Wie Affen sich verstehen
Einige Lautäußerungen von Primaten ähneln in ihrer Funktion in mancher Hinsicht menschlicher Sprache: Meerkatzen etwa signalisieren bestimmte Gefahrensituationen mit verschiedenen Rufen. Doch scheinen sich Primaten unterhalb der Stufe der Menschenaffen mentale Vorstellungen ihrer Artgenossen nicht zu vergegenwärtigen.
Beim Tennisturnier von Wimbledon im Sommer 1981 mußten die Funktionäre sich mit einem damals noch ungewöhnlichen Problem befassen. Einige der männlichen Teilnehmer, allen voran der Amerikaner Jimmy Connors, pflegten jeden Schlag mit tiefem Stöhnen zu begleiten. Etliche Gegner beschwerten sich und verlangten, diese Urlaute zu untersagen; sie seien dadurch abgelenkt und sähen darin die Absicht, sie nervös zu machen und aus dem Konzept zu bringen.
Die Störenfriede erklärten das vernehmliche Luftablassen allerdings ganz anders. Connors gab zwar zu, manche Spieler würden wohl absichtlich so laut ächzen, er selbst aber habe bei harten Schlägen Lunge und Kehlkopf nicht unter Kontrolle. Auch die meisten anderen Beklagten gaben an, diese Grunzer nicht unterdrücken zu können.
Die Veranstalter sahen sich das Spiel der beschuldigten Teilnehmer daraufhin genau an. Auch sie fanden die Geräusche einhellig störend, vermochten jedoch nicht festzustellen, wer mit Absicht stöhnte und wer unfreiwillig.
Vor ähnlichen Interpretationsschwierigkeiten steht, wer die Lautäußerungen von Affen erforscht. Die in Ostafrika beheimateten Vervet-Meerkatzen beispielsweise (Bild 1) verständigen sich untereinander durch Zurufe. Sehen die Tiere einen Raubfeind, so stoßen sie bestimmte Alarmschreie aus. Treffen sie auf eine andere Horde, geben sie ein wie wrr klingendes Grollen und eine Art rauhen Schnatterton von sich. Im Kampf mit Gruppenmitgliedern entfährt ihnen ein Drohgrunzen und ein anders klingendes Schnattern; und entspannte soziale Kontakte entlocken ihnen ein leises Grunzen. Dabei ist es grundsätzlich nicht möglich zu beurteilen, ob ein Tier absichtlich einem anderen etwas mitzuteilen sucht oder ob die Laute unwillkürlich das momentane Verhalten begleiten.
Wir wollten gerne wissen, ob Affen bestimmte Dinge oder Erscheinungen, beispielsweise verschiedene Raubfeinde, mit eigenen Lauten – gewissermaßen Wörtern – belegen und ob sie ähnlich wie der Mensch eine Vorstellung davon haben, daß einzelne Laute der Artgenossen für bestimmte Vorkommnisse oder Objekte stehen. Es geht also letztlich um die Frage, inwiefern Affen denken. Deshalb versuchten wir auch herauszufinden, ob die Tiere mentale Zustände erleben wie etwas zu wissen, zu erwarten oder zu wünschen und – sollte dies zutreffen – als wohl Wichtigstes, ob sie registrieren, daß auch ihre Artgenossen solche Vorstellungen haben.
Alarmrufe
Die ersten Freilandforscher, die Primaten beobachtet haben, vermuteten, daß selbst die Lautäußerungen von Menschenaffen kaum etwas – wenn überhaupt – mit der menschlichen Sprache gemein hätten. Damals galt, daß nur Menschen ihr Sprechen willkürlich kontrollieren und von Gefühlen loslösen können (etwa über Angst zu reden, ohne zugleich Angst zu empfinden) und daß dann höhere Zentren der Großhirnrinde aktiv seien. Die Lautäußerungen von Affen sollten hingegen ziemlich unbeabsichtigt nur in stark emotionsgeladenen Situationen vorkommen und lediglich in geringem Maße von höheren Hirnzentren gesteuert sein. Während Wörter der menschlichen Sprache Dinge und Ereignisse in der Außenwelt bezeichneten, wären die Rufe tierischer Primaten allenfalls ein Hinweis auf die Gefühlslage oder auf anstehendes Verhalten.
