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Astroseismologie: Der Klang der Sterne

Daten des NASA-Weltraumteleskops Kepler haben die Suche nach Planeten außerhalb des Sonnensystems revolutioniert – nun leisten sie dasselbe für die Astroseismologie.
Roter Riese

Die meisten Astronomen blicken in den Nachthimmel und sehen Sterne. William Chaplin hört ein Orchester – eine himmlische Sinfonie, in der die kleinsten Sterne als Flöten auftreten, die mittelgroßen als Posaunen und die Riesen als dröhnende Tuben.

Schwingungen innerhalb der Himmelskörper erzeugen die Töne und machen sich gleichzeitig in einem fast unmerklichen, rhythmischen Aufhellen und Dimmen der Sterne bemerkbar, erklärt Chaplin, Astrophysiker an der University of Birmingham und Spezialist im Bereich Astroseismologie. Diese Wellen liefern den Astronomen Informationen, an die sie auf keine andere Weise herankommen: Ausgelöst durch das turbulente Aufsteigen und Absinken von heißen Gasen auf der Sternoberfläche dringen die Schwingungen tief ins Sterninnere ein. Dabei bilden sich Resonanztöne, die Auskunft über Größe, Zusammensetzung und Masse des Sterns geben. Indem man also die charakteristischen Schwankungen in der Helligkeit beobachtet, so Chaplin, "können wir uns buchstäblich ein Bild davon machen, wie es im Innern eines Sterns aussieht".

Kepler auf seiner Umlaufbahn | Das Weltraumteleskop Kepler befindet sich seit Frühling 2009 auf einer Umlaufbahn um die Sonne.

Glücklicherweise, fügt er hinzu, könnten sich Astroseismologen mittlerweile in einer Art Datengroßmarkt bedienen. Das war nicht immer so: Lange verzerrte die turbulente Erdatmosphäre den Blick ins Weltall, und die Astroseismologie musste sich auf rund 20 der hellsten nahe gelegenen Sterne beschränken. Erst eine neue Generation von Weltraumobservatorien ermöglichte es den Wissenschaftlern, endlich Hunderten von Sternen gleichzeitig zuzuhören – vor allem das 2006 unter französischer Leitung gestartete Weltraumteleskop CoRoT (Convection, Rotation and Planetary Transits) sowie das NASA-Weltraumteleskop Kepler, das im Jahr 2009 startete.

"Wir befinden uns wahrhaft in einem goldenen Zeitalter, was die Erforschung der Struktur und Entwicklung von Sternen angeht", sagt Hans Kjeldsen, Astronom an der Universität Aarhus in Dänemark. "Die Natur scheint es gut mit uns zu meinen", stimmt Ronald Gilliland, Astronom an der Pennsylvania State University in University Park, zu. "Die Sterne geben uns durch eine Vielzahl an Schwingungen ihre innersten Geheimnisse preis." So ermöglichte die Datenflut bereits neue Einsichten in das Innenleben von Roten Riesensternen und zwang Astronomen dazu, zuvor unumstrittene Theorien zur Stern- und Galaxienentstehung in Frage zu stellen.

Wahre Datenflut

Dabei ist Astroseismologie weder CoRots noch Keplers Hauptaufgabe: Eigentlich fahnden die Raumsonden nach Planeten außerhalb des Sonnensystems, so genannten Exoplaneten, die in Größe und Bahnradius der Erde ähneln. Dafür halten sie Ausschau nach winzigen Helligkeitsschwankungen in Sternen – verursacht durch einen Planetentransit, bei dem der Himmelskörper von der Erde aus betrachtet vor seinem Mutterstern entlangläuft. Diese Abweichungen betragen weniger als ein Tausendstel der ursprünglichen Lichtmenge, und damit ist es den beiden Satelliten theoretisch möglich, auch die durch stellare Schallwellen hervorgerufenen Helligkeitsänderungen nachzuweisen.

Tatsächlich behinderten bestimmte Sternschwingungen sogar Keplers Exoplanetensuche, da sie mögliche Transits verschleierten. Allerdings werden diese störenden Schwingungen nicht durch Schallwellen, sondern durch magnetische Aktivität verursacht [1]. Akustische Schwingungen und Planetentransits geraten dagegen nicht in Konflikt miteinander: Schallwellen ändern die Helligkeit von sonnenähnlichen Sternen auf Zeitskalen von 5 bis 15 Minuten, während Transits mehrere Stunden dauern. Deshalb freuten sich die Planer sowohl von CoRoT als auch von Kepler, Astroseismologen in ihre Missionsteams aufnehmen zu können. "Wir hängen uns einfach an die Planetenjäger", sagt Douglas Gough, Astroseismologe an der University of Cambridge.

Vor allem Kepler lieferte eine wahre Flut an Schallwellendaten. Im Vergleich zu CoRoT ist das Weltraumteleskop der NASA neunmal empfindlicher und kann eine größere Gruppe von Sternen für einen längeren Zeitraum beobachten. "Alles fügte sich hervorragend zusammen", sagt Gilliland.

