Rechnet sich Biomasse?
Kohle kontra Wind, Erdöl gegen Photovoltaik, Erdwärme gegen Holzschnitzel – auf der Suche nach umweltschonenden Alternativen zu herkömmlichen Energieträgern entscheidet letztlich der Preis, welche Energieträger Chancen auf dem Energiemarkt haben. Wird die Biomasse zu der von der Bundesregierung angestrebten Minderung der Kohlendioxid-Emissionen um 25 Prozent bis zum Jahr 2005 beitragen? Bislang wurde erst eine Reduktion um circa 13 Prozent erreicht. Immerhin könnten Holz und andere pflanzliche Materialien mittelfristig 7 bis 15 Prozent des Energiebedarfs decken, derzeit sind es insgesamt etwa ein Prozent.
Doch der Energieträger Biomasse macht es dem Analysten schwer, denn ein einheitlicher Preis der Kilowattstunde läßt sich kaum ermitteln, da er in festen, flüssigen und gasförmigen Varianten vorkommt: Die erste stellt die bedeutendste Gruppe vor allem mit Holz und Stroh; Öle und andere flüssige Formen werden in Deutschland meist aus Rapspflanzen gewonnen, und Biogas entsteht beispielsweise, wenn organische Abfallprodukte aus der Viehhaltung oder der Lebensmittelindustrie anaerob zu Methan abgebaut werden.
Auch die resultierende Energieform verlangt weitere Differenzierung: Soll Wärme zu Heizzwecken, Strom oder beides erzeugt werden? Wir wollen uns zunächst auf das erste konzentrieren.
Die Kette der ökonomischen Betrachtung beginnt mit der Produktion der Energieträger, also den Kosten für Anbau und gegebenenfalls Verarbeitung; der Transport zur Verbrennungsanlage wird hier ebenfalls eingerechnet. Wohl gemerkt: so genannte externe Kosten, die beispielsweise für die Produktion eines Traktors anfallen oder gar für die Sanierung dadurch verursachter Umweltschäden, rechnen wir in dieser klassischen Analyse nicht ein.
Im Vergleich untereinander sowie gegenüber leichtem Heizöl stechen Abfall- und Reststoffe hervor, etwa Grünschnitt, der bei der Pflege von Randstreifen an Straßen anfällt, und Holzreste aus der Möbelindustrie. Sie werden normalerweise nicht gehandelt, sondern müssen gegen Gebühren zu einem Kompostierwerk oder einer Deponie verfrachtet werden. Kosten fallen deshalb bei einer energetischen Nutzung nicht einmal für den Transport an, sofern das entsprechende Heiz(kraft)werk nahe gelegen ist.
Heizöl gegen Abfall – ein Rennen von Hase und Igel?
Ähnliches gilt für die so genannten Nebenprodukte. So verbleiben in der Land- und Forstwirtschaft beim Durchforsten jüngerer Bestände Äste, Baumreste und schwächere Bäume häufig ungenutzt im Wald. Nur das Einsammeln, Häckseln und die Beförderung schlagen hier zu Buche. Auch Stroh ist ein Nebenprodukt – es bleibt beim Getreideanbau übrig. Was nicht für die Tierhaltung oder für eine ausgeglichene Humusbilanz des Bodens benötigt wird, ist billiger Überschuss, der in Form von Strohballen vom Feld zur Verbrennungsanlage gelangt.
Anders sieht es bei eigens zur energetischen Nutzung angebauten Pflanzen aus – wie Chinaschilf, Getreide, Raps und die im mehrjährigen Rhythmus geernteten Pappeln oder Weiden. Die Produktion von Biomasse gilt als alternative Einnahmequelle der Landwirtschaft, die gleichzeitig hilft, die Überproduktion von Nahrungsmitteln innerhalb der Europäischen Union zu dämpfen (derzeit findet man Energiepflanzen hauptsächlich auf subventionierten Stilllegungsflächen, die aufgrund der Agrarpolitik nicht zur Nahrungsmittelproduktion genutzt werden dürfen).
Die Produktionskosten beispielsweise einer Tonne Chinaschilf liegen etwa bei 150 bis 190 DM. 80 Prozent davon entfallen auf Anbau und Ernte, 13 Prozent auf die Lagerung und 7 Prozent auf den Transport zum Heizwerk, sofern es nicht weiter als 20 Kilometer entfernt liegt. Doch Vorsicht: Ohne die Subventionszahlungen lägen die reinen Anbaukosten wohl um fast ein Drittel höher.
