einer anderen Variante der Gittertechnik, die Kathleen Kash und ihre Mitarbeiter bei Bell Communications Research (Bellcore) entwickelt haben, wird der Quanteneinschluß nicht mit Elektroden, sondern durch mechanische Druckspannung herbeigeführt. Das Team bringt auf das Quantenmulden-Material eine mechanisch gespannte Schicht auf, bei der die atomaren Gitterabstände sich von denen des darunterliegenden Substrats unterscheiden, und setzt das Material dadurch unter seitlichen Druck. Nun ätzen die Forscher ein Muster in die gequetschte Schicht; wo sie weggeätzt wird, weicht die Druckspannung. Dadurch entstehen in der Quantenmulden-Schicht geringfügige Variationen der Atomabstände, die ihrerseits die Energieniveaus der Elektronen verändern und Quantenpunkte erzeugen können.

Quantenpunkt-Komplexe

Der elektrostatische Einschluß erzeugt Quantenpunkte, deren Eigenschaften sich besonders leicht steuern lassen. Erst vor kurzem aber gelang es mehreren Gruppen, so winzige Elektroden zu fertigen, daß sie als Tunnelbarriere-Kontakte zu einem einzelnen elektrostatisch erzeugten Quantenpunkt dienen konnten (Bild 1).

Mit solchen seitlich angelegten Kontakten lassen sich Größe und Elektronenzahl des Quantenpunkts sowie die Durchlässigkeit der ihn umgebenden Barrieren fast beliebig manipulieren. Damit kann man quantenmechanische Standardrechnungen nachprüfen, etwa die Energieniveaus nulldimensionaler Zustände oder die Wahrscheinlichkeit dafür, daß Elektronen durch Barrieren tunneln; und wenn zwei Quantenpunkte zu einem künstlichen Molekül verbunden sind, kann man die Kopplung zwischen den Zuständen benachbarter Quantenpunkte studieren. Leo P. Kouwenhoven von der Universität Delft hat sogar gezeigt, daß man zahlreiche Quantenpunkte wie Perlen einer Kette zu einem künstlichen eindimensionalen Kristall aufreihen kann – daran läßt sich beobachten, wie die Energiebänder eines Kristalls entstehen.

Wie die Gruppen in Delft und am MIT entdeckt haben, werden die Energieniveaus dieser winzigen Punkte nicht nur von größenabhängigen quantenmechanischen Effekten bestimmt, sondern auch davon, daß die Elektronenladung quantisiert ist (siehe „Elektronik mit einzelnen Elektronen“ von Konstantin K. Licharew und Tord Claeson, Spektrum der Wissenschaft, August 1992, Seite 62). Das Energieniveau eines Quantenpunkts hängt teils von seiner elektrischen Kapazität und der darin enthaltenen Ladungsmenge ab – und diese ist eben stets ein Vielfaches der Elementarladung e.

Die beiden Arten von Quantisierung wirken auf komplizierte Weise zusammen. Um abzusehen, welche überwiegen wird, muß man nicht nur Wellenlänge und effektive Masse des Elektrons im Quantenpunkt kennen, sondern auch die Kapazität des Punktes. Ein aus einem metallischen Partikel erzeugter Punkt enthält sehr viel mehr Leitungselektronen als ein Punkt aus Halbleitermaterial. Außerdem beträgt die Wellenlänge von Leitungselektronen weniger als ein Nanometer. In einem 10 Nanometer großen Quantenpunkt aus Metall wirkt sich daher die Ladungsquantisierung viel stärker aus als die Quantisierung aufgrund der Punktgröße. Doch im Halbleiter – in dem die Kapazität eines Quantenpunkts der eines gleich großen Metall-Punkts vergleichbar ist – halten beide Effekte einander ungefähr die Waage.

Anwendungen

In der Entwicklung von Quantenpunkten kulminieren zwanzig Jahre Arbeit, in denen die Forscher gelernt haben, elektronische Materialien nach Maß zu fertigen. Vor 1970 war die Festkörperforschung auf Materialien angewiesen, die in der Natur vorkommen. Dann aber ermöglichte die Molekularstrahl-Epitaxie, jene ultradünnen Schichten und zweidimensionalen Strukturen zu erzeugen, die heute die Halbleitertechnik prägen. Heute vermag man mit verfeinerten Methoden auch den ein- und nulldimensionalen Bereich zu erforschen. Doch bevor diese Entdeckungen sich kommerziell nutzen lassen, muß erst eine neue Generation von Fertigungstechniken entwickelt werden.

