Interview: Umweltverträglichere Automobile - Herausforderung für Techniker und Gesetzgeber
Die Automobilindustrie hat im Verein mit der öffentlichen Hand, die den Straßenbau finanziert, enorme individuelle Mobilität ermöglicht. Daß sie ihr Produkt unattraktiver macht, um exzessiven Verkehr zu drosseln, kann niemand erwarten; doch sie arbeitet intensiv daran, es umweltgerechter zu gestalten. Dieser Einsatz der Unternehmen ließe sich noch verstärken, indem der Gesetzgeber durch entsprechende Rahmenbedingungen das Kauf- und Fahrverhalten beeinflussen würde, argumentiert Heiko Barske, bei der Volkswagen AG bis Anfang März Leiter der Konzernforschung, im Gespräch mit Heiner Grienitz.
Die Umweltverträglichkeit beziehungsweise -unverträglichkeit des Automobils ist schon geraume Zeit in der Diskussion. Welche technischen Lösungen haben die Hersteller in den letzten Jahren erzielt, und welche sind demnächst noch zu erwarten?
Volkswagen war mit dem neuen „Golf“ Vorreiter für die Rücknahmegarantie. Das hat den Hintergrund, daß wir nicht nur seit Jahren ganze Aggregate wiederaufbereiten, sondern alle Materialien weitgehend wiederverwenden; über das wissenschaftlich begleitete Pilotprojekt unseres Unternehmens zum vollständigen Recycling hat seinerzeit Prof. Rüdiger Weber, Direktor des Instituts für Kraftfahrwesen der Universität Hannover, in dieser Zeitschrift berichtet (Juli 1991, Seite 31). Wo Recycling nicht oder noch nicht möglich beziehungsweise aus ökonomischen oder ökologischen Gründen nicht günstig ist, verwenden wir die Materialien thermisch.
Sie verbrennen sie.
Ja. Es ist letztlich gleich, ob man Erdöl sofort verbrennt oder in Form von Kunststoffmaterialien zunächst als Teil des Autos umherfährt und es dann zur Energiegewinnung verheizt.
Die verkehrsbedingten Abgas-Emissionen waren schon länger ein Thema.
Beim Abgasproblem haben wir in den letzten Jahren eine Menge erreicht. Die Schadstoff-Emissionen des „Golf I“ lagen beispielsweise bei 4,7 Gramm Kohlenmonoxid, 0,8 Gramm Kohlenwasserstoffen und 0,94 Gramm Stickoxiden je Kilometer. Bei gleicher Fahrweise betragen die Werte eines „Golf III“ nur noch 0,6, 0,09 und 0,09 Gramm je Kilometer – sind also bis zu 90 Prozent geringer; und das Ende der Entwicklung ist damit durchaus nicht erreicht, weder was die gesetzlichen Bestimmungen noch was die technischen Möglichkeiten anbetrifft.
Beim Kohlendioxid ist das komplizierter, weil es sich nicht aus den Auspuffgasen herausfiltern läßt. Mithin ist dies ein Verbrauchsproblem. Unser derzeit verbrauchsgünstigstes Modell ist der „Audi 80“ mit direkteinspritzendem Turbo-Dieselmotor. Im Drittelmix verbraucht er 5,1 Liter je 100 Kilometer. Auch das ist keine unterste Grenze. Mit bereits entwickelten technischen Lösungen wären im Praxisbetrieb Verbrauchswerte zwischen vier und fünf Litern möglich.
Der Kraftstoffverbrauch ist ein zentraler Parameter für die Umweltverträglichkeit der Automobile. Er läßt sich auf verschiedene Weise beeinflussen. Wie wichtig ist dabei die Verringerung des Fahrzeuggewichts?
Sie spielt in der Tat als Zielvorgabe bei der Entwicklung eines neuen Modells immer eine große Rolle. In der Praxis haben wir aber nicht viel erreicht; im Gegenteil, die Fahrzeuge sind in den letzten Jahren immer schwerer geworden. Zum einen geht das auf das Konto gestiegener Sicherheitsbedürfnisse – ich nenne nur Airbag und Seitenaufprallschutz. Zum anderen sind aber auch die Komfort-Ansprüche mehr und mehr gewachsen. So setzen die Käufer unter anderem Servolenkung, Zentralverriegelung und elektrische Fensterheber immer häufiger serienmäßig voraus.