Zweifel an dieser Vorstellung ergaben sich erstmals aus zwei recht unterschiedlichen Untersuchungen. Im Jahre 1969 berichteten Allen und Beatrix Gardner von der Universität von Nevada in Reno, die junge Schimpansin Washoe habe mehr als 30 Handzeichen der amerikanischen Gebärdensprache gelernt; sie kommuniziere damit über Objekte, äußere Wünsche oder „rede einfach“. (Später stellte sich heraus, daß Menschenaffen eine noch beträchtlich größere Anzahl von Zeichen erlernen können; auch Washoe benutzte schließlich einige hundert.)
Viele, die Washoe damals zu sehen bekamen, assoziierten ihre Leistung mit der eines radfahrenden Zirkusbären: Man habe ihr eine Fertigkeit antrainiert, die nicht zum normalen Verhaltensrepertoire eines Schimpansen gehöre. Andere wurden ob der verblüffend großen Zahl der von Washoe beherrschten Zeichen unsicher, ob diese Art der Verständigung denn Schimpansen oder anderen nichtmenschlichen Primaten tatsächlich gänzlich fremd sei.
Die andere Untersuchung hatte Thomas Struhsaker, der damals an der Universität von Kalifornien in Berkeley arbeitete, angestellt. Er veröffentlichte 1967 Befunde an ostafrikanischen Vervet-Meerkatzen: Sie gäben verschiedenartige Alarmrufe ab je nachdem, ob sie einen Leoparden, einen Adler oder eine Schlange gesichtet hätten. Auch würden Artgenossen in der Nähe entsprechend reagieren – galt der Alarmruf einem Leoparden, kletterten sie hastig in Baumkronen, wo sie vor der schwereren Raubkatze sicher sind; bei Adler-Alarm sähen sie zum Himmel oder verschwänden eilig im Dickicht, und bei Schlangen-Alarm richteten sie sich auf die Hinterbeine auf, so daß sie nach unten ins Gras spähen könnten (Bild 2). Wie die Schimpansin Washoe benutzten die Vervet-Meerkatzen, so schien es, verschiedene Zeichen für bestimmte Objekte oder Gefahrenarten.
Es gab aber auch vorsichtigere Deutungen. Demnach sollten die Rufe nicht Warnungen vor bestimmten Raubfeinden sein, sondern einfach generelle Signale, die Wachsamkeit auslösten und die Gruppengenossen veranlaßten, um sich zu blicken. Erspähten sie daraufhin auch selbst den Raubfeind, würden sie zwar spezifisches Schutzverhalten zeigen, aber dies sei nur die Reaktion auf das, was sie gesehen, nicht auf das, was sie gehört hätten. Eine andere Erklärung war, daß die verschiedenen Alarmrufe nicht vor drei bestimmten Arten von Räubern warnten, sondern unterschiedliche Grade von Angst ausdrückten. In beiden Fällen wäre die Analogie zwischen Alarmrufen von Vervet-Meerkatzen und menschlichen Wörtern voreilig gezogen worden.
Tonband-Experimente
Um diese Hypothesen zu prüfen, entwarfen wir 1977, nach unserer Promotion, in Peter Marlers Labor an der Rockefeller-Universität in New York geeignete Versuche und führten sie dann im Amboseli-Nationalpark in Südkenia durch. Dort, am Fuße des Kilimandscharo, hatte auch Struhsaker seine Beobachtungen gemacht. In dieser Region leben Vervet-Meerkatzen in Gruppen von 10 bis 30 Tieren – ein bis acht erwachsenen Männchen und zwei bis acht erwachsenen Weibchen mit ihren Jungen. Jede besitzt ein ungefähr vier Hektar großes Gebiet, aus dem sie andere Gruppen energisch fernhält.
Wie die Weibchen vieler anderer Altweltaffenarten – etwa fast aller Paviane, der Rhesusaffen oder der japanischen Rotgesichtsmakaken – bleiben die der Vervet-Meerkatzen lebenslang in ihrer Geburtsgruppe. Die Tiere einer weiblichen Linie halten auch eng zusammen, lausen sich oft untereinander, schlafen dicht beisammen und stehen sich in Auseinandersetzungen gegenseitig vehement bei. Die männlichen Tiere hingegen wechseln mit der Geschlechtsreife im Alter von etwa vier Jahren zu Nachbargruppen über.
Die erwachsenen Weibchen haben untereinander eine lineare soziale Rangfolge, wobei die Jungtiere in dieser Hierarchie jeweils direkt nach der Mutter kommen. Folglich stehen auch die einzelnen Familien der Gruppe in Dominanzverhältnissen zueinander: Sämtliche Mitglieder der Familie A sind ranghöher als die von Familie B und so fort. Auch die Männchen bleiben in den ersten Lebensjahren im Rang unmittelbar bei der Mutter. Nachdem sie dann zu einer anderen Gruppe übergewechselt sind, hängt ihr sozialer Status unter anderem von ihrer Kampfstärke und ihrem Alter ab, aber auch davon, wie die erwachsenen Weibchen sie aufnehmen.
