Klimawandel vor Gericht: Einfallsreich klagen, Klima schützen
Der 20-jährige Nathan Baring hat im Lauf seines Lebens erlebt, wie die Winter kürzer wurden, die Kabeljaufischerei zusammenbrach und kulturelle Traditionen leiden. Er trauert um eine Arktis, die vor seinen Augen verschwindet. »Es gibt einen sehr deutlichen Verlust«, sagt er.
Baring beschloss zu handeln. Er ist einer von 21 jungen Klägern, die im Jahr 2015 die US-Regierung mit einer Klage zwingen wollten, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Ein Bundesberufungsgericht wies den Fall – bekannt als »Juliana gegen die Vereinigten Staaten« – im Januar 2020 ab.
Andere Versuche, den Klimawandel vor Gericht zu bekämpfen, waren erfolgreicher. Ende Februar blockierte das britische Berufungsgericht die Pläne zum Bau einer dritten Startbahn am Flughafen Heathrow mit der Begründung, dass der Ausbau die Verpflichtungen des Landes gegenüber dem Pariser Klimaabkommen verletze.
»Es gibt keinen Patentlösung im Rechtsstreit für den Klimawandel«
Solche Entscheidungen sind inspirierend und lehrreich für Aktivisten und Gemeinden weltweit, die versuchen, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu erzwingen. Da die Prozessparteien gegen eine Vielzahl solcher Fälle ankämpfen, machen jüngste Urteile eines deutlich: »Es gibt keinen Patentlösung im Rechtsstreit für den Klimawandel«, sagt Michael Gerrard, Direktor des Sabin Center for Climate Change Law an der Columbia University in New York.
Am 18. Februar 2020 hat die Internationale Anwaltsvereinigung eine Vorlage veröffentlicht, um Prozesse wegen des Klimawandels zu führen. Darin legen die Autoren rechtliche Argumente und Präzedenzfälle dar, die künftigen Klägern helfen könnten. Die Erfolgsaussichten scheinen jedoch weltweit unterschiedlich zu sein, und da die Kläger aus ihren Erfahrungen vor den Gerichten lernen, passen sie ihre Taktik an. Der Fall Heathrow ist die erste große Entscheidung auf der Grundlage des Pariser Abkommens und könnte weitere Klagen anregen, die sich auf diese Verpflichtungen stützen. In anderen Teilen der Welt konzentrieren sich die Kläger zunehmend darauf, Schadenersatz von den Verursachern selbst zu fordern.
Der Fall »Juliana« ist einer von mehr als zwei Dutzend Fällen, die weltweit auf der Grundlage von Argumenten des »öffentlichen Vertrauens« vorgebracht wurden, die besagen, dass der Staat die Pflicht hat, öffentliche Mittel vor Schaden zu schützen. Solche Argumente sind eng mit der Idee verbunden, dass das Grundrecht auf Leben untrennbar mit einer gesunden Umwelt verbunden ist. Obwohl das US-Gericht befand, dass die Kläger durch die Untätigkeit der Regierung im Bereich des Klimawandels geschädigt worden waren, entschieden die Richter letztlich, dass es nicht in der Macht des Gerichts stehe, klimapolitische Gesetze zu erlassen.
Auffallend erfolgreich: Klagen mit Menschenrechtsansatz
Außerhalb der Vereinigten Staaten ist der Menschenrechtsansatz die juristische Strategie mit dem bisher größten Erfolg, sagt John Knox, ein Experte für internationales Umweltrecht an der Wake Forest University in Winston-Salem, North Carolina. Auf allen bewohnten Kontinenten wurden auf Grundlage dieser Art von Argumenten Klagen eingereicht.
In der Rechtssache »Urgenda Foundation gegen die Niederlande«, die von einer Umweltgruppe und fast 900 niederländischen Bürgern im Jahr 2015 angestrengt wurde, hat der Oberste Gerichtshof der Niederlande die Regierung aufgefordert, bis Ende 2020 eine 25-prozentige Reduzierung der Treibhausgasemissionen gegenüber dem Niveau von 1990 zu erreichen, um die Bürger vor den Schäden eines sich erwärmenden Klimasystems zu schützen. Und in »Demanda Generaciones Futuras v. Minambiente« ordnete der Oberste Gerichtshof Kolumbiens an, dass die Regierung Schutzmaßnahmen ergreifen müsse, um die Abholzung des Amazonasgebiets zu stoppen – dieser Fall wurde von 25 jungen Kolumbianern vorgebracht. Wie »Juliana« beruhten beide Fälle auf der Vorstellung, dass das Recht auf Leben durch die Bedrohung der Umwelt gefährdet ist. Ihr Erfolg deute darauf hin, dass wir mit weiteren Klagen von Bürgern gegen ihre Regierungen rechnen könnten, sagt Knox. Unterdessen beobachten Klimaaktivisten genau, wie diese Regierungen die gerichtlich angeordneten Maßnahmen einhalten.
