Wissenschaft im Alltag: Der Flügel
Eine Erfindung des frühen Barock füllt heute noch die Konzertsäle
Die Geschichte von Flügel und Klavier nimmt, neueren Forschungen zufolge, gegen Ende des Jahres 1697 ihren Anfang, als der Florentiner Cembalo-Bauer Bartolomeus Cristofori die Auslösemechanik entwickelte, die noch heute in abgewandelter Form in allen modernen Klavieren Verwendung findet. Eigentlich wollte Cristofori nur die Ausdrucksstärke des Cembalos verbessern. Dazu entkoppelte er den Tastenanschlag von der Saitenanregung – beim Cembalo wird sie gezupft, bei Cristoforis Instrument mit einem filzbezogenen Hammer angeschlagen – durch ein komplexes System von Hebeln, Schrauben, Federn und Lagern. Dementsprechend sprach man zunächst vom Hammerklavier oder – weil es Laut- und Leisespiel ermöglichte – vom Gravicembalo col piano e forte oder kurz Pianoforte.
Das Hebelsystem vergrößert die Bewegung der Taste um das Fünffache, erlaubt also sowohl ein kraftvolleres, als auch ein sensibleres Spiel. Kurz bevor der Hammer die Saite berührt, wird sein Kontakt zur Taste aufgehoben, sodass er durch die ihm mitgegebene Energie gegen die Saite schnellt und dann abgefangen wird. Heutige Instrumente verfügen über eine so genannte doppelte Auslösemechanik, die den Hammer erneut gegen die Saiten schleudern kann, bevor er wieder in eine Ausgangslage zurückkehrt. So lässt sich ein Ton schneller wiederholen.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde die innere Konstruktion verstärkt, um so dickere Saiten einspannen und dadurch größere Lautstärke erreichen zu können. Zudem kamen Pedale hinzu, die beispielsweise die Dämpfung der Saiten aufheben. Seit dem 19. Jahrhundert gibt es das Klavier als aufrechte Variante. Die Schwerkraft reicht hier nicht aus, um den Hammer in die Ruheposition zu bringen. Eine zusätzliche Feder löst das Problem, verändert aber das Spielgefühl.
Ungeachtet kleinerer Abweichungen in der Mechanik der verschiedenen Hersteller basieren Flügel und Klaviere auch im 21. Jahrhundert noch auf der florentinischen Erfindung. Jüngere technische Entwicklungen betreffen meist praktische Aspekte. So sind industriell gefertigte Klaviere deutlich kostengünstiger als handwerklich gearbeitete. Dieser Vorteil hat jedoch seinen Preis: Kunststofflager verspröden, Industriesaiten lassen im Klang stärker nach. Noch preiswerter sind Digitalpianos, aber trotz aller Forschung reichen sie nicht an die spielerische und klangliche Dynamik der Originale heran.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2000, Seite 124
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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