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Corona-Vakzine: Wie Schweine verraten, was ein Covid-19-Impfstoff kann

Schutzimpfungen bewahren Tiere davor, krank zu werden. Auch gegen Coronaviren gibt es Mittel. Sie verraten viel darüber, was eine Impfung gegen Covid-19 zu leisten vermag.
Ein Schwein bekommt eine Spritze.

Die ersten Impfstoffe gegen Covid-19 sind zwar bereits zugelassen, und Staaten sichern sich bereits Vorräte. Doch was die Mittel wirklich können, ist unbekannt. Im Interesse der schnellen Zulassung kürzen Forscher die Studien, wie gut und wie lange ein solcher Impfstoff wirklich schützt, derzeit radikal ab. Dennoch gehen Fachleute davon aus, dass es einen Impfstoff geben wird – denn er hat bewährte Vorbilder. Corona-Impfstoffe sind schon jetzt weltweit milliardenfach im Einsatz, und zwar in der Veterinärmedizin. Sie liefern vielleicht Hinweise darauf, wie umfassend neue Mittel schützen könnten.

Menschen sind nicht die einzigen Lebewesen, die sich mit den näheren und entfernten Verwandten von Sars-CoV-2 anstecken. Nahezu alle Säugetiere und viele Vögel haben ihre eigenen Coronakrankheiten, die in der kommerziellen Tierhaltung mitunter große finanzielle Schäden verursachen. Vakzine gegen diese Tierseuchen verhindern das. Zusätzlich verraten sie viel über die Erfolgsaussichten einer Impfung gegen Covid-19.

»Nur gegen manche Viren erzeugen Impfungen einen lang anhaltenden Schutz«, erklärt Max Bastian, Tierarzt und Leiter der Geschäftsstelle der Ständigen Impfkommission Veterinärmedizin am Friedrich-Loeffler-Institut. »Das ist zum Beispiel bei Morbiliviren der Fall.« Zu dieser Virenfamilie gehört nicht nur der Erreger der Hundestaupe, sondern auch das Masernvirus. Gegen beide gibt es eine effektive Impfung. »Nach einer guten Grundimmunisierung kann der Schutz teilweise lebenslang bestehen. Bei der Impfung gegen die Tiercoronaviren ist das anders.« Die Schutzwirkung halte deutlich kürzer an, erklärt der Forscher.

Zusätzlich ist der vorübergehende Schutz oft nicht einmal vollständig, wie die Erfahrung zeigt. So zum Beispiel bei Rindern, deren Kälber durch ein Coronavirus schweren Durchfall bekommen. Zum Schutz vor der Krankheit träufelt man ihnen daher einen Impfstoff auf der Basis abgeschwächter Viren in die Nase. In der Regel löst er eine sichtliche Immunreaktion aus und schützt die Jungtiere vor einer künftigen Erkrankung. Doch manche erwischt es trotzdem, wenngleich die Erkrankung dann wesentlich milder verläuft als ohne Impfstoff.

Bisherige Impfungen schützen Tiere nicht für immer

Bei Schweinen wiederum sind sechs Coronavirus-Erkrankungen bekannt, und gegen zwei davon sind in einigen Ländern Schutzimpfungen zugelassen: gegen die Porzine Epidemische Diarrhoe und die verwandte Übertragbare Gastroenteritis, die für Ferkel in den ersten zwei Lebenswochen oft tödlich sind. Deswegen impft man trächtige Sauen, deren Milch dann genug Antikörper enthält, um die Ferkel passiv zu immunisieren, erklärt Bastian das Vorgehen. Allerdings müsse die Impfung vor jeder Geburt erneuert werden. Und auch die direkt geimpften Sauen sind wohl nicht dauerhaft vor dem Virus geschützt, wie Studien zeigen.

