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Synthetische Biologie: Die Jagd nach dem Minimalgenom

Frei von allem genetischen Ballast soll es sein, das Wunschbakterium der synthetischen Biologie. Dann wäre es die ideale Plattform für die Erschaffung maßgeschneiderter Mikroorganismen.
Das synthetische Bakterium JCVI-syn3.0

Natürlich drängt sich das Bild eines gottgleichen Schöpfers auf – mal wieder. Wissenschaftler des US-amerikanischen J. Craig Venter Institute (JCVI) haben künstliches Leben erzeugt, diesmal auf der Basis eines extrem kleinen Erbguts: Nur 473 Gene umfasst die DNA des Einzellers Mycoplasma mycoides JCVI-syn3.0, so wenige wie nie zuvor.

Die Vorlage für den Versuch lieferte M. mycoides JCVI-syn1.0, ein Bakterium, das von Forschern des gleichen Instituts bereits 2010 geschaffen wurde. Damals hatte das JCVI für Schlagzeilen gesorgt: JCVI-syn1.0 war immerhin der erste Organismus, der komplett im Labor entstanden war. Forscher um Craig Venter hatten dafür erfolgreich das Genom eines Mycoplasma-mycoides-Bakteriums nachgebaut und in die Zelle einer anderen Mycoplasma-Art übertragen.

In der neuen Studie ging es ans Abspecken: "Ziel ist es, eine so einfache Zelle zu gestalten, dass die molekulare und biologische Funktion jedes seiner Gene bekannt ist", heißt es in der Ende März 2016 im Fachmagazin "Science" publizierten Studie. Man nehme ein Genom und streiche so lange Gene heraus, bis nur noch die wirklich überlebenswichtigen Abschnitte vorhanden sind: So lässt sich das Prinzip des Top-down-Ansatzes der Forscher zusammenfassen. Man ist auf der Jagd nach dem Kernstoffwechsel.

Es ist ein "proof of concept", ein Beleg der Machbarkeit, den die Gentechnologen mit der Erschaffung des neuen Bakteriums vorlegen. Mit seinen 473 Genen ist das Erbgut von JCVI-syn3.0 für einen Labororganismus in der Tat sehr überschaubar. Zum Vergleich: Das häufig im Labor verwendete Bakterium E. coli verfügt über rund 4500 Gene, beim Menschen sind es etwa 20 000.

Mikrobiologen erhoffen sich von einem solchen synthetischen Erbgut die Realisierung von künstlichen Zellen als "Bioreaktoren". Ihr genetischer Inhalt wäre bekannt, deshalb könnten sie gezielt für bestimmte Einsatzzwecke verändert werden. Beispielsweise durch Einbau von Genen, mit denen die Zelle einen nützlichen Wirkstoff produziert.

"Für wirklich leistungsfähige Organismen scheint eher Komplexität Trumpf zu sein"Petra Schwille

Da sie sich auf Grund ihres kleinen Genoms kaum an Veränderungen in ihrer Umwelt anpassen können, ist es unter kontrollierten Laborbedingungen so gut wie ausgeschlossen, dass sich unbemerkt Mutationen einschleichen. Umgekehrt wären derartige Organismen außerhalb der Labore nicht überlebensfähig, weil sie auf natürliche Bedingungen nicht reagieren können – so hoffen es zumindest die Forscher, denn dann wäre sichergestellt, dass künftig keine veränderten Bakterien in die freie Wildbahn entwischen und dort Schaden anrichten.

Doch bis diese Ansätze und Spekulationen Realität werden, ist es noch ein langer Weg. Petra Schwille, Direktorin des Max-Planck-Instituts für Biochemie in Martinsried, äußert sich bezüglich der Erschaffung des neuen Mikroorganismus eher verhalten: Technisch sei das sehr beeindruckend, "aber es stößt an ähnliche Probleme wie viele Evolutionsansätze im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts: Leben künstlich zu optimieren, zumal durch Minimierung, scheint nicht so recht zu funktionieren."

Denn auch die aktuelle Studie erfüllt nicht die Erwartungen, welche die Venter-Forscher ursprünglich an das Experiment hatten. "Das Prinzip des Minimalgenoms erscheint auf den ersten Blick einfach", so schreiben sie es selbst in "Science". "Bei näherer Betrachtung entpuppt es sich jedoch als unerwartet komplex." Noch 2005 schätzten Mikrobiologen des JCVI im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences", dass für ein Minimalgenom rund 400 Gene notwendig sind.

Dieser Wert wurde mit den 473 Genen von JCVI-syn3.0 nicht nur weit überschritten, sondern ist auch nur wenig kleiner als das 525 Gene umfassende Genom des natürlich vorkommenden M. genitalium, das bisher als kleinstes bekanntes Mycoplasma-Erbgut galt. "Für wirklich leistungsfähige Organismen scheint eher Komplexität Trumpf zu sein", so Schwille.

Rechnung mit 79 Unbekannten

"Man darf die Studie nicht kleinreden, aber den Kern der Sache hat sie nicht getroffen." So schätzt den neuen Organismus auch Nediljko Budisa ein, Professor am Institut für Chemie an der Technischen Universität Berlin. Schon seit vielen Jahren existiere in der mikrobiologischen Forschercommunity eine Diskussion darüber, was ein Minimalgenom ausmache. Die Größe allein ist es nicht: Erwünscht ist auch, dass keine Genabschnitte auftauchen, deren Zweck unbekannt ist.

Und da liegt der Knackpunkt: Von den 473 Genen, die JCVI-syn3.0 in sich trägt, ist von 149 die Funktion nicht bekannt. Bei 79 von ihnen haben die Forscher nicht einmal eine Idee, welchen Zellbereich sie beeinflussen. Doch ganze 19 davon scheinen unmittelbar für das Überleben der Zelle unabdingbar zu sein, weitere 36 werden offenbar benötigt, um das Wachstum der Zellkolonie zu beschleunigen. Einer der nächsten Schritte wird nun sein, die Funktionen dieser rätselhaften DNA-Abschnitte zu entschlüsseln. Bis dahin handelt es sich beim Erbgut von JCVI-syn3.0 "nur" um ein sehr kleines Genom. Ein Minimalgenom im eigentlichen Sinne ist es nicht.

Dennoch bezeichnet sich auch Budisa als "großen Fan der Experimente" aus Craig Venters Laboren. Der US-Amerikaner gebe dem Forschungsfeld mit seinem öffentlichkeitswirksamen Auftreten ein Gesicht und wisse, wie er auch kleine Ergebnisse zu Storys machen kann. Dadurch sorgen sogar solche Forschungsergebnisse für viel Wirbel, die eigentlich eine viel kleinere Meldung wert sind. Craig Venter steht eben für eine Marke, er ist ein Steve Jobs der Mikrobiologie. "Wenn die Studie jemand anderes veröffentlicht hätte, hätte vermutlich niemand reagiert", schätzt Budisa.

© ARTE
Die Jagd nach dem Minimalgenom

Veröffentlicht am: 07.04.2016

Laufzeit: 0:03:01

Sprache: deutsch

Der öffentlich-rechtliche Sender ARTE ist eine deutsch-französische Kooperation mit Schwerpunkt Kultur und Gesellschaft.

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