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Artur Fischer: Der schwäbische Dübelkönig

Heute wäre Artur Fischer, der Mann mit den 1000 Patenten, 100 geworden. Er brachte der Welt den Dübel. Und hätte es ihn nicht gegeben, man hätte ihn wohl erfinden müssen.
Artur Fischer mit einer Hand voll Dübel

Eine Maschine zum Abnehmen des Hutes würde niemand kaufen, sagte er einmal in einem Interview. Erfindungen müssten den Menschen dienen. Und das tat seine bekannteste Idee: Vor fast 60 Jahren entwickelte der schwäbische Bauschlosser Artur Fischer den Dübel, der die Befestigungstechnik und die Baugeschichte revolutionierte. Zeitlebens hielt sich der Tüftler fern von Pomp und Prunk. Nicht das Geld hat ihn angetrieben, sondern die Neugierde. Und – ganz am Anfang – die pure Not.

Am Silvesterabend 1919 in Tumlingen, das heute zur Schwarzwälder Gemeinde Waldachtal gehört, als Sohn eines Dorfschneiders und einer Lohnbüglerin geboren, wächst Fischer bescheiden auf. Früh lernt er, dass man hart arbeiten muss, um sich etwas leisten zu könnten. Zum Teil unter körperlichen Schmerzen bügelt Fischers Mutter jahrelang in Heimarbeit Hemden, damit der Sohn auf die Realschule gehen kann.

Doch Artur ist ein schlechter Schüler. Ihn interessiert nicht der Unterricht, sondern er ist fasziniert von Dampfdreschern und dem Märklin-Baukasten, den ihm seine Mutter zu Weihnachten geschenkt hat. »Immer wollte er irgendetwas basteln oder zusammenbauen«, schreiben seine Biografen Helmut Engisch und Michael Zerhusen über ihn. Die Realschule bricht Fischer ab. Er will seine Mutter entlasten, die nicht mehr nächtelang Hemden für ihn bügeln soll, um das Schulgeld aufzubringen.

Mit 16 beginnt Artur Fischer in Stuttgart eine Schlosserlehre. Zur Wehrmacht eingezogen, will er eigentlich Flieger werden, aber er hat nicht die Mindestgröße von 1,70 Meter. So kommt er gleich nach Kriegsausbruch 1939 als Mechaniker zum Jagdgeschwader 52 ins pfälzische Lachen-Speyerdorf. Als eines Tages überraschend Hitler auf einen Truppenbesuch vorbeischaut, muss er ihm ein selbst gebasteltes Flugzeugmodell überreichen, wie er später erzählt. Eigentlich war es als Weihnachtsgeschenk für seine Mutter gedacht.

Fischer mit Fotoblitzen | Die Aufnahme vom 18.3.1975 zeigt den Erfinder mit Mustern von Blitzgeräten, die alle zwischen 1950 und 1968 in seinem Werk gefertigt wurden.

Der begabte Mechaniker steigt bald zum technischen Ausbilder auf, ehe er nach Stalingrad verlegt wird, wo er Flugzeuge repariert und 1943 nur mit viel Glück mit einer der letzten Maschinen dem Kessel entkommt. Zurück aus Russland, gerät er in Italien in englische Kriegsgefangenschaft, kann aber von dort fliehen.

Aus Mangel an Streichhölzern

Nach dem Krieg arbeitet Fischer für einen kleinen Elektrobetrieb in Freudenstadt, macht sich jedoch schon sehr bald selbstständig. Die Not im Krieg hat ihn improvisieren gelehrt. Seine erste Werkbank zimmert er aus Brettern, die er sich bei Waldarbeitern zusammengebettelt hat. In seiner kleinen Werkstatt repariert er die Elektrogeräte, die ihm die Bauern aus der Umgebung bringen.

1947 heiratet Fischer Rita Gonser. Ein Jahr später gründet er die Firma Artur Fischer Apparatebau. Noch im gleichen Jahr entwickelt er, als ein Mangel an Streichhölzern herrscht, den ersten elektrischen Feueranzünder, dessen Glühdraht Papier in Brand setzt. Schon nach wenigen Tagen ist die erste Serie verkauft. »Es war ein praktisches Produkt«, erklärte Fischer den kommerziellen Erfolg seiner Idee.

