Direkt zum Inhalt

News: Aufrichtiger Er sucht ehrliche Sie

Für manchen ist das Internet einer der Totengräber zwischenmenschlicher Beziehungen: Es fördert Oberflächlichkeit, Unehrlichkeit und Isolation. Ein völlig ungerechtfertigtes Urteil, meint dazu eine amerikanische Soziologin. Nach ihren Untersuchungen sind gerade Beziehungen, die über das Internet begannen, von großer Ehrlichkeit und Harmonie gekennzeichnet.
"Ich bin wirklich der Ansicht, die Grundlagen solcher Beziehungen sind besser und tiefer als bei vielen Treffen im wahren Leben, denn die Partner sind beim Schreiben sehr ehrlich zueinander", sagt Andrea Baker von der Ohio University in Lancaster. Sie glaubt, die ungewöhnliche Offenheit beim Online-Chat entspringe zum Teil aus Respekt vor der Kraft und Endgültigkeit des geschriebenen Wortes. Mit dem Einzug der modernen Technik in den Kommunikationsbereich geriet die schriftliche Verständigung immer mehr in Vergessenheit. Ironischerweise sind es gerade die neuesten Technologien, die der alten Kommunikationsform zu einem neuen Aufschwung verhelfen.

In ihrer Studie begleitete Baker 18 Paare im Alter zwischen 16 und 57, die sich in den Jahren 1993 bis 1997 online kennengelernt hatten. Sie verschickte per E-Mail Fragebögen und führte nachfolgend Interviews. Die meisten der beteiligten Paare lebten zusammen, waren verlobt oder hatten während des Untersuchungszeitraums geheiratet, nur zwei Beziehungen gingen auseinander.

Anscheinend bringt die schriftliche Konversation im Cyberspace eine gewaltige Offenheit mit sich, besonders bei Teilnehmern, die einander auch persönlich kennenlernen möchten. Sie empfanden die sofortige Nähe als einen erfreulichen Unterschied zum Szenario der gewöhnlichen ersten Verabredung mit einem unbekannten Menschen. Nach Bakers Aussage sehen ihre Studienteilnehmer in der Ehrlichkeit eine absolute Notwendigkeit für eine gute Beziehung. "In den meisten Fällen sind sie extrem ehrlich und bereden wirklich die dunklen wie die sonnigen Seiten, so daß es beim Treffen keine Überaschungen gibt."

Vor der persönlichen Bekanntschaft chatteten die Paare jedoch über Wochen miteinander. Manchmal lagen große Entfernungen zwischen den Partnern, so daß sie richtige Reisen unternehmen mußten, um einander zu besuchen. Vorher hatten sie schon ganz natürlich Photos ausgetauscht. Baker sagt hierzu, daß die physische Erscheinung allerdings nur von untergeordneter Rolle war, da die Menschen bereits den Charakter ihres Partners kannten.

Einige Teilnehmer gaben an, sie hätten ohne das Internet wahrscheinlich niemals ihren Partner kennengelernt, denn neben der räumlichen Distanz trennte sie auch ein intellektuell verschiedener Bekanntenkreis. Im Cyberspace lernten sie sich in Chatrooms oder beim Spielen kennen. Gemeinsame Interessen, die Länge der Antwortzeit beim Gespräch, der Inhalt und der Stil des Geschriebenen – all das signalisierte, wie groß das Interesse an der anderen Person war.

Die Online-Kommunikation stellt eine neue erste Stufe in der Entwicklung einer Beziehung dar, meint Baker. Typischerweise folgt auf eine Online-Phase eine Zeit des Telefonierens und schließlich ein persönliches Treffen. So mancher Teilnehmer fühlte sich bei diesem langsamen Prozeß emotional wohler.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.