Die Fahrzeuge werden auch den Kundenwünschen entsprechend wieder größer; man möchte ganz bequem darin sitzen können. Prognosen des Marktverhaltens besagen, daß wir Hersteller schon gut sind, wenn wir die heutigen Fahrzeuggewichte halten – obgleich die Entwicklungsabteilungen viele Ideen auf sehr kompakte Wagen verwenden, die recht rasch in Produktion gehen könnten (Bild 2).
Im Kontext Ihrer Frage ist zu beachten, daß das Fahrzeuggewicht nur unterhalb einer Geschwindigkeit von 80 Kilometer pro Stunde den Kraftstoffverbrauch wesentlich beeinflußt. Darüber wird er maßgeblich vom Luftwiderstand bestimmt; und der ist von der Geometrie – also von der Fahrzeugform – und nicht vom Gewicht abhängig.
Wenn Sie ein Fahrzeug häufig in der Stadt einsetzen, wo Sie sogar meistens mit einer Geschwindigkeit sehr weit unter 80 Kilometer pro Stunde fahren, zudem häufig bremsen und genauso oft beschleunigen müssen, dann dient eine Gewichtsreduzierung tatsächlich der Verbrauchsminderung. Specken wir ein 1000 Kilogramm schweres Auto um 100 Kilogramm ab, könnten wir je nach Motorisierung zwischen 0,5 und 1 Liter Kraftstoff auf 100 Kilometer sparen. Da der Produzent aber, wie gesagt, das Komfort-Bedürfnis zu berücksichtigen hat, wenn er wettbewerbsfähig bleiben will, könnte man das Gewicht nur mit alternativen Materialien reduzieren. Mit Aluminium beispielsweise ließe sich ein Mittelklassewagen um 150 bis 200 Kilogramm leichter bauen (Bild 4). Allerdings würden dadurch auch die Kosten für einen Neuwagen etwas steigen.
Und welche Minderungspotentiale bietet die Motortechnik?
Sobald der konventionelle Verbrennungsmotor gedrosselt arbeitet, sinkt sein Wirkungsgrad. In der Stadt benötigt man die volle Leistung meist nur kurz, um zu beschleunigen. Um zu erreichen, daß der Motor häufiger in seinem optimalen Leistungsbereich arbeitet, können wir das thermodynamisch günstige direkteinspritzende Diesel-Brennverfahren wählen, oder wir können das Hubvolumen senken und den Motor dann aufladen, wenn wirklich einmal eine höhere Leistung benötigt wird.
Zusätzlich haben wir die Möglichkeit, mehr Intelligenz in den Ventiltrieb zu investieren, um mit gutem Wirkungsgrad zu arbeiten. Und wir können die Reibverluste vermindern. Das sind Entwicklungen, an denen wir unablässig arbeiten und mit denen sich der Kohlendioxid-Ausstoß um mehr als 30 Prozent senken ließe. Man sieht dies, wenn man den Verbrauch des bereits erwähnten „Audi 80 Turbo-Diesel“ mit Fahrzeugen ähnlicher Größe und Leistung vergleicht.
Wir arbeiten aber an weiteren Projekten, beispielsweise an einem intelligenten automatischen Getriebe, das den Motor immer zu möglichst niedrigen Drehzahlen zwingt, ihn also möglichst ungedrosselt laufen läßt. Lediglich beim Beschleunigen schaltet es selbsttätig auf kürzere Übersetzungen, bei denen dann die geforderte Leistung zur Verfügung steht.
Das nächste, was wir bald in der Serie einsetzen wollen, ist die sogenannte Ökotechnik. Das ist eine Schwung-Nutz-Automatik, die den Motor immer dann abschaltet, wenn er nicht benötigt wird (Kasten Seite 99). Ein Radfahrer käme nie auf die Idee zu treten, selbst wenn er könnte, während er an der Kreuzung steht. Im Auto läuft der Motor aber fortwährend – an der Kreuzung, im Stau und auch dann, wenn es in Schwung ist und eigentlich von alleine rollt.
In welchen Modellen wollen Sie diese Technik einsetzen?
Am liebsten in allen. Um aber zu testen, wie dieses kraftstoffsparende und somit umweltschonende Angebot angenommen wird, werden wir die Ökotechnik vorerst im „Golf-Diesel“ installieren. Das erfordert freilich kurzfristig noch einige andere technische Lösungen.
