News: Dem Gen auf der Spur
Obwohl Paragangliomen selten bösartig werden, müssen die Tumoren dann chirurgisch entfernt werden, wenn durch der Körper durch die wachsende Geschwulst beeinträchtigt wird und beispielsweise Lähmungen der Hirnnerven und Hörstörungen auftreten. Während die Mehrzahl der Paragangliome sporadisch auftritt, kommen mindestens zehn Prozent familiär gehäuft vor und werden autosomal dominant vererbt.
Bisher kennt man die Stelle der verantwortlichen Gene auf den Chromosomen von drei autosomal dominant vererbten Formen des Paraganglioms. Zwei Formen liegen in unterschiedlichen Intervallen auf Chromosom 11 (PGL1 und 2), den dritten Genort (PGL3) haben nun Stephan Niemann und Ulrich Müller vom Institut für Humangenetik der Universität Gießen entdeckt und Chromosom 1 zugeordnet (Nature Genetics vom November 2000). Durch einen so genannten funktionellen Klonierungsansatz ist es Niemann und Müller gelungen, das Gen bei PGL3 zu identifizieren, welches für die Tumorigenese verantwortlich ist.
Das Gen, SDHC, codiert für einen Bestandteil eines Enzymkomplexes, welcher bei der oxydativen Phosphorylierung, also der "Zellatmung" und damit bei der Energiegewinnung in den Mitochondrien, den "Kraftwerken" der Zelle, eine wesentliche Rolle spielt. Wird die Zellatmung durch den funktionellen Ausfall dieses Komplexes reduziert, so entarten die Zellen schließlich. Das Gen verhält sich wie ein Tumorsuppressor, das heißt, beide Kopien des Gens müssen mutiert (verändert) sein, um schließlich eine Tumorentstehung zu verursachen. Die erste Mutation liegt in der Keimbahn vor und wird an 50 Prozent der Nachkommen eines Mutationsträgers vererbt.
Die zweite Kopie des Gens wird in Zellen des parasympathischen Nervengewebes durch partiellen Verlust von Chromosom 1 ausgeschaltet. Wenn beide Kopien des Gens fehlen, kommt es zur unkontrollierten Zellteilung im betroffenen Gewebe. Der genaue Mechanismus der Tumorentstehung, der bisher noch nicht aufgeklärt ist, ist Gegenstand intensiver Forschungsbemühungen. Es ist jedoch von Interesse, dass sporadische Paragangliome gehäuft bei Personen auftreten, die in großer Höhe, also unter permanentem exogenen Sauerstoffmangel leben. Außerdem finden sich sporadische Paragangliome vermehrt bei Patienten mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen. Bei der von Niemann und Müller beschriebenen genetischen Variante des Tumors führt offenbar endogener Sauerstoffmangel zur Ausbildung eines Paraganglioms.
Die Ergebnisse sind von unmittelbarem Nutzen für Betroffene mit hereditären Paragangliomen, da jetzt durch einen Gentest Risikopersonen schon frühzeitig erkannt werden können. Bei Nachweis einer Mutation können durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen Paragangliome bereits im Frühstadium erkannt und operiert werden.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 10.2.2000
"Krebs durch defekte Mitochondrien"
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