Quarks mit Soße - Neues zum Quark-Gluon-Plasma
Auf der Suche nach einem neuen Aggregatzustand der Kernmaterie, dem Quark-Gluon-Plasma, und seinen Eigenschaften wurden weitere wichtige Fortschritte gemacht.
Eigentlich lassen sich Quarks nicht trennen; dafür sorgt die starke Kernkraft, vermittelt durch die sogenannten Gluonen (nach englisch glue, Leim). Deswegen machen sie sich normalerweise auch nicht direkt bemerkbar – und das, obwohl sie den größten Teil der uns umgebenden Materie aufbauen: Die Protonen und Neutronen der Atomkerne bestehen jeweils aus drei von ihnen. Selbst wenn diese Dreiergruppen aufgebrochen werden, können Quarks allenfalls neue Bindungen statt der alten eingehen und sich etwa mit einem zugehörigen Antiteilchen zu einem Meson verbinden.
Wenn es aber doch – mit gewaltigem Aufwand an Energie – gelingen sollte, ungebundene Quarks zu erzeugen, können die Gluonen, die sie bis dahin zusammengehalten haben, nicht weit sein. Der resultierende Zustand, ein Quark-Gluon-Plasma, läßt sich als sehr heiße Wolke veranschaulichen, in der beide Partikelsorten umherschwirren und heftig miteinander wechselwirken. Dabei halten die Klebeteilchen ihre Partner nur noch lose zusammen: Quarks mit Soße gewissermaßen.
In der Natur hat ein solcher Zustand höchstwahrscheinlich bereits einmal existiert: wenige milliardstel Sekunden nach dem Urknall. Als das Universum expandierte und die Temperatur sank, kondensierten die Quarks dann zu der Materie, die wir heute kennen – ähnlich wie beim Phasenübergang gasförmig/flüssig aus abkühlendem Dampf Wasser wird. Nur im Inneren der äußerst dich-ten Neutronensterne herrschen vielleicht Bedingungen, unter denen ein Quark-Gluon-Plasma existieren kann.
Im Labor ließe sich die extrem hohe Energiedichte, die zur Schaffung dieses Zustands erforderlich ist, eventuell beim Zusammenprall zweier sehr schneller, schwerer Atomkerne erreichen – allerdings nur für sehr kurze Zeit. Und weil der Materie nach dem Versuch nicht anzusehen ist, ob sie die Phase eines Quark-Gluon-Plasmas durchlaufen hat, ist dessen Nachweis nur indirekt und damit sehr kompliziert zu führen (vergleiche "Nukleare Stoßwellen und Quark-Materie", Spektrum der Wissenschaft, Januar 1992, Seite 46). Dennoch sind die Physiker diesem Ziel in den letzten Jahren schon sehr nahegekommen. Das war jedenfalls die verbreitete Ansicht auf der Konferenz "Quark Matter 97" im Dezember letzten Jahres in Tsukuba (Japan), deren Ergebnisse kürzlich veröffentlicht wurden ("Nuclear Physics A", Band 638, August 1998).
Seitensprung des charm-Quarks
Eine der Meßgrößen, die sich für diesen indirekten Nachweis eignen, ist die Anzahl der sogenannten J/Y-Mesonen. Diese Teilchen bestehen aus dem charm-Quark, das in der Natur nur sehr selten vorkommt, und seinem Antiteilchen (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1997, Seite 82). Solche Paare können bei Teilchen-Kollisionen in Beschleunigern entstehen. Je größer die Masse der am Stoß beteiligten Partikel und ihre Geschwindigkeit – und damit ihre Energie – ist, desto mehr J/Y-Mesonen werden erzeugt.
Durch ein Quark-Gluon-Plasma sollte die Bildungsrate dieser Teilchen jedoch beeinflußt werden. In diesem Falle ist das neu entstandene Quark-Antiquark-Paar nämlich dicht von vielen freien Quarks aus den geschmolzenen Kernteilchen umgeben. Bevor sich die Partner also zu einem J/Y-Meson verbinden, gerät möglicherweise einer von ihnen in Wechselwirkung mit einem freien Quark, und die Paarung kann nicht mehr stattfinden. Ab einer bestimmten Stoßenergie müßte also die Anzahl dieser Mesonen hinter dem theoretischen Wert für nicht geschmolzene Kernteilchen zurückbleiben.
