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News: Aufklärer

Nach der Entzifferung von Genomen wird jetzt das Zeitalter der Proteine eingeläutet. Hierfür nötige Handwerkszeuge haben drei Wissenschaftler geliefert, die dafür mit dem Chemie-Nobelpreis 2002 geehrt werden.
Im Februar 2001 feierte die scientific community einen wissenschaftlichen Durchbruch, der sogleich mit der ersten Mondlandung verglichen wurde: Nach zehnjähriger intensiver Forschungsarbeit lag eine grobe Skizze des menschlichen Erbguts vor.

Doch schon bald machte sich auch Ernüchterung breit. Allein die geringe Zahl von nur etwa 30 000 Genen, die auf der menschlichen DNA aufgespürt wurden, zeigte, dass in der nackten Aufeinanderfolge vier verschiedener Buchstaben wohl noch nicht der Schlüssel der Menschheit liegt. Entscheidender sind vielmehr die Genprodukte, deren Mannigfaltigkeit schier unüberschaubar ist: die Proteine.

Die Schwierigkeit in der Proteinanalytik liegt nicht nur in der größeren Anzahl der beteiligten Buchstaben – im Gegensatz zu den vier Nucleotiden der DNA setzen sich Proteine aus 20 verschiedenen Aminosäuren zusammen –, sondern vor allem in der räumlichen Struktur: Während sich die DNA nur als eher langweiliger eindimensionaler Faden präsentiert, können Proteine in nahezu beliebig vielen Formen erscheinen – und ihre Struktur bestimmt letztendlich ihre Funktion.

Daher ersannen Wissenschaftler immer neue trickreiche Methoden, um die Struktur von Makromolekülen zu ergründen. Sie konnten sich dabei auf die Erfahrungen von Chemikern stützen, denen bereits bei Kleinmolekülen Strukturaufklärungen gelangen. So ersann Joseph Thompson 1912 das Massenspektrometer, in dem Ionen in einem elektrischen Feld beschleunigt werden. Da die Geschwindigkeit der Teilchen von ihrer Ladung und ihrer Masse abhängt, lässt sich so deren Masse bestimmen. Dadurch konnte beispielsweise Harold Urey das schwere Wasserstoffisotop Deuterium nachweisen – eine Entdeckung, die 1934 mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt wurde.

Was bei kleinen Molekülen funktioniert, klappt noch lange nicht bei großen. Denn schließlich müssen die Teilchen im Beschleunigungsfeld schweben, was bei den meisten – nicht gasförmigen – Makromolekülen schwer zu realisieren ist. Doch 1988 gelang John Fenn, der zurzeit an der Virginia Commonwealth University tätig ist, die massenspektroskopische Analyse von Polyethylenglycol. Er sprühte winzige Tröpfchen der gelösten Substanz in ein elektrisches Feld. Im Vakuum verdunstete das Wassers, sodass "splitternackte" ionisierte Molekültröpfchen übrig blieben, die sich in einem Massenspektrometer analysieren ließen. Die Methode ging als "Elektrospray-Ionisation" (ESI) in die Geschichte der Chemie ein – und beschert Fenn ein Viertel des mit zehn Millionen Schwedischen Kronen dotierten Nobelpreises für Chemie des Jahres 2002.

Ein weiteres Viertel des Preises erhält der Japaner Koichi Tanaka. Als Ingenieur des japanischen Gerätebauers Shimadzu erläuterte er 1987 in einem Symposium, wie sich Proteine ionisieren lassen: Bei der soft laser desorption (SLD) genannten Methode werden feste oder viskose Proteinproben, die auf einer Matrix aufgetragen sind, mit einem Laser beschossen. Die dabei heraus gesprengten winzigen Bruchstücke sind elektrisch geladen und lassen sich daher im Massenspektrometer untersuchen. Die inzwischen weiterentwickelte Methode hat sich weltweit in Analytiklaboratorien etabliert.

Die Massenspektroskopie beantwortet jedoch nur die Frage "Wie schwer?", aber nicht die viel interessantere "Wie sieht es aus?". Hier helfen Röntgenstrukturuntersuchungen weiter, mit denen Max Perutz 1957 die erste dreidimensionale Struktur eines Proteins – Myoglobin – vorstellen konnte. Auch die Strukturaufklärung der DNA wäre ohne Röntgenkristallographie nicht möglich gewesen.

Die Methode funktioniert jedoch nur, wenn die Moleküle als Kristalle vorliegen – und damit ihren natürlichen Zustand in gelöster Form verloren haben. Doch eine Entdeckung aus dem Jahre 1945 hilft hier weiter. Damals beobachteten die Physiker Felix Bloch und Edward Purcell, dass bestimmte Atomkerne – wie beispielsweise der Kern von Wasserstoff – Radiowellen absorbieren, wenn sie sich in einem starken Magnetfeld aufhalten. Entscheidend ist, dass diese magnetische Kernresonanz (nuclear magnetic resonance, NMR) von der chemischen Umgebung des Atomkerns abhängt. Daher lässt sich durch magnetische Kernresonanzspektroskopie aufklären, mit welchen Elementen das Atom Bindungen eingegangen ist – ein wichtiger Hinweis für die Struktur eines Moleküls.

Kurt Wüthrich von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich gelang es Anfang der achtziger Jahre, die NMR-Spektroskopie auf Makromoleküle anzuwenden. Indem er Schritt für Schritt die NMR-Signale der einzelnen Wasserstoffkerne berechnete, konnte er schließlich 1985 die Struktur eines gelösten Proteins – Proteinase-Inhibitor-IIa – vorstellen. Für diesen Durchbruch wird Wüthrich in Stockholm am 10. Dezember 2002 die zweite Hälfte des Chemie-Nobelpreises entgegen nehmen dürfen.

Die Erfindungen der drei Wissenschaftler haben längst ihren Weg in die Labors gefunden. Mit ihnen werden neue Arzneien entwickelt, Lebensmittel kontrolliert und Krankheiten wie Brust- und Prostatakrebs diagnostiziert. Spektakulär war sicherlich auch die Strukturaufklärung des Prion-Proteins, das als Erreger tödlich verlaufender Hirnerkrankungen wie BSE oder der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit eine traurige Berühmtheit erlangt hat.

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