Raumfahrt: China greift nach dem Mars
Update: Die Rakete mit der Tianwen-1-Raumsonde ist am 23. Juli erfolgreich ins All gestartet.
Als zwei Raketenfrachter Ende Mai im Hafen der südchinesischen Insel Hainan einliefen, war klar, dass China seine wichtigste Raumfahrtmission des Jahrzehnts trotz Coronakrise nicht aufgegeben hat: eine Landung auf dem Mars. Die Schiffe lieferten eine schwere Langer-Marsch-5-Trägerrakete ans Kosmodrom Wenchang. Von dort soll die Rakete die Marssonde irgendwann in den nächsten Tagen in Richtung Roter Planet befördern.
Der Plan: Nach einer etwa acht Monate langen Reise erreicht Tianwen-1 (»Suche nach himmlischer Wahrheit«) unseren Nachbarplaneten und schwenkt für einige Wochen in eine Umlaufbahn ein. Nach einem Abbremsmanöver durch die Atmosphäre koppelt die Sonde ein Landemodul samt Überschallfallschirm ab. Mit Hilfe von Bremsraketen und einem Airbag setzt es wenig später weich auf der Oberfläche auf – und lässt dort einen Rover auf den roten Sand rollen.
Sieben Minuten Terror, mal wieder
»Die größte Herausforderung sind die sieben Minuten des Schreckens«, zitiert das staatliche Internetportal CIIC Bao Weimin, Direktor beim Hersteller der Sonde, der China Aerospace Science and Technology Corporation (CASC). Bao bezog sich damit auf eine Redewendung, die die NASA im Jahr 2012 bei der Landung ihres Rovers Curiosity prägte. Sie soll das große Unbehagen der Missionsspezialisten greifbar machen, die während der rund siebenminütigen Landephase nicht eingreifen können. Schließlich brauchen Funkkommandos von der Erde deutlich länger, bis sie den Mars erreichen.
Wohl auch aus diesem Grund hat sich China ein vergleichsweise einfaches Landegebiet ausgesucht: Es handelt sich um eine Ellipse von ungefähr 100 mal 400 Kilometer Größe in der weitgehend flachen Tiefebene Utopia Planitia, auf etwa 20 Grad nördlicher Breite. Schon eine der Viking-Sonden der NASA setzte hier in den 1970er Jahren auf.
Ziel der Mission ist, gut drei Monate lang die Marsatmosphäre zu untersuchen, seine Oberfläche zu kartografieren und die Umgebung des Landeplatzes zu erforschen. Dafür befinden sich an Bord von Lander und Rover insgesamt zwölf Instrumente. Aus der Umlaufbahn wird die Hälfte der Geräte auf dem Orbiter Bilder aufnehmen, Magnetfelder messen sowie Partikel bestimmen.
Die andere Hälfte der Experimente befindet sich auf dem etwa 240 Kilogramm schweren, sechsrädrigen Rover. Er soll die Bodenbeschaffenheit und das Wetter untersuchen. Er hat auch ein Bodenradar an Bord, zur geologischen Untersuchung der obersten Bodenschichten, sowie ein Gerät, das via Laserspektroskopie die umgebende Boden- und Gesteinszusammensetzung kontaktlos bestimmen kann.