Schwingender Stern | Ähnlich wie in einer Orgelpfeife, in der Schallwellen schwingen und einen Ton erzeugen, treten auch in Sternen Schallwellen auf – wenn auch auf viel größeren Skalen. Indem Astronomen die Resonanzfrequenzen dieser Schallwellen messen, erfahren sie mehr über die innere Struktur der Himmelskörper.

Im vergangenen April veröffentlichten Chaplin und seine Kollegen eine Studie, in der sie anhand von Keplerdaten akustische Schwingungen in 500 sonnenähnlichen Sternen untersucht hatten [2]. Die gemessenen Schwingungsfrequenzen und -amplituden ergaben, dass die Sterne zwar in etwa die von etablierten astrophysikalischen Theorien vorhergesagte Größe besitzen, doch ihre jeweilige Masse fiel deutlich geringer aus als erwartet.

Chaplin ist noch unschlüssig, was er mit diesen Erkenntnissen anfangen soll. Sofern zukünftige Beobachtungen derselben Sterne ebenfalls Massen unterhalb des theoretischen Werts ergeben, müssten Theoretiker ihre Modelle zur Stern- und Galaxienentstehung wohl überdenken. "Bevor wir mit Kepler Astroseismologie betrieben, konnten wir diese Modelle nicht testen", erläutert Chaplin.

Die tatsächliche Massenverteilung zu ermitteln, ist von entscheidender Bedeutung. Denn Sternmassen liegen nicht nur Theorien zur Galaxienentstehung zu Grunde, sondern spielen auch eine wichtige Rolle bei der Produktion schwerer Elemente innerhalb der Galaxien – dem Baumaterial der Planeten, das im Lauf der Zeit in thermonuklearen Reaktionen in Sternen entsteht. Mit den neuesten Daten, berichtet Kjeldsen, "lassen sich unsere Annahmen, Ideen, Theorien und Modelle extrem genau überprüfen. Und außerdem können wir alle unsere Fehler korrigieren."

Die Geheimnisse der Riesen

Eine der größten Überraschungen erlebten Wissenschaftler, die mit Kepler Rote Riesen "abhörten" – diese sonnenähnlichen Sterne haben den Wasserstoffvorrat in ihren Kernen aufgebraucht. Ihre Brennstoffkrise führt paradoxerweise dazu, dass sich ihr Durchmesser teils um das 100-Fache vergrößert. In rund fünf Milliarden Jahren wird auch die Sonne zu einem solchen Roten Riesen anschwellen und die innersten Planeten des Sonnensystems verschlingen.

Astronomen wären gerne in der Lage, zwischen zwei Entwicklungsphasen von Roten Riesen zu unterscheiden: einem frühen Stadium, in dem der Stern von einer dünnen Wasserstoffhülle zehrt, die seinen dichten, nur wenige Erdradien großen Kern umgibt; und einem späteren Entwicklungsabschnitt, in dem er in seinem Kern bereits Helium verbrennt. Mit diesem Wissen könnten die Wissenschaftler dann bestimmen, wie alt ein Roter Riese ist, wie schnell er sich entwickelt und wie viel Gas und schwere Elemente er in jeder Phase in den interstellaren Raum abstößt.

Aufbau von Sternen | Das Innere von sonnenähnlichen Sternen wird üblicherweise in drei Zonen eingeteilt: Die oberste ist die Konvektionszone, darunter liegt die so genannte Strahlungszone, in der die Energie hauptsächlich durch Strahlung und nicht durch Gasbewegungen transportiert wird. Im Zentrum befindet sich der Kern. In Roten Riesen ist die Konvektionszone viel größer als in der Sonne und besitzt mehr als 35-mal mehr Masse. Die Größenverhältnisse sind in dem kleinen Bildchen in der unteren rechten Ecke richtig dargestellt.

Bis zur Kepler-Mission war dieses Unterfangen unmöglich, denn egal was ein Roter Riese gerade in seinem Innern verbrennt – von außen sieht er immer gleich aus. Im März 2011 gelang Timothy Bedding, Astronom an der University of Sydney, und seinen Kollegen dann der Durchbruch: Anhand von Kepler-Daten konnten sie erstmals zwischen den beiden Phasen unterscheiden [3].

"Dass man etwas über die Eigenschaften des winzigen Kerns von riesigen Sternen erfahren kann, indem man Schwingungen auf der Oberfläche analysiert – wer wäre nicht von dieser Methode fasziniert?", sagt Jørgen Christensen-Dalsgaard, Astronom an der Universität Aarhus und Koautor der Studie.

Im Dezember 2011 berichteten dieselben Forscher dann, dass sie bei einem Roten Riesen die Rotationsrate der Zentralregion gemessen und dabei entdeckt hatten, dass diese sich etwa zehnmal schneller dreht als die Oberfläche [4]. Dieser Befund bestätigt das Standardmodell für die Entstehung von Roten Riesen: Sonnenähnliche Sterne blähen ihre äußeren Schichten auf, während sich ihr Kern zusammenzieht. Den Grundprinzipien der Physik zufolge muss der Drehimpuls dabei erhalten bleiben, so dass sich die angeschwollene Hülle langsamer dreht und der kontrahierende Kern schneller – genau wie nun beobachtet.