Der Durchbruch zum Unternehmer gelingt ihm mit 29: Im Jahr 1949 erfindet er das weltweit erste synchronisierte Blitzlichtgerät für Fotoapparate, das mit dem Objektivverschluss der Kamera gekoppelt ist. Der Grund: Weil sie einen Brand fürchtete, weigerte sich eine Fotografin, in ihrer dunklen Dachgeschosswohnung mit Magnesiumblitzlichtbeutel und Zündschnur zu hantieren.

Artur Fischer wird zum Zulieferer der großen Agfa. Innerhalb weniger Wochen stellt er mehrere Dutzend Arbeiter an und mietet sich eine leere Gemeindehalle, um dort tausende Blitzlichtgeräte zu produzieren. Insgesamt baut der innovative Schwabe 13 Millionen solche Geräte für den Kamerahersteller. Diese vom damaligen Marktführer Agfa vertriebene technische Glanzleistung brachte Fischer erste weltweite Anerkennung – vor allem aber wirtschaftliche Unabhängigkeit.

1958 kommt das kleine, unscheinbare Utensil auf den Markt, mit dem sein Name heute vor allem verbunden ist: der Fischer-Dübel, eigentlich Spreizdübel. Das kleine Plastikröhrchen sei seine revolutionärste Erfindung, wie Fischer später einmal sagt, da »er sozusagen die Welt zusammenhält«. Das hellgraue Kunststoffteil steckt heute in Abermillionen von Decken und Wänden – auch im Gotthardtunnel, in der Münchner Allianz-Arena, der Metro von Singapur und dem Burj Khalifa in Dubai.

Alles beginnt, wie bei Fischer üblich, mit einem grundsätzlichen praktischen Problem: der Unvereinbarkeit von Stein und Schraube. Das Metallgewinde verlangt nach Elastizität, das Mauerwerk ist spröde. Wer in den 1950er Jahren etwas zu befestigen hat, muss sich mit eingegipsten Holzklötzchen oder mit hanfgefüllten Metallhülsen herumschlagen. Sie halten wenig aus, und ständig fallen Bilder von der Wand.

Fischer feilt an seiner größten Erfindung

An einem Samstag im Jahr 1959 steht Artur Fischer unter der Dusche – hier hatte er nach eigenen Aussagen immer zahlreiche Eingebungen. Was Widerstand bieten soll, so seine Überlegung unter dem fließenden Wasser, muss Zähne zeigen. Fischer trocknet sich ab, zieht sich an und geht in die Werkstatt. Dort feilt er an einem Stück Kunststoff herum, bis er eine Lösung gefunden hat – ein Ding, das sich in der Wand verkantet und verhakt, wenn man eine Schraube hineindreht. Sein Dübel ist aus Polyamid und hat eine Spalte, damit er sich spreizt – die Zähne, die sich im Mauerwerk verbeißen. Wenige Wochen später perfektioniert Fischer den Dübel, indem er seitlich zwei Sperrzungen ansetzt. Sie verhindern, dass sich der Dübel beim Anziehen der Schraube dreht.

Beim Material bleibt der Erfinder beim Polyamid, Handelsname Nylon, obwohl es in seinem Unternehmen auch Stimmen gibt, die einem kostengünstigeren Material das Wort reden. Doch Fischer hört auf seine Handwerker, die wie ihr Chef der Ansicht sind, dass die grauen Befestigungshelfer aus einem harten, witterungs- und alterungsbeständigen Kunststoff hergestellt werden müssen, damit sie lange halten. Controller sieht Fischer seit damals skeptisch: Sie hätten »keinen Bezug zum Produkt«.

