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Umweltforschung: Sehenden Auges in die Klima-Katastrophe?

Der neue Klima-Bericht der Vereinten Nationen macht unmissverständlich klar: Die Erdatmosphäre erwärmt sich stärker und schneller als bisher angenommen.


Die Nachricht ist eigentlich nicht neu: Die Temperatur der Erdatmosphäre steigt im globalen Mittel an. Doch die Zahlen, die der aktuelle Bericht der Vereinten Nationen zum Klimawandel enthält, sprechen eine deutliche Sprache: Der Temperaturanstieg ist auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen, er verläuft weit schneller als befürchtet, und er wird dramatische Auswirkungen auf die Umwelt und die Weltbevölkerung haben.

Der in drei Teilen vorgelegte Bericht des "Zwischenstaatlichen Gremiums für Klimaveränderungen" ist die bislang fundierteste Untersuchung zum globalen Klimawandel (im Internet erhältlich unter www.ipcc.ch). Mehrere hundert Wissenschaftler haben daran mitgearbeitet. Ihre Ergebnisse sollten eigentlich in allen Regierungen, in allen Kommunen und bei jedem einzelnen Bürger die Alarmglocken schrillen lassen.

Die Messdaten zeigen, dass im 20. Jahrhundert die Lufttemperatur in Bodennähe im weltweiten Mittel um etwa 0,6 Grad zugenommen hat. Die 1990er Jahre waren das wärmste Jahrzehnt und das Jahr 1998 das wärmste seit Beginn der systematischen Temperaturmessungen 1861. Unter Zuhilfenahme von historischen Aufzeichnungen und Datenmaterial, das aus Baumringen, Korallen und Eisbohrkernen gewonnen wurde, kommen die Forscher zu dem beunruhigenden Schluss, dass noch nie im letzten Jahrtausend die Temperatur derart rapide angestiegen ist.

Besonders gravierend sind die Veränderungen im Tagesverlauf der Temperaturen. Während sich die Tageshöchsttemperatur seit 1950 um 0,1 Grad pro Jahrzehnt erhöht hat, sind die nachts gemessenen Minimaltemperaturen doppelt so stark gestiegen, nämlich um 0,2 Grad pro Jahrzehnt. Als Folge davon hat die Anzahl der frostfreien Tage in den gemäßigten Zonen zugenommen. Dies wiederum hat dazu geführt, dass die Vegetationsperiode heute länger währt und die Gewässer etwa zwei Wochen im Jahr länger eisfrei sind als noch vor einem Jahrhundert. Die Daten von Erdbeobachtungssatelliten belegen zudem, dass seit dem Ende der sechziger Jahre die winterliche Schneebedeckung um zehn Prozent abgenommen hat. Gebirgsgletscher ziehen sich zurück, und selbst die Eisdecke des Nordpolarmeeres ist deutlich dünner geworden.

Freilich steht weit mehr auf dem Spiel als der Wintersport-Tourismus und das empfindliche Ökosystem der Arktis. Weltweit wird es zu Klimaverschiebungen kommen, wobei die einzelnen Regionen auf unterschiedliche Weise betroffen sein werden. Bis zum Jahr 2100, so die Prognose der UN-Experten, wird der Meeresspiegel um neun bis 88 Zentimeter ansteigen. Die Atmosphäre wird dann im Mittel 1,4 bis 5,8 Grad Celsius wärmer sein als 1990. Durch Verschiebung der Niederschlagszonen werden manche Regionen unter Wassermangel, andere verstärkt unter Überschwemmungen zu leiden haben.

Neben vielen Inselstaaten wie etwa den Malediven werden insbesondere die Küstenregionen von Ägypten, Vietnam und Florida von Überflutungen bedroht sein. Ganze Landstriche indes werden austrocknen, die Ernteerträge vor allem in den tropischen und subtropischen Zonen zurückgehen. Bereits heute leben 1,7 Milliarden Menschen in Regionen, in denen mehr als 20 Prozent der vorhandenen Wasserressourcen verbraucht werden; im Jahre 2025 werden es etwa 5 Milliarden sein. Als Folge davon wird die Anzahl von Umweltflüchtlingen zunehmen, ebenso die Anzahl umweltbedingter Konflikte. Ganze Gesellschaften und Staatswesen werden dadurch in ihrem Zusammenhalt gefährdet.