Denken Sie allein an die Heizung und die Servolenkung; beide funktionieren im normalen Personenkraftwagen nur bei laufendem Motor. Für die Heizung benötigen wir also eine vom Motor unabhängig arbeitende Wasserpumpe, und die Servolenkung muß völlig anders konzipiert werden.
Stichwort Wirkungsgrad: Läßt er sich bei konventionellen Motoren noch erheblich steigern? Wissenschaftler des Instituts für Festkörperphysik des Forschungszentrums Jülich (KFA) etwa experimentieren mit einem Einspritzverfahren, bei dem ein Laser den Kraftstoff verdampft.
Bahnbrechende Fortschritte erwarte ich hier nicht mehr. Nehmen Sie nur den direkt einspritzenden Dieselmotor der neuesten Generation. In seinem Bestpunkt (das ist der Betriebspunkt, in dem er mit bestmöglichem Wirkungsgrad läuft – etwa 2000 Umdrehungen in der Minute) hat er einen spezifischen Verbrauch von 200 Gramm Kraftstoff je Kilowatt Leistung und Betriebsstunde. Das entspricht einem Wirkungsgrad von über 40 Prozent. Wesentlich mehr ist allein aus thermodynamischen Gründen nicht möglich – auch nicht mit Laserverdampfung. Ein langsam laufender, großvolumiger Schiffsdiesel kommt auf einen Wirkungsgrad von 46 Prozent; dem sind wir mit dem kleinen, schnellaufenden Pkw-Motor recht nahe.
Mit verbesserter Einspritztechnik und Elektronik sind allerdings nochmals Fortschritte hinsichtlich des Schadstoffgehalts der Abgase zu erwarten.
Wie beurteilen Sie Alternativen zu den konventionellen Kraftfahrzeugmotoren?
Darüber haben gerade im November 1992 mehr als 300 Experten bei uns diskutiert. Unter anderem sprachen ein Experte aus Kalifornien, ein Vertreter einer Firma für Hochtemperatur-Batterien und ein Vertreter des Berliner Senats zum Elektroauto – und alle drei trugen konträre Auffassungen vor. Im Grunde ist das auch verständlich, weil der ökologische Sinn des Elektroautos gänzlich vom jeweiligen Blickwinkel abhängt: Jedes Elektrofahrzeug fährt zwar vor Ort schadstofffrei, aber seine globale Schadstoffbilanz hängt entscheidend davon ab, wie man den Strom für seinen Betrieb erzeugt.
In Kalifornien wird elektrische Energie, wenn sie nicht aus regenerativen Quellen kommt, in modernsten Erdgaskraftwerken mit ausgezeichneten Abgasqualitäten erzeugt. Auch die Kohlendioxid-Bilanz ist günstig, weil Erdgas – bezogen auf den Kohlenstoffgehalt – viel Wasserstoff enthält. Somit sind in Kalifornien die Schadstoffbilanz und auch die ökologische Gesamtbilanz des Elektroautos außerordentlich günstig.
Anders ist das freilich aus Berliner Sicht – und das gilt gleichermaßen für ganz Deutschland. Wenn wir den deutschen Kraftwerks-Mix zugrunde legen, der auch für die Zukunft Kohlekraftwerke berücksichtigt, dann sind mit dem Elektroauto bei uns die Kohlendioxid-Emissionen nicht zu verringern. Und wenn bei der Schadstoffbilanz gar noch die Braunkohlekraftwerke – die teils sehr schwefelhaltige Kohle verbrennen – einbezogen werden, schneidet das Elektroauto gegenüber dem konventionellen Personenwagen sogar sehr viel schlechter ab.
Stellt sich aber die Elektrizitätswirtschaft mittelfristig auf ökologisch verträglichere Formen der Stromerzeugung um, was ihr allerdings durch Änderung der politischen Vorgaben ermöglicht werden muß, dann könnte auch bei uns die Stunde des Elektroautos schlagen. Meiner Meinung nach ist der Elektroantrieb für den Stadtverkehr oder generell den Schwachlastbetrieb eine ökologisch interessante Alternative.
Sollte man aber nicht zumindest in den Innenstädten auf das Privatauto gänzlich verzichten und auf alternative Verkehrskonzepte setzen?
