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News: Auslösender Mechanismus für Darmkrebs

Das Wachstum von Zellen ist ein delikat ausbalancierter Vorgang, der streng reguliert und kontrolliert wird. Dennoch kommt es manchmal zu ungehemmter Vermehrung - zu Krebs. Der zugrundeliegende Fehler muß dabei nicht unbedingt in den Genen zu finden sein, die das Zellwachstum regulieren. Er kann auch in einem der übergeordneten Gene liegen, denen die Oberaufsicht über jene Regulatoren obliegt. Für einige Arten von Darmkrebs haben Wissenschaftler nun die Ereigniskette entschlüsselt.
Forscher am Weizmann Institut haben einen molekularen Mechanismus entdeckt, der Dickdarmkrebs verursachen kann. In ihrem Artikel in den Proceedings of the National Academy of Sciences vom 11. Mai 1999 berichten sie von dem neuen Mechanismus, der zwei scheinbar nicht zusammenhängende Fragen aus der Molekularbiologie miteinander verbindet.

Die erste betrifft eine wichtige Entdeckung, die vor circa zwei Jahren gemacht wurde: die Tatsache nämlich, daß Darmkrebszellen oft außergewöhnlich große Mengen des Proteins Beta-Catenin enthalten. Beta-Catenin gilt in Fachkreisen als eines der derzeit "heißesten" Forschungsmoleküle. Es wurde außerdem als "Schwarzarbeiter" bezeichnet, da es gleich zwei wichtige Aufgaben in der Zelle erfüllt. In seiner besser erforschten Rolle verbindet sich Beta-Catenin mit Adhäsionsmolekülen – jenen Molekülen also, die in der Zellmembran liegen und den Zellen den Zusammenhalt ermöglichen. In seiner zweiten Rolle reguliert Beta-Catenin die Aktivität von Genen im Zellkern. Bisher war jedoch unklar, wie Beta-Catenin diese Aufgabe wahrnimmt und welche Gene es kontrolliert.

Die zweite molekulare Frage dreht sich um das Gen Cyclin D1 – ein wichtiger Regulator des Zellwachstums – das, wenn es mutiert, als Onkogen wirkt, das heißt krebsauslösend ist. Bei etwa 30 Prozent der Darmkrebsfälle sind die Werte des von diesem Gen produzierten Proteins anormal hoch – ein Hinweis darauf, daß Cyclin D1 bei der malignen Transformation eine Rolle spielt. Das Gen Cyclin D1 von Darmkrebszellen zeigt jedoch keinerlei Mutationen. Dies verblüffte die Forscher, da gewöhnlich Onkogene nur in der mutierten Form Krebs auslösen.

Ein Team von Forschern unter der Leitung von Avri Ben-Ze'ev von der Abteilung Molekulare Zellbiologie des Weizmann Instituts hat nun in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Richard Pestell vom Albert Einstein College of Medicine in New York für beide Rätsel eine gemeinsame Lösung gefunden.

Die Wissenschaftler fanden heraus, auf welche Weise sowohl Beta-Catenin als auch Cyclin D1 bei der Entstehung von Darmkrebs beteiligt sind.

Zunächst steigen die Beta-Catenin-Werte ungewöhnlich hoch an. Dies geschieht in einem von zwei unterschiedlichen Szenarien. In einem Fall ist das Beta-Catenin-Gen selbst mutiert. Im zweiten Fall findet sich eine Mutation im Gen Adenomatous Poliposis Coli (APC), einem gut bekannten Tumor-Suppressor-Gen, das bei etwa 90 Prozent der Darmkrebsfälle mutiert ist. Die wichtigste Aufgabe von APC in der Zelle ist es, die Werte von Beta-Catenin zu reduzieren. Wenn das APC-Gen jedoch mutiert ist, akkumuliert Beta-Catenin in großen Mengen in der Zelle und dringt auch in den Zellkern ein. Dort kann Beta-Catenin das Gen Cyclin D1 direkt aktivieren, was zu einem ungewöhnlichen Anstieg in der Produktion des Cyclin D1-Proteins führt. Da Cyclin D1 ein wichtiger Regulator für Zellwachstum ist, ist das Ergebnis unkontrollierte Zellteilung. Diese führt zu Gewebswucherungen und Tumorbildung.

"In den meisten Fällen ist die Tumorbildung durch mutierte Gene ausgelöst. Es war daher unklar, wie vollkommen normale Kopien des Cyclin D1-Gens an der Entstehung von Darmkrebs beteiligt sein konnten," sagt Ben-Ze'ev. "Nun haben wir gezeigt, daß die 'verantwortliche' Mutation nicht beim Cyclin D1 selbst auftreten muß, sondern in anderen Molekülen vorkommen kann, die das Cyclin D1 beeinflussen.

"Schon lange wollten wir und andere Wissenschaftler wissen, welche Art von Signalen Beta-Catenin in die Kerne von Krebszellen aussendet. Mit unserer Studie gelang es uns, eines dieser Signale 'abzufangen' und zu zeigen, wie bestimmte Darmkrebsarten entstehen könnten."

Ben-Ze'ev und seine Kollegen haben auch gezeigt, wie dieser krebsauslösende Mechanismus blockiert werden kann – eine Erkenntnis, die eines Tages bei der Entwicklung neuer Behandlungsformen nützlich sein kann. In einem Versuch konnte die Aktivität des Cyclin D1 verringert werden, indem eine nicht-mutierte Kopie des Tumor-unterdrückenden Gens APC in Darmkrebszellen geschleust wurde. Das "gute" APC verringerte die erhöhten Beta-Catenin-Werte und stoppte somit die anormale Stimulation des Cyclin D1-Gens.

In einem anderen Experiment brachten die Forscher das Adhäsionsmolekül Cadherin in Darmkrebszellen ein. Es ist bekannt, daß Cadherin sich mit Beta-Catenin an der äußeren Peripherie der Zelle verbindet. Durch diese Verbindung wird Beta-Catenin vom Cadherin "abgefangen" und kann deshalb nicht mehr in den Zellkern wandern und die Produktion von Cyclin D1-Proteins übermäßig anregen. Diese Art der Intervention könnte die Grundlage zur späteren Entwicklung von Therapien für Darmkrebs dienen, aber auch für Melanome und andere Krebsarten, bei denen die Beta-Catenin-Werte anormal hoch sind.

Während diese Studie erarbeitet wurde, gelangte ein anderes Forschungsteam, das von Frank McCormick an der University of California in San Francisco geleitet wird, unabhängig zu ähnlichen Ergebnissen. Dies unterstreicht nur die Bedeutung von Beta-Catenin und Cyclin D1 bei Darmkrebs.

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