Genau das ist in Experimenten während der letzten Jahre zweifelsfrei gemessen worden. Diese Ergebnisse zählten zu den spannendsten, die auf der "Quark Matter 97" präsentiert wurden. Die vorgeschlagenen alternativen Erklärungen für das Phänomen ließen sich auf der Konferenz weitgehend entkräften.
Massendefekt
Es gibt weitere indirekte Hinweise auf die Existenz eines Quark-Gluon-Plasmas. In ihm sollte das sogenannte r-Meson zum Beispiel eine geringere Masse haben als in einer weniger dichten Umgebung. Die Masse eines Teilchens ist nämlich – zumindest nach einigen Theorien – keineswegs eine unveränderliche Naturkonstante, sondern läßt sich auf die Wechselwirkung mit verschiedenen Kraftfeldern zurückführen. Eines davon, das sogenannte Higgs-Feld, steuert einen geringen, unveränderlichen Grundanteil bei (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1995, Seite 32); einen weitaus größeren Beitrag leistet jedoch die Wechselwirkung mit dem physikalischen Vakuum. Gegen dieses kann ein Teilchen sozusagen abgeschirmt werden, wenn es sich inmitten genügend vieler anderer stark wechselwirkender Partikel befindet. In einem Quark-Gluon-Plasma wäre das der Fall. Dort sollten alle Teilchen also eine meßbar geringere Masse haben.
Für r-Mesonen läßt sich dieser Effekt besonders leicht ermitteln; denn sie zerfallen kurz nach ihrer Bildung in ein Elektron und ein Positron – Leptonen, die nicht mehr mit dem Quark-Gluon-Plasma wechselwirken, weil sie die starke Kraft nicht spüren, und die deshalb ihren ursprünglichen Impuls bewahren, der mit Detektoren zudem gut zu messen ist. Einige hochenergetische Kollisionen ergaben für die r-Mesonen tatsächlich eine deutliche Verschiebung des Massenspektrums hin zu niedrigeren Werten.
Thermodynmische Sichtweise
Statt der Eigenschaften einzelner Teilchen im Quark-Gluon-Plasma – wie Masse, Impuls und Energie – kann man aber auch die Zustandsgrößen des Gesamtsystems untersuchen. Das sind kollektive, gemittelte Eigenschaften der Partikel wie Druck und Temperatur. Ihre Beziehungen entsprechen den thermodynamischen Zustandsgleichungen, die für Gase schon im letzten Jahrhundert aufgestellt wurden. Damit sie sich auch für das extrem heiße Kollektiv aus Quarks und Gluonen herleiten lassen, müßte dieser Zustand allerdings lange genug bestehen, daß sich beispielsweise der Impuls der Teilchen über Zusammenstöße gleichmäßig verteilt hat. Ob bei den derzeitigen Experimenten die Zeit zur Einstellung eines solchen thermodynamischen Gleichgewichts ausreicht, war bisher unklar.
Doch auch auf diese Frage gab es auf der "Quark Matter 97" eine eher positive Antwort. Die immer zahlreicheren Daten lassen sich gut durch theoretische Modelle beschreiben, die als einzige Voraussetzung annehmen, daß sich während der Reaktion ein thermodynamisches Gleichgewicht eingestellt hat. Die resultierenden Werte für Temperatur und Dichte liegen sehr nahe an der berechneten Phasengrenze zwischen einem Quark-Gluon-Plasma und hadronischer Materie, in der die Quarks noch aneinander gebunden sind. Vielleicht sind also Zustandsgleichungen zur Beschreibung der Phasenübergänge von Kernmaterie nicht in allzuweiter Ferne.
Ein zweifelsfreier Nachweis des Quark-Gluon-Plasmas erfordert jedoch mehr und genauere Daten – auch in Energiebereichen, in denen bis jetzt nur sehr wenig gemessen wurde. Einige Experimente werden deswegen in den nächsten Jahren ausgebaut. Die neuen Beschleunigerringe in Brookhaven (Long Island) und am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf sollen noch in diesem Jahr beziehungsweise 2005 betriebsfähig sein und weitaus höhere Energien bereitstellen, als heute erreichbar sind. Damit wird es dann vielleicht gelingen, nicht nur die Existenz des Plasmas eindeutig nachzuweisen, sondern auch seine Eigenschaften präzise zu bestimmen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1999, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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