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Paläontologie: Als die Krokodile herrschten

Eine gut gefüllte Fossilienfundstätte in Peru birgt skurrile Krokodile. Sie geben Einblick in eine untergegangene Welt im Amazonasbecken.
Südamerikanischer Brillenkaiman

Für Fossiliensammler ist das Amazonasbecken praktisch ein riesiger weißer Fleck. "Alles steht voller Regenwald, unser Zugang zu Felsen ist daher sehr begrenzt – und damit auch der Zugriff auf darin enthaltene Versteinerungen", beklagt sich deshalb der Paläontologe John Flynn vom American Museum of Natural History in New York. "Doch manchmal öffnet sich ein Fenster mit vielen neuen und besonderen Arten – und Einblicken in längst vergangene Ökosysteme." Eine derartige Schatzkiste entdeckte der Forscher mit seinen Kollegen im nordöstlichen Peru: die verfestigten Überreste eines einstigen Megafeuchtgebiets mit seinen Bewohnern, deren Zusammensetzung und Zahl die Wissenschaftler überraschte.

Gnatusuchus pebasensis | Rekonstruktion eines ausgestorbenen Kaimans anhand fossiler Schädelfunde: Gnatusuchus pebasensis wühlte wohl im Schlamm am Grunde von Seen nach Mollusken.

Nicht weniger als sieben verschiedene Krokodilarten lebten hier vor 13 Millionen Jahren, im Zeitalter des Miozäns, ziemlich einträchtig nebeneinander und nutzten unterschiedliche ökologische Nischen. So kamen sie sich nicht in die Quere. Heute leben im gesamten Amazonasbecken nur noch sechs bekannte Spezies, von denen sich niemals mehr als drei gleichzeitig am selben Ort tummeln – die Konkurrenz um Nahrung ist offensichtlich viel größer. Unter den neu entdeckten Reptilien befindet sich beispielsweise Gnatusuchus pebasensis – benannt nach der Pebas-Gesteinsformation, in denen die Knochen bewahrt wurden: ein kurzgesichtiger Kaiman mit kugelförmigen Zähnen. Wahrscheinlich durchwühlte er mit seiner runden Schnauze den schlammigen Seeboden, in dem er nach Schnecken und Muscheln suchte. Zwei weitere neue Urkaimane besaßen ebenfalls eher kurze, runde Mundpartien, mit denen sie perfekt nach Mollusken stöbern konnten. Und ihre Beißwerkzeuge sorgten dafür, dass sie ohne Schaden die harten Schalen knackten. Zur gleichen Zeit erlebte damals die Weichtierwelt ihre maximale Vielfalt, weshalb mehrere Krokodilarten sie auf unterschiedliche Weise als Nahrungsquelle erschließen konnten.

Neben den Schneckenkonsumenten besiedelten zudem spitzmäuligere Kaimanvertreter das riesige Binnengewässer im östlichen Amazonasgebiet, die auf die Jagd nach unterschiedlichen großen Fischen oder anderen Wirbeltieren spezialisiert waren. Ein letzter Beleg für die einstige Größe und Bedeutung des Ökosystems: "Wir haben diesen speziellen Moment der Erdgeschichte entdeckt, an dem sich dieses Megafeuchtgebiet auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung befand, bevor seinen Niedergang begann und sich das heutige Flusssystem des Amazonas herausbildete", so Rodolfo Salas-Gismondi von der Université de Montpellier, der an den Ausgrabungen ebenfalls beteiligt war. "Damals lebten unterschiedliche Kaimangruppen einträchtig nebeneinander: urtümliche Linien mit runden Schnauzen und kugeligen Zähnen neben modernen Varianten, deren Nachfolger heute noch hier existieren."

Amazonasbecken | Eine Höhenvermessung des Amazonasbeckens mit Hilfe der so genannten Laser-Altimetrie – Laser tasten die Oberfläche ab und werden je nach Höhenlage unterschiedlich reflektiert (rot ist hoch, blau niedrig) – zeigt die besondere Form des Flusssystems. Es ist im Westen breiter als im Osten, obwohl man wegen der Fließrichtung umgekehrte Verhältnisse erwarten würde. Der Grund liegt in der Vergangenheit: Der Strom entwässerte nach Westen Richtung Pazifik.

Denn das westliche Amazonasbecken sah bis vor 10,5 Millionen Jahren völlig anders als heute. Damals strömte beispielsweise der Amazonas noch von Osten nach Westen – aus dem Hochland von Guayana in Richtung Anden. Ursprünglich begann die Geschichte des großen Flusses zu der Zeit, als Afrika und Südamerika einen Teil des Riesenkontinents Gondwana bildeten. Manche Hydrogeologen vermuten die Quelle dieses Uramazonas im Bereich des Ennedi-Massivs im Nordosten der Republik Tschad, von wo er seinen Weg nach Westen nahm. Nach dem Auseinanderbrechen der beiden Landmassen verlagerte sich der Ursprung ins nordöstliche Südamerika; die Fließrichtung blieb jedoch vorerst gleich.

Als sich die Anden ab der Zeit vor etwa 50 Millionen Jahren auffalteten, versperrten sie dem Amazonas die Pazifikmündung – und damit auch einigen Tierarten den Rückzug ins Meer: Diese ursprüngliche Fließrichtung und die Blockade erklären, warum tausende Kilometer vom Atlantik entfernt und vom Pazifik durch die Bergkette getrennt Haie, Rochen und andere ursprünglich ozeanische Fischarten im peruanischen Amazonasabschnitt schwimmen. Vorerst entwässerte der Amazonas allerdings weiterhin nach Westen, weshalb sich das Wasser am Fuß der Anden staute und mehrere riesige Seen und Sümpfe schuf, deren Überreste in der Pebas-Formation überdauert haben. Erst als die Erosion immer mehr Sedimente in das Feuchtgebiet schwemmte und dieses schließlich auffüllte, wandte sich der Amazonas vor etwa 10,5 Millionen Jahren nach Osten und strömt seitdem dem Atlantik zu.

Das besiegelte endgültig das Schicksal der Pebas-Gewässer und ihrer speziellen Fauna. Heute existieren im westlichen Amazonasbecken nur noch kleine und meist sehr dynamische Stillgewässer wie Flussaltarme. Sie können nur eine vergleichsweise verarmte Schnecken- und Muschelfauna beherbergen, weshalb die große Vielfalt des Miozäns in dieser Artengruppe verschwunden ist – und mit ihnen starben die daran angepassten Kaimane aus, während ihre flexibleren, Fische jagenden Verwandten bis heute überdauert haben

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