Arzneimittel – von der Entwicklung bis zur Zulassung

Präklinische Studien sind der Anfang. Sie finden nicht an Menschen statt, sondern an Proteinen, Zellkulturen, Gewebekulturen oder isolierten Organen sowie mit diversen Versuchstieren: Ratten, Affen, Schweinen beispielsweise. Unter klaren Vorgaben prüfen Forscher Wirkstoffe auf mögliche Nebenwirkungen und versuchen, den tolerierbaren Dosisbereich am Menschen zu finden. Die Ergebnisse sollen helfen, die folgenden klinischen Studien sicher und zielführend durchzuführen. Kosten einschließlich der Forschung und Entwicklung: 200 bis 300 Millionen Euro.

Eine klinische Prüfung am Menschen ist laut Arzneimittelgesetz (AMG) »jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen oder nachzuweisen oder Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit der Arzneimittel zu überzeugen«. Es gibt unterschiedliche Studiendesigns mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen.

In Phase I der Tests bekommen Gesunde den Wirkstoff (Überprüfung der Sicherheit und Verträglichkeit). In Phase II (Sicherheit in Patienten und des therapeutischen Effekts, Dosisfindung) und III (Wirkungsnachweis) wird das Mittel an Menschen getestet, die erkrankt sind. Alle Probandinnen und Probanden sind vollständig aufzuklären und sollen freiwillig einwilligen mitzumachen.

Hat es ein Mittel in Phase III geschafft, liegt die Markteintrittswahrscheinlichkeit bei 65 Prozent. Bis dahin hat ein Konzern jedoch bereits mindestens mehrere hundert Millionen Euro, wenn nicht gar Milliarden investiert.

Im Zulassungsverfahren wird ein Arzneimittel hinsichtlich seiner Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft. Dabei sollte der Nutzen die Risiken überwiegen. Für eine Zulassung in Deutschland prüfen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), für den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum ist die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zentral zuständig.

Phase-IV-Studien sollen anschließend die systematische und fortlaufende Überwachung sicherstellen. Das Ziel: insbesondere sehr seltene Nebenwirkungen und andere Risiken erfassen.

Das gilt auch für die bedeutendsten und etabliertesten Coronavirus-Impfstoffe – jene, die bei Hühnern die Infektiöse Bronchitis bekämpfen. Der Erreger ist bereits seit dem Jahr 1937 bekannt, Vakzinen gegen die Geflügelseuche gibt es seit Jahrzehnten. Dennoch gelang es bisher nicht, mit einer von ihnen eine dauerhafte Immunisierung zu erzeugen. Allerdings lieferten die Forschungen an den Veterinärimpfstoffen Indizien, was eine gute Coronavirus-Vakzine ausmacht – und welche Art der Immunreaktion vor einer Infektion schützt.

Dieses Korrelat der Immunität ist bei Sars-CoV-2 derzeit noch sehr umstritten. Bei vielen Infizierten verschwinden die neutralisierenden Antikörper im Blut schon bald nach der Infektion wieder, doch noch ist die Bedeutung des Befunds unklar. Es gibt zumindest Indizien dafür, dass T-Zellen womöglich eine wichtige Rolle für die Immunität spielen und zumindest eine Teilimmunität auch ohne nachweisbare Antikörper vorhanden ist.

Schleimhaut-Antikörper haben eine besondere Bedeutung

Bei Schweinen und anderen Tieren verstehen Forscher die Immunität schon deutlich besser. »In der Veterinärmedizin gibt es Studien an verschiedenen tiermedizinisch bedeutsamen Coronaviren, die besagen, dass mukosale Antikörper mit Schutz korrelieren«, erklärt Max Bastian. Die Bedeutung der in den Schleimhäuten sitzenden Immunmoleküle gelte über Artgrenzen hinweg und unabhängig davon, ob das Coronavirus nun den Darm oder die Atemwege infiziert. »Es ist sowohl beim Schwein im Darm als auch beim Huhn in den Atemwegen essenziell, dass in den Schleimhäuten ausreichend Antikörper vorhanden sind.«

Dagegen weisen die Tierstudien den klassischen neutralisierenden Antikörpern, auf die auch die nun entwickelten Coronavirus-Antikörpertests anschlagen, nur eine relativ geringe Bedeutung zu. »Systemische Antikörper, die zum Beispiel im Bürzel oder im rechten Ohrlappen vorhanden sind, schützen eben nicht vor diesen Coronaviren«, sagt Bastian. Es sei wohl wichtig, dass sich die Antikörper in bestimmten Geweben aufhalten.