Aufstieg in die Spitzenklasse der Raumfahrt
Falls China seine Marspremiere gelingt und der Rover die Arbeit aufnimmt, wäre es nach den USA erst das zweite Land, das erfolgreich ein Fahrzeug auf dem Mars ausgesetzt hat. Raumfahrtkenner vermuten verschiedene Motive hinter dem Vorstoß zu unserem Nachbarplaneten: »Wie für uns in Europa ist Wissenschaft auch in China eine der Säulen der Gesellschaft«, sagt Bernard Foing, Wissenschaftler bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA. »Zudem soll eine Marsmission China als führende Weltraumnation bestätigen.«
Daneben geht es um innerchinesische Interessen. Die Kommunistische Partei Chinas feiert kommendes Jahr ihren 100. Geburtstag. Das erklärt nicht nur die energisch durchgezogenen Startvorbereitungen, sondern auch den Missionszeitpunkt an sich. Die Partei möchte sich gewissermaßen selbst ein Geschenk machen und gleichzeitig ihren Führungsanspruch untermauern. »Die Botschaft an die Chinesen ist ›Schaut her, wozu dieses Land in der Lage ist!‹«, sagt Foing. »China ist ein Land, das aus vielen verschiedenen Kulturen besteht. Die Mission soll nationale Einigkeit demonstrieren.«
Der wissenschaftliche Wert der Mission ist aus Sicht der Parteiführung wohl eher nachrangig. »China möchte Weltmacht sein«, sagt Maurizio Falanga, der bis 2019 Exekutivdirektor am International Space Science Institute in Peking war. »Für mich ist das daher im Wesentlichen eine Technologiedemonstration. Die Mission führt vielleicht an einen neuen Ort und untersucht dort zum ersten Mal das Gestein. Aber ich denke nicht, dass dabei etwas revolutionär Neues herauskommen wird.«
Aus diesem Grund ist die Technik auf dem Lander auf den Erfolg der Mission fokussiert, sie ist eher betont robust als besonders modern. So verwendet der Lander bereits geflogene und damit bewährte Technologie: Konzept für Hitzeschild und Fallschirm stammen von der bemannten Shenzou-Raumkapsel, die Triebwerke vom Mondlander Chang‘e.
Mehr Wissenschaft als gedacht
Dennoch sollte man den Erkenntnisgewinn nicht unterschätzen, findet ESA-Forscher Foing: »NASA und ESA haben ein Bodenradar zwar schon aus der Marsumlaufbahn betrieben, aber noch nicht auf einem Rover«, sagt er. »Selbst wenn der Rover und seine Instrumente nicht so modern sind, wie die der US-Missionen, so fliegt Tienwen immer noch zu einem sehr interessanten Ort.« So könne es in der anvisierten Tiefebene beispielsweise verborgenes Eis im Boden geben.
Bleibt die Frage, wie groß die Chancen auf Erfolg sind. Schließlich ist der Mars eines der anspruchsvollsten Ziele in der Raumfahrt, das Risiko eines Fehlschlags entsprechend hoch. Die zahlreichen Versuche der ehemaligen Sowjetunion, in den 1970er Jahre auf dem Mars zu landen, scheiterten allesamt. Selbst Europa hat es bislang nicht geschafft, ein Landemodul intakt auf der Marsoberfläche abzusetzen – 2016 ging ein entsprechender Versuch schief.
Experten unterscheiden bei Marsmissionen zwei verschiedene Phasen: den Raketenstart von der Erde und die tatsächliche Landung. Erstere wird China wohl gut bewältigen, sagt Maurizio Falanga: »Bei Raketen kann man den Chinesen nichts mehr beibringen.« Schließlich handele es sich um 50 bis 60 Jahre Technologie, und die Erfolgsquote der Volksrepublik sei insgesamt hoch. Bei der Landung sei das Risiko hingegen deutlich größer, auch weil die Ingenieure wegen des Parteijubiläums auf einen fixen Termin hinarbeiten mussten. »Wenn Sie ausreichend getestet haben, können sie es schaffen«, findet Falanga.
Immer vorausgesetzt, China verpasst das Zeitfenster nicht: Nur wenn eine Sonde in den kommenden Wochen startet, reicht der Treibstoff ihrer Trägerrakete, um sie bis zum Mars zu befördern. Der Transit zum Roten Planeten ist daher lediglich alle zwei Jahre möglich, wenn Mars und Erde günstig zueinander stehen. Aus demselben Grund startet dieser Tage nicht nur China eine Marsmission, sondern auch die USA und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Sollte die Landung von Tianwen-1 misslingen, wäre das wohl nicht das Ende des chinesischen Marsprogramms, vermutet Falanga. Wenn die Landung der Chinesen dagegen glückt, wird sie von noch ambitionierten Zielen abgelöst werden: Für Ende des Jahrzehnts peilt die Volksrepublik an, eine Bodenprobe zur Erde zurückzubringen. Das hat bisher nicht einmal die NASA fertig gebracht.
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