Wir begannen unsere Felduntersuchungen damit, daß wir eine Anzahl Rufe auf Tonband aufzeichneten, die uns individuell bekannte Tiere gegenüber Leoparden, Kampfadlern (dem hauptsächlichen Luft-Raubfeind des Affen) und Pythonschlangen ausstießen. Diese Rufe spielten wir verschiedenen Affen von einem versteckten Lautsprecher aus vor und filmten die Reaktionen.
Es ergab sich, daß die Meerkatzen sich dabei nicht anders verhielten als unter natürlichen Bedingungen – so wie Struhsaker und wir es bereits beobachtet hatten. Bei Leoparden-Alarm flüchteten sie in Baumkronen, bei Adler-Alarm blickten sie in die Luft oder rannten ins Dickicht und bei Schlangen-Alarm richteten sie sich auf und spähten am Boden umher.
Dies bedeutete offenkundig, daß die Rufe nicht einfach allgemeine Warnsignale waren, sondern eine Information über die Art der Gefahr enthielten. Außerdem konnten wir belegen, daß die Schreie nicht lediglich die Angst oder Aufgeregtheit des Rufers wiedergeben: Als wir nämlich die Aufzeichnungen technisch manipulierten und mit Länge und Stärke den Erregungsgrad der Rufe variierten, änderte dies nichts an der spezifischen Reaktion.
Da bei diesen Tests keine Raubfeinde in der Nähe waren, konnten wir ausschließen, daß die Affen auf etwas Gesehenes reagierten. Die verschiedenen Alarmrufe ohne eine sichtbare Gefahr hatten offenbar die gleiche Wirkung wie der Anblick des betreffenden Raubtiers. Daraus schlossen wir, daß die Alarmrufe repräsentativ für etwas stehen, mithin als semantische Signale fungieren.
Test des Abstraktionsvermögens
Allerdings ist beim Vergleich mit menschlichen Wörtern Vorsicht geboten. Wir nennen die Alarmrufe der Vervet-Meerkatzen semantische Signale aufgrund ihrer Funktion im täglichen Leben der Tiere: Hört eines den Adler-Alarmruf, verhält es sich genau so, als hätte es den Adler selbst gesichtet. Das legt nahe, daß der Schrei in seiner Vorstellung gewissermaßen für den Feind aus der Luft steht und dessen Bild in ihm wachruft, selbst wenn es ihn noch nicht gesehen hat. Diese Schlußfolgerung ist jedoch nicht zwingend.
Als der russische Physiologe Iwan Pawlow (1849 bis 1936) Hunden jedesmal beim Füttern einen Glockenton vorspielte, reagierten sie bald allein beim Klang der Glocke mit Speichelfluß. Sie mögen sich dabei ein Stück Fleisch vorgestellt haben. Das heißt aber durchaus nicht, daß sie den besonderen Zusammenhang zwischen Glockenton und Futter genauso begriffen hätten wie wir etwa den zwischen dem Wort „Stuhl“ und dem Möbelstück.
Der Affenruf wäre nur dann mehr als eine situationsbedingte Lautäußerung und würde zum Wort, wenn eine gewisse Übertragung stattfände. Nach Meinung des Psychologen David Premack, der früher an der Universität von Pennsylvanien in Philadelphia gearbeitet hat, wäre das der Fall, wenn dem Ruf im wesentlichen nicht mehr die Eigenschaften des Lautes, sondern die des bezeichneten Objektes zugeschrieben werden. Unsere Sprache hat dafür zahlreiche Beispiele: Bei Wörtern ähnlicher Bedeutung wie „Vergehen“ und „Straftat“ achten wir meistens gar nicht darauf, daß sie verschieden klingen. Umgekehrt ordnen wir Wörtern sehr ähnlichen Klangs wie „Vergehen“ und „Vorgehen“ spontan die unterschiedlichen Bedeutungen zu. Wir bewerten dabei also eher den Bezug zwischen den Wörtern und den von ihnen bezeichneten Dingen als die akustischen Merkmale.
Mithin galt es zu prüfen, ob die Rufe der Vervet-Meerkatzen für die Tiere Worteigenschaften auch in diesem engeren Sinne haben. Nur wenn das zutrifft, dürfen wir behaupten, die Affen verstünden die Bedeutung mancher ihrer Lautäußerungen.
