Richard Feynman. Leben und Werk des genialen Physikers
Richard P. Feynman (1918 bis 1988) ist zweifellos eine der überragenden und schillerndsten Wissenschaftlergestalten dieses Jahrhunderts. Zu seinen physikalischen Leistungen zählen die alternative Formulierung der Quantenmechanik mittels Pfadintegralen, Beiträge zur Theorie der Superfluidität, eine neue Theorie (die sogenannte V-A-Theorie) der schwachen Wechselwirkung (gemeinsam mit Murray Gell-Mann), das Partonenmodell und vor allem die Vollendung der Quantenelektrodynamik, für die er 1965 zusammen mit Shinichiro Tomonaga (1906 bis 1979) und Julian Schwinger (1917 bis 1994) mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. In all diesen Arbeiten zeigt sich Feynmans Fähigkeit, intuitiv den physikalischen Kern einer Klasse komplexer Phänomene herauszupräparieren und das Wesentliche in einfachen Gesetzen, einem Modell oder einem Bild festzuhalten. Die Diagramme zu Elementarteilchenreaktionen, die heute seinen Namen tragen, sind nur ein Beispiel dafür.
Feynman selbst verabscheute zeitlebens aufgeblasene mathematische Formalismen; er sah sich stets wie ein Junge vom Land, der mit naiver Unbefangenheit zielstrebig – und erfolgreich – an Probleme herangeht. Mit dieser Grundhaltung gelang es ihm, als junger Gruppenleiter am Manhattan-Projekt in Los Alamos die Safes seiner Kollegen zu knacken, vornehmlich – aber nicht ausschließlich – in jüngeren Jahren zahlreiche Frauen an Bars für sich einzunehmen und kurz vor seinem Tode Aufklärendes zur Challenger-Katastrophe beizutragen (beim zehnten Start am 28. Januar 1986 war die Raumfähre mit sieben Astronauten an Bord explodiert).
Der amerikanische Wissenschaftsjournalist James Gleick hatte also genug Stoff für eine gleichermaßen unterhaltsame wie lehrreiche Biographie zur Verfügung. Kennern der Werke Feynmans (vergleiche die Besprechungen in Spektrum der Wissenschaft, Juni 1988, Seite 128, Oktober 1989, Seite 148, sowie August 1991, Seite 128) wird vieles bekannt vorkommen; doch wollte Gleick ausdrücklich nicht allzusehr auf dieses Material zurückzugreifen. Denn wie er sorgfältig nachweist, übertrieb Feynman hier und da, stellte sich zu einseitig dar (zumeist als Quertreiber oder Einfaltspinsel) und ließ Bedeutsames gezielt aus, so daß seine innersten Überzeugungen und die Züge seiner außerordentlichen Begabung wie hinter einer Maske verschwanden. Wie jede Maske, so verrät auch diese viel über ihren Träger.
Um der außerordentlichen Begabung seines Helden (der amerikanische Originaltitel ist "Genius") auf den Grund zu gehen, hat Gleick zahlreiche Interviews mit Freunden, Kollegen und Familienmitgliedern Feynmans geführt und aufschlußreiches Material, das teilweise erst postum zugänglich wurde, berücksichtigt. Es ist ihm in bemerkenswerter Weise gelungen, seinen Protagonisten nicht als "blutleeren Intellektuellen oder als bongospielenden Clown" (Seite 597) erscheinen zu lassen, sondern zu zeigen, wie dieser es vermochte, beide Momente seines Charakters zu verbinden.
Dem Mathematiker Mark Kac zufolge gibt es zwei Arten von Genies, "gewöhnliche", deren Leistungen jeder Mensch im Prinzip selbst erbringen könnte, wenn er nur um ein Vielfaches besser wäre, und "magische", deren Erkenntniswege auch im nachhinein kaum nachvollziehbar sind. Feynman war, so zitiert Gleick Kac zustimmend, ein solcher Magier "allerhöchsten Ranges" (Seite 22). Außerdem aber hatte Feynman – wie alle erfolgreichen Genies – die Fähigkeit, seine vielen Ideen schnell kritisch zu prüfen. Zum Geniebegriff finden sich über das gesamte Buch verteilt viele auch geistesgeschichtlich interessante Bemerkungen.
Ein bestimmendes Element der Feynmanschen Denkweise war seine bildhafte Intuition. Er vermochte rasch die jeweils relevanten Freiheitsgrade aufzudecken; diese sind im allgemeinen nicht identisch mit den von einer vermeintlich fundamentalen Theorie diktierten. Gleick zieht jedoch daraus den Fehlschluß, Feynman sei nicht von der Existenz fundamentaler Entitäten und Gesetze im Sinne des Reduktionismus überzeugt gewesen. Dem widerspricht schon sein Bedürfnis, einfache Gesetze für komplexe Phänomene aufzudecken (Seiten 312 folgende). Hier scheint Gleick eine schon in seinem Bestseller "Chaos" (Droemer Knaur, München 1989) artikulierte antireduktionistische Grundhaltung in Feynman hineinzuprojizieren. Etwas ärgerlich ist auch, daß einige Bemerkungen Gleicks über die Quantenmechanik eine subjektivistische Interpretation suggerieren (Seite 352), die sicherlich nicht allgemein akzeptiert ist und außerdem einer unguten, aber populären Mystifizierung der modernen Wissenschaft weiter Vorschub leistet.
Es ist nicht ungefährlich, im Werk eines Vollblutwissenschaftlers, der zeitlebens nie ein Hehl aus seiner Abneigung gegenüber der Philosophie und anderen Geisteswissenschaften gemacht hat, nach philosophischen Aussagen zu suchen. Aber auch keine Philosophie zu haben ist bereits eine philosophische Grundhaltung. Diese dem amerikanischen Wesen ohnehin schon sehr eigentümliche, auf unerschrockenen Pragmatismus gründende Haltung wurde im Falle der Physiker aus Feynmans Generation noch durch die technischen Herausforderungen des Atombombenprojekts in Los Alamos verstärkt. Gleick evaluiert sie mit großem Einfühlungsvermögen. Sehr lesenswert sind in diesem Zusammenhang auch Feynmans Überlegungen zum Erklärungsbegriff sowie zum Programm der Vereinheitlichung der Kräfte und der modellhaften Darstellung der Realität.
Das Buch ist sehr verständlich geschrieben. Gleick bemüht sich, das jeweilige physikalische Problem im historischen Kontext zu erläutern, und so ist diese Biographie auch ein Baustein zu einer Geschichte der Physik dieses Jahrhunderts. Nebenbei erfährt man viel Wissenswertes über andere bedeutende Forscher wie etwa Hans Bethe, Murray Gell-Mann und John Wheeler.
Insgesamt ein trotz der erwähnten Kritikpunkte empfehlenswertes Buch.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1995, Seite 118
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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