Das ist auch der Grund, weshalb bei Tieren Lebendimpfstoffe weit verbreitet sind – also solche auf Basis abgeschwächter Viren, die sich aber noch im Körper vermehren können. Mit diesen erreiche man am ehesten möglichst viele Antikörper in den Nasenschleimhäuten. Wie eine solche Strategie im Prinzip funktioniert, erklärt der Forscher am Beispiel eines Impfstoffs gegen FIPV, ein Virus, das bei Katzen schwere Bauchfellentzündungen hervorruft.

»Es handelt sich um ein abgeschwächtes, lebendes Katzen-Coronavirus, das im Labor durch gerichtete Evolution temperaturempfindlich gemacht wurde«, sagt er. Dadurch könne es sich im Darm der Katze bei einer Körperkerntemperatur von 38 bis 39 Grad Celsius nicht effizient vermehren, sondern nur in den kühleren oberen Atemwegen. »So hat es seine krank machende Wirkung verloren, erzeugt aber eine gute mukosale Immunität.« Die schlechte Nachricht: Der Impfstoff schützt trotzdem nicht ausreichend, denn die Entstehung der viralen Bauchfellentzündung ist komplexer als eine bloße Virusinfektion.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Antikörperabhängige Verstärkung erschwert die Suche nach einem Impfstoff

Katzen sind auch ein Beispiel dafür, dass Impfungen sogar ein Problem darstellen können, wenn sie im Blut zirkulierende Antikörper erzeugen. In den 1980er Jahren versuchte eine Arbeitsgruppe, Katzen mit einem genetisch veränderten harmlosen Virus gegen FIPV zu immunisieren. Nach der Impfung starben die Tiere schneller und häufiger am Coronavirus. Verantwortlich war ein Effekt namens antikörperabhängige Verstärkung (ADE). Dabei verklumpen die gebildeten Antikörper mit dem Virus, ohne es zu neutralisieren. Makrophagen und Monozyten, die Fresszellen des Immunsystems, nehmen die virenhaltigen Klümpchen auf und werden prompt infiziert. Diese zusätzlich befallenen Zellen machen die Krankheit weitaus schwerwiegender.

Auch bei der Suche nach einem Impfstoff gegen Sars-CoV-2 gilt ADE als potenzielles Problem. Ob ein derartiger Mechanismus bei Covid-19 eine Rolle spielt, ist derzeit noch nicht klar, aber sowohl bei Sars als auch bei Mers trat der Effekt mutmaßlich auf. Man müsse deswegen die Sicherheit potenzieller Impfstoffe besonders genau prüfen, mahnte im Juli eine Arbeitsgruppe in »Nature«.

Ob die antikörperabhängige Verstärkung durch den Impfstoff ein Einzelfall ist oder womöglich bei diesem Typ von Impfung häufiger auftreten könnte, wäre auch bei Covid-19 nicht unerheblich. Denn die einzig vorläufig zugelassenen Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 in Russland und China, die auf einem genetisch veränderten Adenovirus basieren, funktionieren ähnlich wie die erwähnte Impfung für Katzen.

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Solche Impfstoffe, bei denen ein harmloses Virus mit einem einzelnen Protein von Sars-CoV-2 ausgestattet wird, sind womöglich sehr aussichtsreiche Kandidaten für eine erfolgreiche Impfung, erklärt Max Bastian. Der Grund: Sie vermehren sich in den Schleimhäuten und erzeugen dort die in der Tiermedizin bewährte lokale Antikörperantwort. »Es gibt Hinweise aus der Veterinärmedizin, die besagen, dass eine gute IgA-Antwort in den Schleimhäuten essenziell ist, um eine Infektion zu verhindern«, erklärt er. Dieser Zusammenhang könne womöglich auch für Sars-Cov-2 beim Menschen gelten. Immunglobulin A (IgA) ist ein Antikörpertyp, der vor allem in Drüsenausscheidungen wie Schleim oder Milch vorkommt.