Warum also ist »Juliana« gescheitert, wo ähnliche Fälle erfolgreich waren? Der Ansatz – die US-Regierung zu drängen, nicht nur die Nutzung fossiler Brennstoffe zu verbieten und nicht mehr zu subventionieren, sondern auch einen Plan zur Reduzierung der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre umzusetzen – sei gewagt gewesen, sagt Ann Carlson, die an der University of California, Los Angeles, Umweltrecht studiert. Das Gericht zögerte, diese Art von komplexen politischen Entscheidungen zu treffen. Und angesichts der zunehmend konservativen Zusammensetzung vieler US-Bundesgerichte hält es Carlson für unwahrscheinlich, dass zukünftige Fälle erfolgreich sein werden, die auf ähnlichen Argumenten beruhen.
Klagen gegen ExxonMobil und RWE laufen noch
Stattdessen erwarten Gerrard und Carlson, dass US-Aktivisten und Kommunen sich nicht mehr auf Regierungen, sondern auf die Emissionsproduzenten selbst konzentrieren werden – eine Strategie, die als pragmatischer angesehen wird, weil sie darauf abzielt, Geldstrafen zu verhängen, die sich in einigen Fällen für Klimaschutzbemühungen einsetzen ließen.
Mindestens ein Dutzend Fälle in den Vereinigten Staaten gehen jetzt diesen Weg. bei »San Mateo gegen Chevron Corp.« bemühen sich mehrere kalifornische Städte und Bezirke um Gelder von großen Unternehmen für fossile Brennstoffe, um die Infrastruktur für die Anpassung an den Meeresspiegelanstieg zu finanzieren. Die mündlichen Argumente in der jüngsten Berufung wurden am 5. Februar 2020 gehört, aber ein Urteil steht noch aus. Und mehrere weitere Personen und Orte, darunter der Bundesstaat Massachusetts, verklagen derzeit ExxonMobil und andere Unternehmen, weil sie die Verbraucher angeblich über die Risiken der Nutzung fossiler Brennstoffe getäuscht haben.
Solche Schadensfälle sind in den Vereinigten Staaten am beliebtesten, doch Kläger führen ähnliche Argumente für eine Entschädigung auch anderswo an. Im November 2015 beispielsweise hat der peruanische Landwirt Saúl Lliuya vor deutschen Gerichten eine Klage gegen den deutschen Energieversorger RWE eingereicht, den größten CO2-Emittenten in der Europäischen Union. Lliuya, der in der Nähe eines Gletschersees lebt, behauptet, dass die Emissionen von RWE mitverantwortlich für die gefährlich hohen Wasserstände sind, die am See durch das Abschmelzen der Gletscher in der Nähe beobachtet wurden. Er strebt 0,47 Prozent der Kosten für Hochwasserschutzmaßnahmen für seine Stadt an, was dem Anteil von RWE an den weltweiten CO2-Emissionen von 1751 bis 2010 entspricht.
Ursprünglich war der Fall abgewiesen worden. Doch inzwischen hat ein Berufungsgericht entschieden, dass Lliuyas Beschwerde zulässig ist, und das Gericht hat die Parteien aufgefordert, Expertenbeweise vorzulegen – zum ersten Mal ist ein solcher Fall in die Beweisphase übergegangen. Die Herangehensweise des Falls sei »sehr interessant«, sagt Gerrard, und ein Sieg könnte ähnliche Klagen auf der ganzen Welt anregen.
Obwohl das jüngste Urteil in »Juliana« für die Kläger enttäuschend war, fühlen sie sich durch das Gericht ermutigt. Es hatte schließlich festgestellt, dass ihnen die Untätigkeit der Regierung geschadet habe. Sie bereiten sich derzeit darauf vor, gegen das Urteil Berufung einzulegen, und sind weiterhin optimistisch, eine Chance zu bekommen, ihren Fall vor einer Jury zu vertreten. »Wir haben viele Möglichkeiten«, sagt Baring. »Das ist für uns sicher nicht das Ende.«
Der Artikel ist im Original »Climate lawsuits are breaking new legal ground to protect the planet« in »Nature« erschienen und wurde für die deutsche Fassung angepasst.
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