Am schwierigsten ist es, Größe und Reinheit dieser Nanostrukturen perfekt zu kontrollieren. Dafür werden die gängigen, gleichsam von oben nach unten arbeitenden Verfahren – das Schneiden, Ätzen oder Quetschen von Halbleitern – wohl nur unter der Bedingung ausreichen, daß Materialforschung und Nanotechnik revolutionäre Fortschritte machen. Die gegenwärtigen Prototypen von Funktionselementen sind sperrig (da die Elektroden und Kontakte rund um jeden Quantenpunkt enorm viel Platz einnehmen) und funktionieren nur bei sehr tiefen Temperaturen.

Außerdem stellt man solche Laborversionen von Bauelementen per Elektronenstrahl-Lithographie her, und damit lassen sich kommerziell interessante Stückzahlen komplizierter Schaltkreise nicht fabrizieren. Darum braucht man neue lithographische Verfahren, die sich im atomaren Maßstab dreidimensional steuern lassen – beispielsweise räumlich strukturierte Epitaxie oder selbstorganisierte Molekülanlagerung.

Man wird also wahrscheinlich Materialien und Syntheseverfahren entwickeln müssen, bei denen die herkömmliche Halbleitertechnik auf neuartige Weise mit anderen Methoden kombiniert ist. Forscher an den Fujitsu-Laboratorien in Japan haben zum Beispiel Quantendrähte und -punkte aus organischen Polymeren hergestellt. Da im Polymermolekül die an der elektrischen Leitung beteiligten Atome an festen Orten sitzen, läßt sich diese Methode viel genauer steuern als die Elektronenstrahl-Lithographie. Falls sich das Zusammenbauen von Quantenelementen gleichsam von unten nach oben als machbar erweist, werden die heutigen Methoden dagegen wie der Versuch wirken, ein mechanisches Uhrwerk aus einem Stück Stahl im ganzen herauszufräsen.

Noch wichtiger als Verfahren zur Massenproduktion von Quanteneinschluß-Elementen ist freilich die Konstruktion brauchbarer Schaltkreise, die ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen. Obwohl Quantengeräte sich theoretisch wesentlich weiter miniaturisieren lassen als herkömmliche Silicium-Strukturen, wird es in der Praxis darum gehen, ob derart kostspielige Bauteile im nächsten Jahrzehnt auf dem Markt gegen die weitere Entwicklung der Silicium-Technik bestehen können.

So wie der Transistor weit über seine ursprüngliche Rolle in Radioempfängern hinausgewachsen ist, werden Quantengeräte vielleicht eines Tages für vieles andere als digitale Rechen- und Kommunikationssysteme dienen, obwohl man sie bisher nur dafür entwickelt hat. Gelänge es, Gitter aus Millionen oder Milliarden von Quantenpunkten herzustellen, wobei Form und Größe jedes Punkts frei verfügbar wären, so ließe sich jedes nur denkbare elektronische oder optische Material erschaffen. Man wäre fähig, Emissions-, Absorptions- und Laserspektren präzise maßzuschneidern, und ein einziges Materialscheibchen könnte eine Unzahl winziger Computer enthalten, deren Vernetzung und interne Architektur sich flexibel auf jede neue Aufgabe einstellen würde.

Doch den Forscher interessieren die Quantenpunkte nicht nur wegen ihrer praktischen Anwendungsmöglichkeiten für Technik und Experimentalphysik. Die Fähigkeit, Materie in atomarem Maßstab zu manipulieren und einzigartige Substanzen oder Geräte mit maßgeschneiderten Eigenschaften zu schaffen, übt eine tiefe Faszination aus: Hier setzen sich menschliche Erfindungskraft und Phantasie kühn über die Entstehungsbedingungen natürlicher Materialien hinweg.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1993, Seite 52
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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