Welche Impfstoffe aussichtsreich sein könnten

Tatsächlich kamen Fachleute schon beim Mers-Coronavirus zu einem ähnlichen Schluss: Impfstoffe sollten auf ihr Potenzial überprüft werden, IgA zu induzieren, schrieb 2015 ein Team um den Virologen Christian Drosten. An der Charité laufen derzeit mehrere Projekte über die Rolle von IgA bei Covid-19.

Unglücklicherweise ist über die Rolle der IgA-Antwort allgemein noch wenig bekannt. Antikörperstudien testen meist auf neutralisierende Antikörper im Blutserum, von denen IgA nur einen kleinen Teil ausmachen. Immerhin: Bereits Ende Mai 2020 stellte eine Arbeitsgruppe um Carlo Cervia vom Universitätsspital Zürich fest, dass Personen mit Kontakt zu Infizierten, aber ohne Antikörper im Blutserum spezifische IgA-Antikörper in Tränen und Nasenschleim hatten. Und zwar interessanterweise umso mehr, je jünger sie waren. Das könnte auf eine Schutzfunktion hindeuten, denn bei jüngeren Menschen verläuft die Infektion meist mild.

Gestützt wird diese These auch durch die Analyse eines Teams um Michel Nussenzweig von der Rockefeller University in New York. Wie die Gruppe in einer Vorabveröffentlichung berichtet, neutralisieren IgA-Antikörper im Nasenschleim Sars-CoV-2 sehr effektiv. Möglicherweise seien diese Antikörper besonders bedeutsam für den natürlichen Immunschutz und den Schutz durch eine erfolgreiche Impfung, schreibt die Arbeitsgruppe.

Bei Nutztieren erzeuge man eine solche Immunität am ehesten über Lebendimpfstoffe, erklärt Bastian. »Wenn man über so eine Anwendungsart beim Menschen nachdenkt, dann wäre das in erster Linie in Form von Augentropfen oder tatsächlich als ein Nasenspray.« Allerdings sei diese Lehre aus der Veterinärmedizin auf Covid-19 vermutlich nicht anwendbar. »Das Problem mit abgeschwächten Lebendimpfstoffen ist immer das Restrisiko, dass das Virus wieder virulent wird.« Es könne lange dauern, bis das Virus isoliert und abgeschwächt ist, und noch viel länger, bis wirklich gezeigt ist, dass es sicher in der Anwendung ist. »Das sind Gründe, warum es bei Sars-CoV-2 wenig Anstrengungen gibt, einen solchen Impfstoff zu entwickeln.«

Umgekehrt gibt es bei Nutz- und Haustieren bisher nur wenig Erfahrungen mit anderen Impfstoffkonzepten als abgeschwächten und inaktivierten Viren. Techniken, bei denen lediglich ein einzelnes Protein oder ein Fragment des Virus die Immunantwort aktivieren soll, oder gar RNA- und DNA-Impfstoffe sind oft teurer als die klassischen Vakzinen oder haben mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen.

Ob sie eine lokalisierte Immunantwort in der Schleimhaut auslösen, ist unbekannt. Ebenso ist offen, wie weit sich diese Erkenntnisse der Tiermedizin wirklich auf menschliche Coronavirus-Impfungen übertragen lassen, erklärt Bastian. »Was aber vielleicht daraus abzuleiten ist: dass es tatsächlich vielversprechender ist, über sichere genetisch veränderte Lebendimpfstoffe nachzudenken, die eine gute mukosale Immunantwort auslösen.« Für diesen Ansatz seien möglicherweise Adenoviren wirklich gute Kandidaten.

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