Um herauszufinden, nach welchen Prinzipien Meerkatzen Lautäußerungen vergleichen, wandten wir ein Verfahren an, mit dem man sonst das Sprachverständnis von kleinen Kindern erforscht und das den Gewöhnungseffekt einbezieht. Man weiß, daß der Mensch in bestimmten Tests auf einen viele Male wiederholten Reiz immer weniger und schließlich gar nicht mehr reagiert; auf einen neuen Reiz, den die Versuchsperson als verschieden vom ersten empfindet, reagiert sie dann wieder deutlich stärker. Solch ein Test enthüllt also, ob zwei Reize als ähnlich oder unähnlich empfunden werden.
Ob die Meerkatzen sich bei der Beurteilung von Lauten an deren akustischen Eigenschaften orientieren oder an der wahrscheinlichen Bedeutung, prüften wir mit den beiden Rufen, die bei einer Begegnung mit einer Nachbargruppe ausgestoßen werden. Der eine – das langgezogene, laut rollende wrr, im folgenden als Grollen bezeichnet – ertönt, sobald die andere Gruppe gesichtet wird; dadurch werden offenbar die Mitglieder beider Gruppen auf die bloße Gegenwart der jeweils anderen aufmerksam gemacht. Der rauh gekrächzte Schnatterton begleitet erst territoriale Auseinandersetzungen, wenn das Aufeinandertreffen zu Bedrohungen, Verjagen oder Kämpfen eskaliert.
Die beiden Rufe sind in ihrem Bedeutungsgehalt recht ähnlich – zumindest insofern, als sie über eine andere Gruppe informieren; im Klang unterscheiden sie sich hingegen stark. In einem Gewöhnungstest müßten die Affen sie mithin auseinanderhalten, wenn sie sich allein nach dem akustischen Eindruck richteten. Andernfalls, wenn für sie kein wesentlicher Bedeutungsunterschied vorhanden wäre, sollten sie bei einer Gewöhnung zwischen beiden nicht sonderlich unterscheiden.
Gewöhnungseffekt
Ein Experiment dauerte zwei Tage. Am ersten spielten wir einem dafür von uns ausgewählten und abgesonderten Versuchstier den Schnatterton eines bestimmten erwachsenen Weibchens vor. Das war der Kontrollversuch, der uns die Bezugsgröße lieferte, wie stark diese Meerkatze normalerweise auf diesen Laut reagieren würde. Am zweiten Tag führten wir unserem Versuchstier das Grollen desselben Weibchens vor, und zwar achtmal hintereinander im Abstand von jeweils etwa 20 Minuten. Da sich sonst kein Artgenosse in der Nähe befand, würde sich das Tier nach unserer Einschätzung bald an den Schrei gewöhnen und nicht mehr darauf reagieren. Zum Abschluß dieser Serie, etwa 20 Minuten nach dem letzten vorgespielten Grollen, hörte der Affe dann noch einmal den Schnatterton vom Vortag (Bild 3); dies war der eigentliche Test.
Sollte das Tier beide Rufe als gleichartig bewerten, sich also nach der Bedeutung richten – dürfte es auch den zweiten Schnatterlaut nicht mehr groß beachten; eine Gewöhnung an den einen Schrei müßte gleichfalls eine an den anderen bedingen (zumindest solange er von demselben Individuum stammt). Schätzte das Versuchstier die beiden Ruftypen aber als verschiedenartig ein, beachtete es also die akustischen Merkmale, würde solch ein Gewöhnungseffekt nicht eintreten, und es müßte im Test ähnlich stark reagieren wie im Kontrollversuch.
Noch eine weitere Einflußgröße wollten wir einbeziehen. Wir wußten aus früheren Untersuchungen, daß Vervet-Meerkatzen ähnlich wie viele andere Säugetiere und auch Vögel bei der Reaktion auf Laute die Identität dessen einbeziehen, der sie hervorbringt. Um zu prüfen, ob sich der Gewöhnungseffekt auf Rufe von anderen Individuen überträgt, ließen wir das Versuchstier den Schnatterton von Tier A und das Grollen von Tier B hören. Wiederum spielten wir ihm am ersten Tag, im Kontrollversuch, einmal den Schnatterton vor, am zweiten achtmal das Grollen und schließlich noch einmal den Schnatterton.
In einem dritten Experiment ließen wir zwei verschiedene Rufe vom selben Individuum ertönen, die nach den vorherigen Beobachtungen für das Versuchstier verschiedene Bedeutungen haben: den Leoparden- und den Adler-Alarm. Und in einem vierten Experiment prüften wir noch die Gewöhnung an Rufe mit verschiedener Bedeutung von verschiedenen Artgenossen – den Adler-Alarm von A und den Leoparden-Alarm von B.
