Neuroplastizität : Sprache sucht neues Zuhause!
Katharina* war gerade acht Jahre alt, als sie ihren ersten epileptischen Anfall erlitt. Danach war ihre rechte Körperseite zunächst gelähmt, und sie konnte nicht mehr flüssig sprechen. Zwar verstand das Mädchen offenbar noch jedes Wort, doch sie war unfähig, einen vollständigen Satz zu formulieren. Katharina litt unter einer so genannten Broca-Aphasie.
Wie die neuropathologische Untersuchung ergab, hatte eine angeborene Fehlbildung der Hirngefäße ihren linken Stirnlappen geschädigt. Diese Läsion war sowohl für die Epilepsie als auch für den Sprachverlust des Mädchens verantwortlich, denn an der betroffenen Stelle ist üblicherweise das Zentrum der Sprachproduktion lokalisiert. In den darauf folgenden Monaten starb dort immer mehr Gewebe ab. Umso verblüffender war, wie gut sich die kleine Patientin dennoch erholte: Trotz großflächiger Zerstörung linksseitiger Hirnareale verschwand die Aphasie allmählich! Sechs Monate nach ihrem ersten Anfall konnte Katharina wieder Zweiwortsätze äußern, nach einem Jahr sprach sie bereits viel flüssiger, wenn auch mit ungewöhnlichem Satzbau. Allerdings erlitt das Mädchen immer wieder neue Anfälle, weshalb die Ärzte eine Hirnoperation erwogen.
Die große Frage war, ob Katharina durch das Entfernen einiger Teile des linken Stirnlappens ihre Sprache endgültig verlieren würde. Die Verbesserung ihrer Sprachfähigkeiten ließ vermuten, dass in ihrem Gehirn bereits ein bedeutender Umbau stattgefunden hatte. Um Klarheit zu schaffen, untersuchten die Neurologen Katharinas Gehirn per funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT). Mit diesem bildgebenden Verfahren lassen sich jene Areale identifizieren, die an bestimmten kognitiven Funktionen beteiligt sind.
Während das Mädchen in der Röhre des Hirnscanners lag, musste es spezielle Sprachaufgaben lösen. So hörte es beispielsweise verschiedene Hauptwörter und musste in Gedanken möglichst viele dazu passende Verben aufzählen. Dies sollte die produktiven Sprachregionen ansprechen. Ein anderes Mal lauschte Katharina einem Hörspiel, was die sensorischen Zentren des Sprachverstehens aktivierte.
Nach Auswertung der Daten stellten die Mediziner Erstaunliches fest: Das produktive Sprachzentrum befand sich nicht wie üblich in der linken, sondern in der rechten, gesunden Hemisphäre. Da die Schädigung im linken Stirnlappen eine Aphasie ausgelöst hatte, musste sich das entsprechende Areal anderthalb Jahre zuvor noch dort befunden haben. Wie war dieser Seitenwechsel zu erklären? …
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