Aus einigen Gebieten ist das Auto ja heute schon verdrängt. Wie froh waren wir doch über die Fußgängerzonen. Die Folge allerdings ist, daß man die normalen Güter des täglichen Bedarfs wie Brot, Milch, Waschpulver und so weiter hier nicht mehr kauft, sondern dazu in die Einkaufszentren an der Peripherie der Städte fährt. Das hat freilich wieder mehr Verkehr erzeugt.
Im Stadtkern haben wir jetzt Geschäfte für den Erlebniseinkauf. Aber auch die müssen beliefert werden, und dafür existiert bisher keine Alternative zum Automobil. Außer dem Warenverkehr gibt es des weiteren den Dienstleistungsverkehr wie die Müllabfuhr, und Ärzte oder Handwerker müssen auch im Stadtzentrum automobil sein.
Der innerstädtische Liefer- und Dienstleistungsverkehr ist meines Erachtens der Prüfstein für die Elektrofahrzeuge. Wenn sie sich hier nicht durchsetzen, dann hat der Elektroantrieb im Straßenverkehr überhaupt keine Chance. Ob er allerdings eine Zukunft für private Stadtautos hat, ist noch immer fraglich.
Auch in der Größe des Stadtautos liegt ein komplexes Problem. Lassen wir die passive Sicherheit einmal außer acht. In Fahrzeugen mit Längen um drei Meter sind vier Personen – zum Beispiel eine Mutter mit Kindern und Einkaufsgepäck – nur schwer unterzubringen, so daß solche Fahrzeuge in der Nutzung eingeschränkt sind. Nicht nur in der Stadt, sondern zweifellos universell einsetzbar sind hingegen um wenige zehn Zentimeter längere Fahrzeuge. Mit einem Verbrauch unter vier Litern auf 100 Kilometern und dann noch mit einem Hybrid-Antrieb ausgerüstet, stellen sie die aus heutiger Sicht optimale Lösung dar. Beim Hybrid-Antrieb nutzen wir außer dem Verbrennungs- auch noch einen Elektromotor.
Zudem ist eine ganze Reihe alternativer Kraftstoffe in der Diskussion.
Das stimmt. Eine interessante Entwicklung, die in Kalifornien favorisiert wird, gibt es aber auch bei den konventionellen Kraftstoffen. Dabei werden Verbindungen, deren Verbrennungsprodukte in der Atmosphäre reagieren und zur Bildung von Ozon oder zur Verstärkung des atmosphärischen Treibhauseffekts beitragen können, gegen andere ausgetauscht. Etwa ab 1995 oder 1996 werden diese Kraftstoffe in den USA Standard sein. Und aus dem Diesel muß man selbstverständlich den Schwefel eliminieren.
Dann gibt es Kraftstoffe, die ich quasi-konventionell nennen möchte, weil sie aus fossilen Rohstoffen erzeugt werden. Methanol beispielsweise kann man aus Erdgas herstellen. Es verbrennt sehr umweltfreundlich, weil dabei sehr viel weniger Kohlendioxid entsteht als bei Benzin. Methanol ist ein guter, allerdings auch ein teurer Kraftstoff (siehe „Ein Plädoyer für das Methanol-Auto“ von Charles L. Gray jr. und Jeffrey A. Alson, Spektrum der Wissenschaft, Januar 1990, Seite 74). Aber nur Methanol aus Erdgas ist sinnvoll. Bei seiner Produktion aus Kohle entsteht zusätzlich Kohlendioxid. Methanol aus pflanzlichen Rohstoffen wäre dagegen wieder ein gangbarer Weg...
... eben weil diese Ressource regenerierbar ist.
Ja. Eine interessante Alternative ist, ölhaltige Kraftstoffe beispielsweise aus Raps zu erzeugen. Zur Zeit läuft ein Projekt, bei dem Rapsöl dem Rohöl vor der Raffination zugemischt wird; so entsteht ein Dieselkraftstoff, den der Motor ganz normal verbrennt.
Das Problem liegt in der sehr geringen Ölausbeute beim Raps. Wenn man alles berücksichtigt, was dafür einzusetzen ist, beträgt der Überschuß gerade 600 Liter Öl vom Hektar. Gemessen an der Sonnenenergie, die auf einen Hektar fällt, ist das ein Ertrag im Promille-Bereich. Hingegen nutzt die Photovoltaik die Sonnenenergie schon zu 8 bis 10 Prozent – und Laborsysteme sind bereits noch effektiver. Die energetische Ausbeute ist bei der Rapsöl-Erzeugung also sehr gering, aber dafür ist sie ökologisch verträglich – vorausgesetzt, daß keine Intensivlandwirtschaft betrieben wird. Und da wir genug Flächen zur Verfügung haben, die wir überhaupt nicht mehr zur Nahrungsmittelproduktion benötigen, sollten wir sie zur Energieerzeugung nutzen, statt Prämien für ihre Stillegung zu bezahlen.