Die Ergebnisse
Eindeutig halten die Vervet-Meerkatzen sich demnach an die Bedeutung der Schreie und nicht einfach an die akustischen Kennzeichen. Stammten Grollen und Schnatterton vom selben Artgenossen, so übertrug sich der Gewöhnungseffekt von dem einen Schrei auf den anderen: Wenn die Versuchstiere sich an seinem Grollen nicht mehr störten, reagierten sie auch nicht mehr auf den Schnatterton (Bild 3).
Hatten aber, wie beim Raubfeind-Alarm, die Rufe desselben Individuums einen spezifischen Bedeutungsgehalt für die Affen, dann fand keine solche Übertragung statt: War das Versuchstier gegenüber dem Leoparden-Alarm abgestumpft, reagierte es auf den Adler-Alarm desselben Artgenossen trotzdem ähnlich heftig wie vorher.
Außerdem war die Identität des Rufers offensichtlich nicht gleichgültig. Wenn Groll- und Schnatterlaut verschiedene Urheber hatten, spielte es keine Rolle mehr, daß die beiden Schreie an sich ziemlich Ähnliches besagen. Obwohl das Versuchstier vom Grollen von A keine Notiz mehr nahm, beachtete es den Schnatterlaut von B doch in üblicher Stärke (Bild 4).
Das gleiche geschah, wie vorauszusehen, wenn die beiden Rufe sich sowohl in ihrer Bedeutung unterschieden als auch von verschiedenen Tieren stammten: Bei zwei auf verschiedene Raubfeinde gemünzten Warnschreien, ausgestoßen von zwei verschiedenen Artgenossen, fand eine Gewöhnungsübertragung nicht statt.
Diese Versuchsreihe ergab im Vergleich zu den anfänglichen Experimenten mit den Alarmschreien direkten Aufschluß darüber, was die verschiedenen Rufe für die Meerkatzen besagen. Denn diesmal veranlaßten wir die Tiere, zwei Lautäußerungen zu vergleichen, sie auf ihre Ähnlichkeit hin zu beurteilen und die Unterscheidungskriterien zu erkennen zu geben. Nach den Reaktionen darf man vermuten, daß diese Primaten, sowie sie den Ruf eines Artgenossen vernehmen, sich eine Vorstellung von dessen Bedeutung machen. Ertönt bald darauf ein weiterer Schrei, vergleichen die Tiere nicht einfach die akustische Qualität, sondern eben vor allem den Bedeutungsgehalt beider Laute.
Sofern man überhaupt den Gedanken mitvollzieht, daß ein Affenlaut zum Wort avanciert, wenn ihm nicht mehr vornehmlich sein Klangcharakter beigemessen wird, sondern er ein Objekt oder eine Situation kennzeichnet, muß man wohl das Grollen und den Schnatterlaut bereits als Wörter interpretieren. In diesem Sinne scheinen die Vervet-Meerkatzen über ein elementares semantisches System zu verfügen, in dem manche Rufe – so wie Leoparden- und Schlangen-Alarmschreie – recht unterschiedliche Sachverhalte bezeichnen; andere wiederum, eben das Grollen und der Schnatterlaut, beziehen sich offenbar auf eine für die Affen ähnliche Situation – sie könnten abgestufte Inhalte innerhalb einer übergeordneten Bedeutungsklasse wiedergeben.
Betrachten wir unsere Befunde nun im Zusammenhang mit Kenntnissen der ökologischen Verhältnisse und des sozialen Verhaltens von Vervet-Meerkatzen, so läßt sich auch verstehen, wieso diese Art der Verständigung den Tieren nützt und warum die ihr zugrundeliegenden kognitiven Fähigkeiten sich in der Evolution herausgebildet haben. Kann man beispielsweise verschiedenen Raubfeinden nur mit unterschiedlichen Fluchtstrategien entkommen, dann haben spezifische Alarmrufe offenkundig einen hohen Anpassungswert. Des weiteren rufen die Affen sich häufig zu, wenn sie einander nicht sehen können, so daß die Evolution solcher Lautäußerungen begünstigt ist, die für sich allein – ohne zusätzliche optische Information – verstanden werden.