Regional unterschiedliche klimatische, geologische und topographische Gegebenheiten geben einen gewissen Spielraum, da Erträge und Aufwendungen bei Anbau und Ernte entsprechend schwanken. Doch insgesamt ergibt sich ein klares Bild: Abfälle und Nebenprodukte können gegen das billige Heizöl konkurrieren, Energiepflanzen nur, solange sie an günstigen Standorten auf Stilllegungsflächen angebaut werden und dadurch von einer Stilllegungsprämie profitieren. Rapsmethylester (RME), der als "Biodiesel" verkauft wird, weist pro Energieeinheit mit Abstand die höchsten Kosten auf (Biogas und Gülle spielen bei dieser Betrachtung keine Rolle, da sie hauptsächlich zur Stromerzeugung dienen).
Doch diese Gegenüberstellung ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Die Verbrennung von Biomasse ist nämlich technisch aufwendiger und damit teurer als die von Kohle, Öl oder Gas. Der Grund: Das Material ist sehr heterogen und bedarf deshalb einer aufwendigeren Prozesssteuerung und Anlagentechnik. Im Durchschnitt übersteigen die Investitionskosten für entsprechende Anlagen die der fossilbefeuerten um 50 bis 90 Prozent bei gleicher Leistung, und auch die Betriebskosten liegen häufig darüber. Dabei sind Strohheizwerke teurer als solche für Holz, da die Handhabung und Verbrennung von Strohballen technisch aufwendiger ist.
Wärme aus Biomasse-Heizwerken kann deshalb nur unter sehr günstigen Bedingungen konkurrieren, also etwa bei Verwertung kostenloser Reststoffe. Die müssen dann aber auch in erforderlicher Menge und zuverlässig bereitgestellt werden können. Um Mehrkosten gering zu halten, empfiehlt sich eine Kombinationslösung: Ein Energiepflanzen verfeuernder Heizkessel bedient die Grundlast, ein Ölheizkessel deckt Spitzen an Tagen besonders großer Nachfrage ab. Vor allem in den waldreichen Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen gibt es bereits, durch Investitionsbeihilfen gefördert, entsprechende Anlagen.
Andere regenerative Energiequellen für Raumwärme und Warmwasser sind Sonnenlicht und oberflächennahe Erdwärme. Je nach Standort haben solarthermische Anlagen oder Wärmepumpen ihre Vorzüge. Durch eine sinnvolle Kombination mehrerer regenerativer Technologien liegen die Wärmekosten heute schon im Bereich fossil befeuerter Systeme.
Biomasse besteht auch gegen Photovoltaik
Es wird erwartet, dass die Kosten solcher Anlagen durch technische Verbesserungen und Produktion größerer Stückzahlen noch gesenkt werden können. Das hängt jedoch auch vom zukünftigen Umfang der Nutzung ab. Die Chancen dafür stehen zur Zeit recht gut. Die Europäische Union hat sich als Ziel gesetzt, bis 2010 den Anteil regenerativer Energieträger von derzeit 6 Prozent auf dann 12 Prozent des Bruttoenergieverbrauchs zu verdoppeln. Die Biomasse soll dabei einen entscheidenden Beitrag leisten.
Davon profitiert natürlich auch ihr Einsatz im Strommarkt. Zumindest im Vergleich mit anderen regenerativen Energieträgern hat Biomasse schon jetzt wirtschaftliche Vorteile zu bieten.
Zwar erzeugt hier Wasserkraft den billigsten Strom, doch es gibt in Deutschland kaum noch Standorte für neue Kraftwerke, ob aus wirtschaftlichen oder ökologischen Gründen. Windkraft rechnet sich erst bei hohen Windgeschwindigkeiten, und die herrschen vor allem an den Küsten, doch auch da bleibt nicht mehr viel Luft, da die Flächen knapp werden. Die Branche plant deshalb auch Windräder in küstennahen Flachwasserzonen der Nord- und Ostsee. Hiebei sind allerdings noch einige technische Probleme zu lösen.
Photovoltaik-Anlagen als dritte große Form regenerativer Stromerzeugung sind immer noch sehr teuer, trotz aller Zuschüsse von Bund oder Ländern. Sonne und Wind sind zudem nicht immer verfügbar: Bei Windstille beziehungsweise Bedeckung oder Dunkelheit muss die Stromnachfrage anders befriedigt werden. Dadurch erhöhen sich die tatsächlichen Kosten pro Kilowattstunde. Bei der Biomasse treten diese Probleme aufgrund ihrer Lagerfähigkeit nicht auf – auch im Winter gibt es genug Material zu verfeuern.
Das jüngst verabschiedete Stromeinspeisungsgesetz, das "grünem Strom" Garantiepreise für mehrere Jahre zusichert, verbessert die Wettbewerbsfähigkeit regenerativer Energieträger. Davon profitiert auch die Biomasse. Sie kann in Deutschland mittelfristig aber nur schätzungsweise 7 bis 15 Prozent des Energiebedarfs decken. Es bietet sich also an, die Durchschnittskosten der Strombereitstellung aus regenerativen Energieträgern durch einen intelligenten Energiemix zu reduzieren.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2000, Seite 90
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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