Was mir bei der gegenwärtigen Diskussion über die alternativen Kraftstoffe nicht einleuchten will ist, daß man auch beim Kraftfahrzeug flüssige Energieträger gegen gasförmige austauschen möchte. Flüssige Kraftstoffe haben nun einmal, verglichen mit allen anderen Energieträgern, die mit Abstand höchste Energiedichte, und sie lassen sich sehr unproblematisch transportieren. Bevor man da an eine Substitution im Verkehrsbereich denkt, sollte man den Einsatz gasförmiger Energieträger bei den stationären Verbrauchern forcieren. Damit ließen sichzumindest die gleichen Umwelt-entlastungen erreichen – allerdings zu erheblich geringeren Kosten.
Sie haben schon mehrfach angedeutet, daß die Wechselwirkung von Angebot und Nachfrage die technische Entwicklung nicht hinreichend in die ökologisch erforderliche Richtung steuert. Wie und in welchem Maße muß staatlich reguliert werden?
Den Gesetzgeber benötigen wir vor allem zur Durchsetzung umweltfreundlicher Fahrzeuge am Markt; denken Sie nur an das bleifreie Benzin und an den Katalysator. Aber selbst der Sicherheitsgurt, der doch nun wirklich dem ureigenen Interesse der Insassen dient, konnte nur über Bußgeldandrohungen durchgesetzt werden. Den Umstand, daß der Verbraucher gemeinhin Kosten und Nutzen nur kurzfristig abwägt, der ökologische Nutzen einer Maßnahme aber erst langfristig wirksam wird, sollten wir auch bei der Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes beachten.
Die Unternehmen scheinen weiter zu denken als Abgeordnete und Regierung. Aber wenn der Gesetzgeber nun über Steuern das Benzin auf vier oder fünf Mark je Liter verteuern würde in der Hoffnung, damit das Verkehrsaufkommen zu verringern und gleichzeitig die Mittel in die Hand zu bekommen, die wirklichen Kosten des Individualverkehrs – also einschließlich der umweltrelevanten Folgen – abzudecken?
Darüber kann man lange debattieren – und über die Folgen für die Wirtschaft, den allgemeinen Wohlstand, die effektive Verwendung des zusätzlich in öffentliche Kassen fließenden Geldes und über Struktureffekte. Fest steht jedenfalls, daß die heutigen Verkehrsabgaben – Kraftfahrzeug- und Mineralölsteuer – die Kosten für Straßenbau und Infrastruktur abdecken. Die Marktwirtschaft ist da konkurrenzlos gut, wo durch Bereitstellung vermehrbarer Güter oder Dienstleistungen Egoismen befriedigt werden. Wenn wir aber etwas für das bislang frei verfügbare Gut Umwelt tun müssen, dann sind die Instrumente der Marktwirtschaft nicht von vornherein unbedingt die geeignetsten.
Wenn beispielsweise Cadmium als schädlich erkannt ist, wird man dieses Problem nicht lösen, indem man die Freisetzung dieses Metalls mit Abgaben belegt. Man wird vielmehr den Ausstoß gesetzlich auf das technisch machbare Maß reduzieren und gleichzeitig ankündigen, daß in den nächsten Jahren die Grenzwerte weiter herabgesetzt werden und – falls nötig – Cadmium in bestimmten Anwendungen gänzlich verboten wird. So werden Forschung und Fortschritt erzwungen. Abgaben und fiskalische Maßnahmen können für eine Übergangszeit ergänzend wirken.
Wenn man den Kraftstoffpreis erhöht mit dem Ziel, den Verbrauch oder gar den Individualverkehr überhaupt einzuschränken, befürchte ich eine Reihe von unerwünschten Sekundäreffekten. Zum einen würde sicherlich die Inflation steigen, da der Kraftstoff Bestandteil des statistischen Warenkorbs ist. Zum anderen erwarte ich nicht, daß ein hoher Preis jene, die es sich leisten können, am hohen Verbrauch von Benzin oder Dieselöl hindert. Die Nachfrage nach vielen Gütern hat trotz erheblich gestiegener Preise zugenommen.