Zudem wird die jeweils passende Reaktion je nach der Situation individuell sein. Ein Affe, der sich am Boden auf einer freien Fläche aufhält und einen Adler-Alarmschrei ausstößt, wird dabei vermutlich zum Himmel sehen. Die anderen Affen um ihn herum sollten sich allerdings schleunigst ins Dickicht begeben und diejenigen hoch in den Baumwipfeln herunterkommen. Unter solchen Umständen ist es günstig, wenn die Nachricht eine Form hat, die vom Verhalten des Informanten relativ unabhängig ist, und wenn der Empfänger ihre Bedeutung auch ziemlich unabhängig von dem versteht, was der Rufende gerade zu tun vorhat. Nur dann bringt eine Kommunikation auf semantischer, repräsentativer Ebene Vorteile.
Ein Konzept geistiger Prozesse bei nichtmenschlichen Primaten?
Trotz allem klären diese Befunde nicht, ob die Affenrufe auch in anderer Hinsicht menschlichen Äußerungen gleichen. Zu unserer menschlichen sprachlichen Verständigung gehört mehr, als ein Ding oder Ereignis mit Worten zu belegen; wenn wir miteinander kommunizieren, setzen wir auch beim Gegenüber mentale Zustände und Prozesse – Kenntnisse, Ansichten, Wünsche und Absichten – voraus und wissen, daß sie für sein Verhalten bedeutsam sind.
Dies zeigt sich etwa, wenn wir kleine Kinder ermahnen, beim Warten an der Ampel nicht auf die Straße zu hüpfen. Ist die Situation gerade nicht riskant, veranlaßt uns nicht das Verhalten des Kindes dazu, sondern die Annahme, es würde die Gefahr noch nicht richtig einschätzen können. Ältere Kinder nehmen die gleiche Warnung empört und widerwillig auf, denn sie haben bereits gelernt, daß die Worte ihrer Eltern deren Gedanken spiegeln, und sie wehren sich dagegen, wenn man ihnen zu wenig zutraut.
Das Vermögen, anderen Menschen Anschauungen, Wissen und Gefühle zuzuschreiben, besagt nach psychologischer Auffassung, daß man sich gewissermaßen ein Konzept des geistigen Geschehens macht. Uns interessierte nun, ob Affen zwischen ihren eigenen Kenntnissen und dem Wissen und den Vorstellungen anderer unterscheiden können und ob sie etwas unternehmen, um einen nicht oder falsch informierten Artgenossen auf die richtige Fährte zu führen.
Hinweise, daß Tiere dazu vielleicht imstande sind, erbrachten kürzlich Verhaltensbeobachtungen an Vögeln und Säugetieren. Peter Marler, der inzwischen an der Universität von Kalifornien in Davis tätig ist, wiederholte mit seinen Kollegen ein klassisches Experiment des niederländischen Zoologen Nikolaas Tinbergen (1907 bis 1988; Nobelpreis 1973): Sie zogen die künstliche Silhouette eines Falken an einer Schnur über eine Gruppe von Bankivahühnern (die Stammart der Haushühner) hinweg. Wie sie herausfanden, ließen die Hähne nur in Anwesenheit von Hennen ihrer eigenen Art Alarmrufe hören, nicht aber, wenn nur Hennen einer anderen Spezies bei ihnen waren. Und Paul Sherman von der Cornell-Universität in Ithaca (New York) beobachtete bei wild lebenden Zieseln (Nagetieren aus der Familie der Hörnchen), daß erwachsene Weibchen, wenn sie mit nahe verwandten Tieren zusammen waren, häufiger Alarmrufe abgaben als sonst. Wir selbst stellten fest, daß erwachsene weibliche Vervet-Meerkatzen, die wir in Gehegen hielten, häufiger Alarm schlugen, wenn sie ihre eigenen Jungen bei sich hatten, als wenn nichtverwandte Jungtiere gleichen Alters und Geschlechts bei ihnen waren.
Daß Tiere spüren, ob ein Gegenüber da ist, das sie hört, bedeutet nun allerdings noch nicht, daß sie sich auch dessen geistigen Zustand vergegenwärtigen. Es deutet sogar einiges darauf hin, daß sie zwischen Artgenossen, die über einen bestimmten Sachverhalt informiert sind, und ahnungslosen nicht zu unterscheiden vermögen. Beispielsweise stoßen sowohl Hähne als auch die Meerkatzen weiterhin Alarmrufe aus, wenn ihre Kumpane den Raubfeind längst gesichtet haben und geflohen sind.