Fischer ist nicht nur ein leidenschaftlicher Erfinder, sondern auch ein guter Geschäftsmann. Seine 1948 im Nachkriegsdeutschland aus dem Nichts gegründeten Fischer-Werke agieren mittlerweile auf der ganzen Welt und exportieren ihre Produkte in mehr als 100 Länder. Es gibt mehr als 47 Tochtergesellschaften in 35 Ländern mit über 5000 Mitarbeitern, die jährlich einen Umsatz von knapp 900 Millionen Euro erwirtschaften. Der Verkaufsschlager des seit 1980 von Sohn Klaus geführten Familienbetriebs ist nach wie vor der Fischer-Dübel: Täglich werden heute mehr als 15,5 Millionen »Befestigungsprodukte« aller Art von Tumlingen aus verkauft.

Artur Fischer | Nach abgebrochener Realschule und Kriegsdienst steht der Erfinder schnell auf eigenen Füßen. Mit den bekannten Folgen: Seine Ein-Mann-Firma wächst bald zu einem Konzern heran.

Artur Fischer will aber auch anderen den Spaß am Erfinderdasein näherbringen und entwickelt das Baukastensystem »fischertechnik« – eine Art Technik-Lego, 1963 ursprünglich für die Kinder seiner Geschäftskunden als Weihnachtsgeschenk gedacht. Auch Schulklassen beliefert er damit, um bei Kindern die Lust auf Technik und Tüfteln zu fördern. Kinder, sagt Fischer einmal, »müssen spielen, sonst verkümmert ihre kreative Mitgift«. 2001 ruft er zusammen mit der Baden-Württemberg-Stiftung den Artur-Fischer-Erfinderpreis ins Leben, der alle zwei Jahre an Schülerinnen und Schüler vergeben wird.

Mehr als 1000 Patente und Gebrauchsmuster

Bis zuletzt ist der gelernte Bauschlosser aktiv. Auch als er sich mit 61 Jahren aus dem aktiven Geschäft zurückzieht, schleppt er Idee um Idee an. Im hohen Alter bringt er noch einmal etwas für Kinder auf den Markt: »fischerTiP«, ein essbares und ökologisch abbaubares Kinderspielzeug aus Kartoffelstärke. Hinzu kommen kreative Erfindungen, wie der Bügel, der sich an das Kleidungsstück anpasst, sowie die elektrische Eierköpfmaschine, die er in einem Interview mit dem Magazin »Technology Review« einmal als einen der wenigen Flops seines Unternehmens bezeichnete.

Zu all seinen technischen Eingebungen hat Fischer ein inniges Verhältnis. Es sei wie die Geburt eines Kindes. »Wo vorher nichts gewesen ist, entsteht etwas Neues.« Wichtig sind ihm die Qualität der Erfindungen und deren schöpferischer Wert, dem man, meint der Firmengründer gegenüber seinem Enkel, mindestens so viel Bedeutung beimessen sollte wie dem Geld. Denn es sind »weder das Geld noch sind es unsere Dübel, die die Welt in Wirklichkeit zusammenhalten«. Ein Stück schwäbische Lebensweisheit.

Fischer fühlte sich zeitlebens im Blaumann wohler als im Anzug. Ihm war die Werkstatt lieber als das Büro. Aus ihr musste ihn seine Frau oft samstagsabends gegen Mitternacht wegzerren, wo er vertieft über seinen Zeichnungen brütete.

Im hohen Alter wurde dem schwäbischen Erfinder noch eine ganz besondere Ehre zuteil. »Sein ganzes Leben lang hat Artur Fischer Probleme aus seinem Alltag in Lösungen verwandelt«, würdigte das Europäische Patentamt Fischers Wirken und zeichnete ihn 2014 mit dem Erfinderpreis in der Kategorie Lebenswerk aus. Mehr als 1100 Patente und Gebrauchsmusteranmeldungen hat Artur Fischer in seinem Leben angesammelt.

Das Leben voller Ideen ging nach fast einem Jahrhundert zu Ende. Am 30. Januar 2016 starb der Bundesverdienstkreuzträger und Inhaber von mehreren Doktorwürden und Ehrenprofessuren, Artur Fischer, den der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Lothar Späth, einmal sehr treffend als »das Symbol für das sprichwörtliche Gewusst-wie« bezeichnete.

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