Andererseits meine ich aber, daß eine intelligent gemachte Verbrauchsgesetzgebung zu einer Bewußtseinsänderung beitragen könnte. Maßnahmen zur Minderung des Kohlendioxid-Problems stehen viele Menschen schon heute sehr aufgeschlossen gegenüber, und viele haben gemerkt, daß sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad bequemer zum Bäcker an der Ecke kommen, als wenn sie erst einen Parkplatz suchen müssen.
Was bedeutete in diesem Falle intelligente Gesetzgebung konkret?
Eine an gewisse, einfach zu bestimmende Parameter – beispielsweise die Fahrzeuggröße – gekoppelte Verbrauchslimitierung, die in Anpassung an den möglichen technischen Fortschritt immer weiter verschärft wird, würde den sparsamen Umgang mit natürlichen Ressourcen erzwingen und den technischen Fortschritt in eine zeitgemäßere Richtung lenken. Die Konjunktur wird gefördert, da Geld nicht durch einen erhöhten Kraftstoffpreis abgeschöpft, sondern für den Kauf ökologisch fortschrittlicher Fahrzeuge ausgegeben wird, die technisch veraltete ersetzen – auch die von der Automobilindustrie zunächst bekämpfte Abgasgesetzgebung hat sich als eine Art Konjunkturprogramm entpuppt. Und wenn wir mit weniger Kraftstoff und geringeren Umweltbelastungen genauso viel fahren können wie bisher, halte ich das allemal für besser, als durch höhere Preise das Verkehrsaufkommen zu senken und die Mobilität zu einer Sache der Reichen zu machen.
Ich halte es aber dennoch für richtig, über eine erhöhte Mineralölabgabe die Entwicklung alternativer Energien und deren Praxiseinführung zu fördern. Dafür hat man bisher im Vergleich zu anderen Technologien kaum Geld ausgegeben. Es ist auf die Dauer unhaltbar, daß wir für unsere Mobilität die fossilen Energieträger so großzügig verbrennen – einfach weil das Ökosystem die Unmengen Kohlendioxid nicht verkraftet, weil die Entwicklungsländer dringend auf diese billigste Energie angewiesen und weil die Vorräte begrenzt sind.
Wie könnte die bisherige Kraftfahrzeugsteuer zu einem entwicklungsstimulierenden Instrument gemacht werden?
Sie müßte tatsächlich geändert werden. Diese Steuer sollte das Produkt aus einer Konstante und einer Reihe variabler Faktoren sein.
Als Konstante stelle ich mir einen Grundbetrag vor, den der Finanzminister nach dem Aufkommen festlegt, das er aus der Kraftfahrzeugsteuer einnehmen will. Der erste variable Faktor, an den zu denken wäre, ist die Fahrzeuggröße (das Volumen), dividiert durch die durchschnittliche Größe aller Fahrzeuge (Bild 5). Bei einem großen Auto liegt dieser Faktor deutlich über eins, bei einem kleinen darunter. So ähnlich müßte das auch bei den übrigen Faktoren sein: Das Fahrzeuggewicht – maßgeblich für den Einsatz von Ressourcen und für den Straßenverschleiß – wird dividiert durch das durchschnittliche Gewicht im deutschen Pkw-Park. Den Verbrauch setzen wir besser in Bezug zu zulässigen Grenzwerten, ebenso das Außengeräusch und den Schadstoff-Ausstoß.
Diese Kraftfahrzeugsteuer würde alle Fahrzeuge – unabhängig davon, ob sie stehen oder fahren – entsprechend ihrem Flächenbedarf an den Kosten für die Verkehrsinfrastruktur beteiligen. Mit jeder Verschärfung eines Grenzwertes für Größe, Verbrauch, Lärmerzeugung oder Schadstoff-Ausstoß würden sich die Steuern für die alten Fahrzeuge verteuern. Kleine, leichte, verbrauchsgünstige, leise und schadstoffarme Autos würden dabei begünstigt.