Hauptursache dieser dramatischen Entwicklung ist der Mensch. Die Nutzung fossiler Brennstoffe, die Landwirtschaft, die Rodung tropischen Regenwalds und die chemische Produktion setzen Gase frei, die den natürlichen Treibhauseffekt der Erde verstärken und dadurch die Lufttemperaturen ansteigen lassen. Zu den wichtigsten anthropogenen Treibhausgasen zählen Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Distickstoffoxid (N2O), Ozon (O3) und verschiedene Fluorchlorkohlenwasserstoffe. Alle diese Gase zusammen machen zwar nur 0,3 Prozent der Masse der Atmosphäre aus. Weil sie aber die von der Erdoberfläche abgestrahlte Wärmeenergie daran hindern, in den Weltraum zu entweichen, sind sie dennoch für das Klima hoch wirksam.

Die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre hat seit Beginn der Industrialisierung um ein Drittel zugenommen. Damit ist der heutige CO2-Gehalt so hoch wie in den letzten 20 Millionen Jahren der Erdgeschichte nicht mehr. Drei Viertel des anthropogenen Ausstoßes an CO2 ist auf das Verbrennen fossiler Energieträger zurückzuführen. Deshalb sehen die UN-Experten hier auch den besten Ansatzpunkt für Gegenmaßnahmen. Der Einsatz neuer Technologien wie etwa Windturbinen, Hybridmotoren oder Energie durch Biomasse könnte den Ausstoß von Treibhausgasen wesentlich verringern. Des Weiteren müssten Maßnahmen zur Einsparung und besseren Nutzung von Energie umgesetzt werden. Große Bedeutung wird auch Wäldern und landwirtschaftlichen Flächen als Speicher von Kohlendioxid beigemessen.

Die internationale Staatengemeinschaft hatte kürzlich einen Versuch gemacht, das Problem des Klimawandels anzugehen. Auf der Klimakonferenz in Kioto hatte sie sich 1997 darauf geeinigt, die Emissionen der sechs wichtigsten Treibhausgase bis spätestens 2012 im Vergleich zur Emissionsmenge von 1990 um durchschnittlich 5,2 Prozent zu senken. Für jedes Land waren dabei individuelle Quoten festgelegt worden. Die USA hatten sich verpflichtet, um 7 Prozent zu reduzieren, die Länder der Europäischen Union wollen insgesamt 8 Prozent einsparen; Deutschland strebt eine Reduktion um 21 Prozent an. Auf der Folgekonferenz in Den Haag letzten November konnte allerdings keine Einigung darüber erzielt werden, wie dieses anspruchsvolle Ziel erreicht werden könne.

Zudem sind alle Länder weit davon entfernt, ihren Ausstoß an Treibhausgasen zu stabilisieren, geschweige denn zu reduzieren. Allein die USA, auf die ein Viertel der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen entfallen, haben seit 1990 den jährlichen Ausstoß an CO2 um 720 Millionen Tonnen gesteigert. In dem Land, in dem ein Liter Benzin nur halb so viel kostet wie ein Liter Mineralwasser, bläst jeder Bürger rein statistisch 20,5 Tonnen CO2 pro Jahr in die Luft. Ein Japaner hingegen bringt es auf 9,3, ein EU-Bürger auf 8,6, ein Chinese auf 2,5 und ein Inder nur auf 0,9 Tonnen CO2 pro Jahr.

Die Bringschuld liegt also eindeutig bei den Industriestaaten. Spätestens auf der nächsten Klimakonferenz im Juli in Bonn wird sich zeigen, wie ernst sie ihre in Kioto eingegangene Verpflichtung nehmen. Viel Hoffnung werden sich die Bürger dieser Welt aber wohl nicht machen dürfen. Nachdem die Delegation der USA in Den Haag bereits alles daran setzte, die Vereinbarungen von Kioto zu verwässern, hat nun der neue Präsident George W. Bush angekündigt, das Kioto-Abkommen dem US-Kongress überhaupt nicht zur Ratifizierung vorzulegen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2001, Seite 90
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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