News: Die Hitze macht's
Brandes und seine Kollegen nehmen an, daß der Ammoniak am wahrscheinlichsten in der frühen Erdkruste und in hydrothermalen Spalten produziert wurde, wo eisenhaltige Mineralien als Katalysatoren fungieren. Die Gruppe untersuchte experimentell, was passiert, wenn molekularer Stickstoff oder die oxidierten Formen NO2 und NO3 – die alle drei vermutlich in den damaligen Ozeanen vorhanden waren – bei hohen Temperaturen und Drücken mit Eisenoxiden, Eisensulfiden und Basalten reagieren. Basalt ist der vorherrschende Gesteinstyp in den Systemen der Ozeanrücken, während Eisensulfide und -oxide sehr häufig in hydrothermalen Öffnungen vorkommen.
Es stellte sich heraus, daß sich bei der Verwendung von Eisensulfiden bei 500 Grad Celsius bis zu 89 Prozent des Stickstoffs in NH3 umwandeln, und das in nur 15 Minuten! Das Eisenoxid konvertierte bis zu 46 Prozent des Stickstoffes zu Ammoniak, pulverisierter Basalt schaffte bis zu 20 Prozent. Die Reduktion des N2, des größten Stickstoffreservoirs auf der Erde, verlief langsamer. Dennoch wurden innerhalb von 24 Stunden immerhin bis zu 17 Prozent in Ammoniak umgewandelt. Der Ammoniak, so stellten die Forscher fest, war bei Temperaturen von bis zu 800 Grad Celsius stabil; höhere Temperaturen übersteht nur Stickstoffgas. Somit hätten N2 bzw. dessen oxidierte Formen das Rohmaterial für eine bedeutende und reiche Ammoniakquelle in den damaligen Ozeanen dargestellt und eventuell sogar regelrechte NH3-Oasen zur Produktion von Amino- und Nukleinsäuren in den frühen Formen des Lebens geschaffen.
Brandes und seine Mitautoren weisen auf zwei weitere bedeutende Schlußfolgerungen hin. Die Beobachtung, daß Ammoniak bei Temperaturen über 800 Grad Celsius nicht "überlebt", läßt vermuten, daß Stickstoff in der frühen Entwicklungsphase der Erde nur als Stickstoffgas (N2) auf der Oberfläche vorhanden war, als ein Bombardement von Asteroiden dafür sorgte, daß die Temperatur dort weit über 800 Grad Celsius betrug. Folglich müßte der für den Ursprung des Lebens notwendige Ammoniak nach der Anfangsphase der Erdbildung erzeugt worden sein.
Eine zweite wichtige Schlußfolgerung bezieht sich auf ein altes Problem, das die frühe Atmosphäre betrifft und auch als Paradoxon der frühen schwachen Sonne bekannt ist. In den vergangenen Milliarden Jahren hat die Strahlung der Sonne stetig zugenommen. Anscheinend reichte während der Entstehung der Erde die Strahlungsenergie unseres Sterns nicht aus, um die Ozeane über längere Zeit hinweg flüssig zu halten, es sei denn, es war eine beachtliche Menge Treibhausgas vorhanden, um die Sonnenenergie einzufangen und den Planeten warm zu halten. Ammoniak gehört zu den effizientesten Treibhausgasen. Wenn nun in den Ozeanen ständig Ammoniak in den heißen Spalten erzeugt wurde, so wäre dieser Ammoniak durch Austauschprozesse zwischen den Meeren und der Luft auch in die Atmosphäre gelangt. Mit dieser Annahme könnte das Paradoxon gelöst werden.
Überraschenderweise tragen die neuen Ergebnisse kaum etwas zur Klärung der alten Streitfrage bei, wo denn die Wiege des Lebens stand. Die fast ein halbes Jahrhundert vorherrschende Lehrmeinung besagte, daß das Leben in der Nähe der Ozeanoberfläche im Sonnenlicht begann. Nach einer anderen Hypothese bildeten sich die ersten Zellen in der Nähe der thermischen Öffnungen in der Tiefsee. Die jetzige Arbeit zeigt, daß hohe Ammoniak-Konzentrationen durchaus in der Nähe dieser Öffnungen auftreten können und diese Orte möglicherweise in Reaktionsräume für einige interessante chemische Vorgänge verwandelten. Doch das dort gebildete Ammoniak verbreitet sich durch den ganzen Ozean, gelangt ferner in die Atmosphäre und bietet so eine Quelle reduzierten Stickstoffs für nahezu jedes erdenkliche Milieu, das für den Beginn des Lebens in Frage kommt.
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