Elektrofahrzeuge könnten zunächst steuerfrei sein und bei zunehmendem Marktanteil nach derselben Formel wie Wagen mit Verbrennungsmotor besteuert werden, wobei sich Verbrauch und Schadstoff-Ausstoß entsprechend der Zusammensetzung der Stromerzeugung in Deutschland berechnen lassen. Bei Hybrid-Fahrzeugen sollten wir ähnlich vorgehen; ihren auf den Kraftstoffverbrauch bezogenen Steueranteil könnte man ermitteln, indem man die beim Start voll geladene Batterie nicht berücksichtigt und den Wagen 50 Kilometer nach dem vorgeschriebenen Fahrzyklus zurücklegen läßt, wobei er mit leerer Batterie ankommen darf; auf diese Weise ließe sich das Mehrgewicht dieses besonders umweltgerechten Fahrzeugtyps zu seinem Vorteil überkompensieren.
Gemessen am Bruttosozialprodukt sind die Fahrleistungen in der Bundesrepublik seit dem sogenannten Wirtschaftswunder überproportional gestiegen. Das Automobil wird auch über absehbare Zeit der bedeutendste Verkehrsträger bleiben. Aber haben sein hoher Nutzwert, seine universelle Verwendbarkeit und seine geradezu mystische Attrakti-vität – kurzum, sein bloßes Vorhandensein – nicht auch Fehlentwicklungen begünstigt?
Offenbar findet sich für die Funktionen des Automobils nur schwer andersartiger Ersatz. So haben sich alle Voraussagen, mit der massiven Verbreitung elektronischer Kommunikationsmittel würde der Personenverkehr in großem Maße durch Telephonate, Austausch von Faxen und Videokonferenzen abgelöst, bislang nicht bewahrheitet.
Andererseits wurden und werden politische Entscheidungen gefällt, die das Verkehrsaufkommen dadurch immer weiter ansteigen lassen, daß zusätzlicher Bedarf entsteht. Ich möchte hier nur einige nennen: Die Dorfschulen sind durch Gemeinschaftsschulen in den größeren Orten ersetzt und durch Gebietsreformen die Behörden an wenigen zentralen Orten konzentriert worden. Die Strecken der großen öffentlichen Verkehrssysteme ragen aus den Metropolen sternförmig ins Land und begünstigen so die großflächige Besiedlung, was weiteren Individualverkehr fördert oder geradezu erzwingt. Und die Prognosen für den Verkehrszuwachs, der durch den Gemeinsamen Markt auf uns zukommt, liegen im mehrstelligen Prozentbereich.
Können Sie sich vorstellen, daß der Volkswagen-Konzern sich an der Entwicklung öffentlicher Verkehrssysteme beteiligt und sie vielleicht sogar einmal selbst betreibt?
Wir tun das zum Teil schon. Es ist doch die fast groteske Situation eingetreten, daß die Automobilhersteller maßgeblich die Verkehrsplanung für die Städte mitbeeinflussen. Wir sind hier mit unserem Fachwissen eingesprungen und versuchen, die Aufgaben der Politik mitzulösen. Unser Ziel sind dabei vernetzte Systeme, in denen jedes Verkehrsmittel – sowohl die des öffentlichen Personennahverkehrs als auch das Automobil – die Aufgabe erfüllt, für die es am besten geeignet ist.
Konkret betreiben wir in Leer (Ostfriesland) ein Pilotprojekt mit sogenannten Anrufbussen – einer Mischform aus Taxi und Linienbus (Bild 3). Das Taxi ist generell sehr teuer und der Bus immer dann, wenn er leer fährt; auch ist er nicht flexibel, weil er auf einer vorgegebenen Route verkehrt.
Wir haben nun für dieses Projekt einen speziellen Kleinbus entwickelt. Er ist über Funk ständig mit einer Zentrale verbunden. Dort können die Leute anrufen und erfahren, wann der Bus vor ihrer Tür steht; parallel erhält der Fahrer die neue Streckenanweisung. Die Bewohner von Leer haben dieses Angebot sehr gut angenommen. Wie sich dieses Projekt aber über die Versuchsphase hinaus finanzieren läßt, muß sich erst zeigen.
Intensiv kümmern wir uns auch um die Verknüpfung von Stadt- und Straßenbahnen mit dem Bus sowie der großen Busse mit den kleinen. Zu verschiedenen Tageszeiten müßten eigentlich verschieden große Busse verkehren – was allerdings mehr Fahrzeuge und mehr Personal erfordern würde. Hier finanzierbare Lösungen zu finden, ist momentan die große Aufgabe.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1993, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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