Vergegenwärtigung geistiger Prozesse bei anderen
Um zu prüfen, ob Affen sich in Artgenossen hineinzuversetzen vermögen, experimentierten wir am Kalifornischen Primatenforschungszentrum in Davis mit jeweils zwei Gruppen von Rhesusaffen und Rotgesichtsmakaken. Natürlicherweise leben diese beiden Arten in größeren Gruppen als die Vervet-Meerkatzen, die aber sonst in gleicher Weise gegliedert sind. In den großen Außengehegen des Forschungszentrums ließen sich ähnliche Gruppen halten wie im Freiland; aber der Vorteil war, daß wir gezielt einzelnen Tieren Kenntnisse verschaffen konnten, die andere nicht haben sollten.
Wir testeten jeweils ein erwachsenes Weibchen und sein zwei- oder dreijähriges Junges. Im ersten Fall konnten beide von einem Laufgang aus zusehen, was in der angrenzenden großen, kreisförmigen Arena geschah: Entweder füllte einer der Mitarbeiter einen Futterbehälter mit Apfelstückchen und ging wieder fort, oder er tauchte mit einem Fangnetz auf, machte bedrohliche Gebärden und versteckte sich dann hinter einer Wand.
Im zweiten Fall wurde zunächst das Jungtier demonstrativ von der Mutter mit einem Blechschieber getrennt, und zwar so, daß nur die Mutter die Vorgänge in der Arena sehen konnte. Jeweils nach den Aktionen des Mitarbeiters durfte das Jungtier auf den Platz laufen.
In den Versuchen der zweiten Art hatte das Muttertier zugeschaut, wie ihr Junges abgesondert wurde. Es kam also darauf an zu prüfen, ob sie – wie ein Mensch in einer solchen Situation – sich darüber im klaren war, daß das Junge von dem versteckten Futter beziehungsweise dem erschreckenden Zweibeiner nichts wissen konnte. Falls Affen tatsächlich eine Vorstellung davon haben, was im Kopf eines Artgenossen vorgeht, sollten diese Weibchen sich anders verhalten als die in den Experimenten der ersten Art, zum Beispiel mehr Rufe ausstoßen.
Anhaltspunkte für den Kenntnisstand ihres Jungen hatten sie nicht nur durch das Einschieben der undurchsichtigen Trennwand. Die isolierten Jungtiere verhielten sich in der Arena auch völlig anders als jene, die das Geschehen hatten beobachten können. Diese nämlich entdeckten die Apfelstücke rasch beziehungsweise blieben, wenn sie erschreckt worden waren, in der Nähe der Mutter; die isolierten Äffchen fanden die Leckerbissen allenfalls zufällig beziehungsweise strolchten herum, als gäbe es keine Gefahr. Dies schien jedoch ihre Mütter nicht zu kümmern. Soweit wir erkennen konnten, unterschied sich ihr Verhalten in nichts von dem der anderen: In keiner Art von Experiment suchten die Weibchen ihren Jungen durch Zurufe etwas zu signalisieren.
Trotz des negativen Ausgangs dieser Versuchsserie wäre zu überlegen, ob Rhesusaffen und Rotgesichtsmakaken nicht doch den geistigen Zustand von Artgenossen einschätzen können, nur dies in ihrem Verhalten nicht umsetzen. Allerdings wäre eine derart verborgene Fähigkeit sehr erstaunlich.
Schimpansen – also Menschenaffen – scheinen dagegen zumindest ansatzweise eine Vorstellung, ein Konzept von mentalem Geschehen zu haben. Im Jahre 1978 führten Premack und Guy C. Woodruff, der damals ebenfalls an der Universität von Pennsylvanien arbeitete, der Schimpansin Sarah Videofilme vor, in denen Trainer, die sie gewöhnlich unterrichteten, sich mit verschiedenen kniffeligen Aufgaben abmühten. So versuchte jemand vergeblich, einen Plattenspieler in Gang zu setzen, während der Stecker herausgezogen war. Nach jedem Film erhielt Sarah mehrere Photos. Eines davon zeigte die Lösung, und genau dies wählte sie sicher aus.
Daraus schlossen die Forscher, Sarah habe erkannt, daß die Filme ein Problem vorstellten, und wollte ihren Trainern die Lösung zeigen. Interessanterweise behandelte sie diese nicht gleich. In einem Vergleichstest wählte sie bei dem, den sie am liebsten mochte, die richtigen Bilder und bei dem, den sie nicht gut leiden konnte, falsche.
Zu diesen Beobachtungen passen jüngere Befunde von Daniel J. Povinelli, der jetzt an der Universität von Südwest-Louisiana in Lafayette arbeitet, und seinen Kollegen. In ihren Experimenten mußten Schimpansen zwischen Situationen mit informierten und solchen mit nicht-informierten Menschen differenzieren.