Mission noch nicht erfüllt

Viele Astronomen fordern nun eine Verlängerung der Kepler-Mission, die bereits im November 2012 enden soll. Ob die NASA angesichts knapper Kassen diesen Wunsch erfüllen kann, ist noch unklar; zumal andere Missionen ebenfalls Geld benötigen. Immerhin legen Astroseismologen gute Gründe vor: So ändert sich bei unserer Sonne beispielsweise die Frequenz der Schallwellen im Lauf des elfjährigen magnetischen Zyklus geringfügig. Diese leichte Verschiebung – um etwa ein Zehntausendstel – eröffnet ihrer Meinung nach einen neuen Weg, um die Länge des solaren Aktivitätszyklus zu messen. Sonnenflecken, Flares und andere Energieausbrüche auf dem Zentralgestirn, allesamt angetrieben durch ihr dynamisches Magnetfeld, können verheerende Schäden an Satelliten- und Kommunikationssystemen anrichten.

Astronomen würden den magnetischen Aktivitätszyklus der Sonne gerne mit denen von ähnlichen Sternen vergleichen. Weisen diese aber ebenfalls mehrjährige Zyklen auf, gibt Gilliland zu bedenken, reicht Keplers derzeit geplante Missionsdauer nicht aus, um sie zu überwachen. "Erstrecken sich die Beobachtungen dagegen über sieben, acht oder sogar noch mehr Jahre – der Satellit sollte sogar elf schaffen –, könnten wir viele stellare Aktivitätszyklen erforschen. Das wäre deutlich aussagekräftiger", fügt er hinzu.

Supererde Kepler-22b | Anfang Dezember 2011 gab die US-Raumfahrtbehörde NASA den sicheren Nachweis der ersten Supererde in der habitablen Zone eines sonnenähnlichen Sterns bekannt, der mit dem Weltraumteleskop Kepler entdeckt wurde. Kepler-22b hat den 2,4-fachen Durchmesser der Erde (rund 30 000 Kilometer) und benötigt 290 Tage für einen Umlauf um sein Zentralgestirn. Diese künstlerische Darstellung gibt einen Eindruck seiner möglicherweise mit Wasser bedeckten Oberfläche wieder.

Eine verlängerte Mission könnte den Astronomen auch mehr über eine andere Klasse von Schwingungen verraten, die tief aus dem Kern eines Roten Riesen stammt. Mit ihrer Hilfe ließe sich vermutlich viel über Struktur und Dichte des Zentralbereichs herausfinden. Zwar besitzen diese Oszillationen eine sehr kleine Amplitude, wenn sie sich auf der Oberfläche bemerkbar machen, aber ihr Nachhall dauert – ähnlich dem einer schweren Glocke – monate- oder sogar jahrelang an. "Wir haben gerade erst damit begonnen, interessante Astrophysik aus diesen Ergebnissen zu destillieren", sagt Gilliland. Und es wäre eine immense Hilfe, in den kommenden Jahren weitere Daten aufzunehmen.

Astroseismologie könnte sogar bei Keplers eigentlicher Hauptaufgabe weiterhelfen, also bei der Suche nach erdähnlichen Exoplaneten, die in der bewohnbaren Zone um ihre Sterne kreisen, erzählt Chaplin. Denn der Satellit weist einen Exoplaneten nur durch die Lichtmenge nach, die dieser beim Transit vor seinem Mutterstern abschirmt. Das "fehlende" Licht lässt sich dabei nur im Verhältnis zum Zentralgestirn angeben, und damit ist der Radius des Planeten auch nur so genau bekannt wie der Radius des Sterns. Anhand von Schwingungen des Muttersterns lässt sich dessen Größe allerdings sehr genau bestimmen [5]. Solche Messungen sind zwar nur für die hellsten Sterne in Keplers Blickfeld möglich, doch sie würden den Forschern mehr Vertrauen in ihre eigenen Daten geben – gerade jetzt, wo sich der Radius der entdeckten Planeten dem Erdradius immer mehr annähert [6, 7].

Johannes Kepler – jener Astronom aus dem 17. Jahrhundert, nach dem die Raumsonde benannt wurde –, stellte die Theorie auf, dass die Erde und all die anderen bekannten Planeten ihre ganz eigenen Töne erzeugen. Er nannte dieses Arrangement die Sphärenmusik. Würde eine himmlische Musik, wenn auch etwas anderer Art, eine Schlüsselrolle bei der wichtigsten Entdeckung des Weltraumteleskops Kepler einnehmen, wäre das also nur angemessen.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung von: Kepler’s surprise: The sounds of the stars". Erschienen in: Nature 481, S. 18–19, 2012

  • Quellen
[1] Nature 477, S. 142–143, 2011
[2] Science 332, S. 213–216, 2011
[3] Nature 471, S. 608–611, 2011
[4] Nature, 10.1038/nature10612, 2011
[5] arxiv, 1112.2165, 2011
[6] Nature 480, S. 302, 2011
[7] Nature, 10.1038/nature10780, 2011

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