Direkt zum Inhalt

News: Andere Länder, andere Sitten

Was bei uns teilweise als 'Humbug' angesehen wurde, ist in manchen anderen Gesellschaften als Krankheitbehandlung anerkannt. Bei den Andenbewohnern Nordargentiniens werden in öffentlich abgehaltenen Heilzeremonien besonders die Selbstheilungskräfte des Erkrankten und seine Eingliederung in die Gemeinschaft erfolgreich angesprochen. Die moderne Medizin steht dabei gleichberechtigt neben der traditionellen Naturmedizin. Der Heiler spielt als Integrationsfigur für seelsorgerische, psychotherapeutische und naturmedizinische Behandlungsmaßnahmen eine besondere Rolle. Das belegt eine Studie der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu Köln. Bei den Bewohnern der Anden werden Erkrankungen auch als ein Problem der Gemeinschaft angesehen.
Im Gegensatz zur westlich orientierten Gesellschaft, in der Krankheit als etwas intimes betrachtet wird, sehen die Bewohner der nordargentinischen Anden Erkrankungen als ein Problem der ganzen Gemeinschaft an. Nur der gesunde Dorfbewohner ist in der Lage für sich, seine Familie und die Gemeinschaft zu arbeiten. In den kargen Hochebenen der Anden trägt er damit zum Wohlergehen und Wachstum der ganzen Dorfgemeinschaft bei. Die erfolgreiche Heilung des Erkrankten liegt im Interesse der Allgemeinheit.

Die Untersuchungen von Dr. Susanne Klammer von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu Köln ergaben, daß neben organischen Erkrankungen sehr oft psychisch-soziale Spannungen zu starken Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit des Einzelnen führen. Die aus der Unauflösbarkeit eines seelischen Konflikts resultierenden Beschwerden werden bei den nordargentinischen Andenbewohnern laut Dr. Susanne Klammer als ein Schreckerlebnis umschriebenes Krankheitsbild interpretiert. Somit erhält der Betroffene mit seinen Beschwerden Anerkennung durch die Gesellschaft und erleidet keinen Ansehensverlust durch sein Fehlverhalten innerhalb der Gruppe.

Oft zollen die Heilungszeremonien diesen Voraussetzungen Tribut, indem sie im großen Kreis mit Verwandten, Freunden und Mitbewohnern stattfinden. Die bildhafte Aufführung der Heilung des Patienten ermöglicht eine allgemeine Nachvollziehbarkeit der Vorgänge. So wird – laut Dr. Klammer – beim Schreckerlebnis, was mit einem Seelenverlust einhergeht, die Seele zum Beispiel gerufen, eingefangen und zum Besitzer zurückgebracht. Das Zurückbringen der Seele soll außerdem dem Patienten ein Verschwinden der Beschwerden suggerieren.

Eine besondere Rolle spielt dabei der zuständige Heiler der Gemeinschaft. Er dient als Autoritätsperson, die mit den Ritualen eine Art Rollenspiel inszeniert und geschickt den Erkrankten in sein soziales Umfeld wieder eingliedert. Auch der gezielte Einsatz von Heilpflanzen, Mineralien und Tierprodukten und das Ansprechen der Sinne leisten Beiträge zum Heilungsvorgang. Der Heiler ist eine soziale Schlüsselfigur für die Erhaltung einer intakten Dorfgemeinschaft.

Traditionelle Naturmedizin und moderne westliche Medizin stehen dabei ebenbürtig nebeneinander. Entsprechend ihrer Wirksamkeit in medizinischen Teilgebieten erfahren beide medizinischen Richtungen durch die Bevölkerung der nordargentinischen Hochebenen – so Dr. Klammer – gleichermaßen Zuspruch.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.