Bei ihren Studien von Schimpansen am Gombe-Strom in Tansania ertappte die englische Forscherin Jane Goodall den noch nicht voll erwachsenen Figan bei einem Täuschungsmanöver, mit dem er offensichtlich bezweckte, sich einen von der Forscherin versteckten Bananenvorrat allein einzuverleiben. Mehrere Schimpansen hatten sich bei der Fütterungsstelle eingefunden, als Figan plötzlich demonstrativ aufstand und auf eine Weise in den Wald marschierte, daß alle anderen in der Nähe sich ihm anschlossen. Nicht lange, dann verließ er die Gruppe und kehrte auf einem Umweg allein zurück – nun konnte er sich ungestört an das Futter heranmachen. Doch bei derartigen Anekdoten ist Vorsicht geboten, daß man nicht zuviel hineininterpretiert. So gäbe es für Figans Verhalten auch einfachere Erklärungen, die ein Einsichtsvermögen in die Gedanken und Absichten der Artgenossen nicht voraussetzen.
Andererseits enthält die wissenschaftliche Literatur über Schimpansen erstaunlich viele Berichte von Täuschungsmanövern – bei durchaus verschiedenen Anlässen und mittels einer außerordentlichen Vielfalt an Gesten, Posen und mimischen Ausdrücken. Schon durch die Zahl und den Abwechslungsreichtum solcher Beobachtungen gewinnt die weitergehende Interpretation an Überzeugungskraft. Die Möglichkeit, daß Menschenaffen eine Vorstellung vom Fühlen und Denken ihrer Artgenossen haben, läßt sich jedenfalls nicht mehr ausschließen.
Offenkundig ist der Handlungsspielraum von Tieren, die dazu nicht imstande sind, entsprechend begrenzt. Junge Meerkatzen beispielsweise machen, wenn sie Alarmrufe abzugeben oder auf sie zu reagieren anfangen, zunächst viele Fehler. Manche sind relativ harmlos, etwa wenn sie einen Adler-Warnschrei ausstoßen, obgleich nur eine Taube über sie hinwegfliegt. Aber wenn das Äffchen bei einem Schlangen-Alarm in die Luft aufschaut anstatt nach unten und nicht unverzüglich flieht, kann das sein Leben kosten.
Dennoch greifen die erwachsenen Tiere dann nicht ein. Wir haben niemals beobachtet, daß sie etwa Jungtiere bei einem korrekt gegebenen Warnruf bestärkten oder bei einer völlig unpassenden Reaktion korrigierten. Die jungen Meerkatzen lernen demnach allein durch Beobachtung, ohne jede direkte Anleitung (Bild 5).
Diese Passivität der erfahrenen Tiere ist bei vielen Arten zu finden. Evolutiv erklärt sich das Vorherrschen von Lernen durch Beobachtung wohl daraus, daß die erwachsenen Tiere eben nicht erkennen, wieviel Wissen sie ihren Jungen voraushaben.
Die Erforschung der Verständigung unter Tieren ist unausweichlich mit der Frage verknüpft, wie sie denken. Unsere Beobachtungen an den Vervet-Meerkatzen erlauben den Schluß, daß die Lautäußerungen von Primaten keineswegs als bloß unwillkürlich abgetan werden dürfen. Vielmehr werden sie selektiv von Individuen benutzt, die auf ihre Zuhörerschaft achten und über bestimmte Vorkommnisse in der Umgebung mit jeweils anderen Rufen informieren. Wie menschliche Wörter bezeichnen die einzelnen Affenrufe unterschiedliche Dinge oder Ereignisse. Vielleicht erkennen die Tiere sogar den Bezug zwischen einem Ruf und dem Objekt oder Inhalt, für den er steht.
Allmählich erkennen wir aber auch genauer, inwiefern Kommunikation und Kognition bei Affen anders sind als beim Menschen. Während menschliche Kommunikation weitgehend darauf ausgerichtet ist, dem Verhalten zugrundeliegende Momente – Wissen, Überzeugungen und Beweggründe – zu beeinflussen, gibt es bislang keinen Hinweis darauf, daß Primaten unterhalb der Stufe der Menschenaffen jemals darauf abzielten, durch Kommunizieren auf entsprechende mentale Zustände eines Artgenos- sen einzuwirken. Sie vermögen dessen Kenntnisse, Planen und Verhalten offenbar nicht absichtlich zu beeinflussen – möglicherweise können das nicht einmal die Menschenaffen gezielt. Der Grund dürfte sein, daß sie vom Vorhandensein mentalen Geschehens selbst keine Vorstellung haben.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1993, Seite 88
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