Künstliche Intelligenz: Die Newton-Maschine
Newton veranlasste angeblich ein fallender Apfel zur Entdeckung der klassischen Mechanik. Jetzt betrachtete ein Computer komplexe Pendel - und fand in ein paar Stunden die richtigen Formeln. Sind Wissenschaftler aus Fleisch und Blut bald überflüssig?
Mit einem Roboter, der sich selbst verstand, hatte Hod Lipson bereits vor einigen Jahren aufgewartet: Seine Maschine sagte voraus, was passieren würde, wenn sie eines ihrer Glieder bewegte. Mit diesem "Selbstmodell" ausgestattet, schlich sie über den Boden. Amputierte man ihr ein Bein, versagte natürlich das System, und der Apparat kam ins Humpeln. Dann aber lernte er durch gezieltes Ausprobieren einfach ein neues Selbstmodell.
Das war ein raffinierter – und preisgekrönter – Ansatz in der Robotik. Aber der Forscher von der Cornell University gab sich noch nicht zufrieden: Wenn der Roboter die Gesetzmäßigkeiten seiner eigenen Bewegungen lernte, würde er dann nicht auch die eines externen physikalischen Systems entdecken können? Zum Beispiel das Schwingen eines Pendels? Kann ein Computerprogramm – ohne eingebautes Wissen über Mechanik – herausfinden, nach welchen Gesetzen die schwingende Masse sich bewegt?
Mit einem Motion-Capture-Verfahren, wie es auch für Animationsfilme benutzt wird, erfassten die Forscher die Bewegungen der Objekte und übertrugen sie auf den Computer. Damit lagen die Rohdaten vor, und der Rechner war am Zug. "Unsere Software baute jetzt ein physikalisches Modell so aus Formelteilen und Variablen zusammen, wie der Roboter damals sein Selbstmodell aus virtuellen Motoren und Gelenken bastelte", sagt Lipson.
Physik auf die harte Tour
Das Prinzip hinter der Suche nach der richtigen Formel entlehnten sie aus der Evolutionstheorie: Per Zufall erzeugt der Computer einen Satz an Formeln, bewertet deren Aussagekraft anhand der Rohdaten und verwirft dann die schlechtesten. Die besten Kandidaten "überleben" und kommen eine Runde weiter, werden leicht variiert und einer erneuten Prüfung unterzogen.
Solche evolutionären Algorithmen sind mittlerweile seit Jahrzehnten in der Informatik gang und gäbe, wo sie hauptsächlich für Optimierungsprobleme angewendet werden. Radikal neu ist Lipson und Schmidts Ansatz also nicht – auch bei der Ermittlung mathematischer Formeln oder einer automatisierten "Selbstprogrammierung" eines Computers kamen sie schon zum Einsatz. In der Regel arbeitete die entsprechende Software dann allerdings die richtigen Parameter einer vorgegebenen Funktion heraus. Lipson und Schmidt versuchten es dagegen auf die harte Tour: Ihr System begann bei Null, ausgerüstet allein mit den Bausteinen für die Formel selbst.
Wird er sich auch weiterhin so gut schlagen? Die Crux bei Lipsons Algorithmus und seinen Verwandten ist der Bewertungsschritt: Wie trifft man eine standardisierte Auswahl, welche die viel versprechenden Ansätze möglichst erhält und die unsinnigen verwirft. Zumal in der Frühphase der Berechnung, wenn vermutlich keine der zufällig erzeugten Formeln auch nur die Bits wert ist, aus denen sie besteht, gibt es keine pauschale Antwort auf diese Frage.
Ohne Physikbuch geht es leider doch nicht
Ein Problem, das auch die beiden Forscher sahen. Ihre Lösung bestand darin, von guten Formeln zu verlangen, auch die partiellen Ableitungen aus den Rohdaten zu errechnen, die, wie sie wussten, Geschwindigkeit und Beschleunigung der Massen repräsentieren. In den Bewertungsschritt eingebaut war außerdem das konkrete Ziel, in den Daten Invarianten zu entdecken – bestimmte Beziehungen also, die über die Zeit konstant blieben. So ausgestattet, konnte das Bewertungsprogramm davon abgehalten werden, massenhaft triviale Gleichungen zu bevorzugen.
Wenn die beiden Forscher in Zukunft ihr Verfahren auf schwer zu modellierende Ökosysteme anwenden, wie sie es geplant haben, stehen sie jedoch erneut vor demselben Problem. Vielleicht wären hier andere Hilfsdaten besser geeignet als bei den Pendeln. Wie es scheint, läuft auch bei Lipsons scheinbar universeller Formelfindungssoftware nichts ohne eine gehörige Portion Vorwissen über die zu erwartenden Resultate. Das wiederum steht der Idee entgegen, etwas wirklich Neues zu entdecken.
Ist man allerdings erst einmal bereit, nicht nur Rohdaten, sondern auch Wissen aus dem Physikbuch in den Algorithmus zu packen, verbessert sich seine Leistungsfähigkeit dramatisch: Statt 30 Stunden wie zuvor, fand das Programm schon nach sieben bis acht Stunden eine Lösung für das Doppelpendel, wenn ihm die Bewegungsgleichung für das simplere Einfachpendel als Ausgangsmaterial zur Verfügung stand.
Überhaupt: Arbeitslos wollen Lipson und Schmidt ihre Forscherkollegen ohnehin nicht machen. Auch der beste Robo-Wissenschaftler kann nicht erklären, was die einzelnen Terme seiner Gleichung eigentlich bedeuten sollen. Hat der Algorithmus die "richtigen" Aspekte berücksichtigt? Oder ist er am Ende nur zufälligen Regelmäßigkeiten aufgesessen. Und solange die leistungsfähigste Intelligenz auf diesem Planeten zwischen zwei Ohren sitzt, ist hier wohl wieder der Mensch gefragt.
Das war ein raffinierter – und preisgekrönter – Ansatz in der Robotik. Aber der Forscher von der Cornell University gab sich noch nicht zufrieden: Wenn der Roboter die Gesetzmäßigkeiten seiner eigenen Bewegungen lernte, würde er dann nicht auch die eines externen physikalischen Systems entdecken können? Zum Beispiel das Schwingen eines Pendels? Kann ein Computerprogramm – ohne eingebautes Wissen über Mechanik – herausfinden, nach welchen Gesetzen die schwingende Masse sich bewegt?
Neben dem einfachen Pendel wählten Lipson und sein Kollege Michael Schmidt zusätzlich noch das deutlich komplexere Doppelpendel, bei dem am Ende des einen Pendels ein weiteres befestigt wird, und einen so genannten gekoppelten harmonischen Oszillator – dargestellt mit durch Federn verbundenen Massen, die sich auf einer reibungsarmen Luftkissenfahrbahn bewegten. Alle drei Systeme tauchen typischerweise in Physikvorlesungen für Anfänger auf. Viel Neues gab es also nicht zu entdecken, aber es handelte sich ja auch eher um einen ersten Test.
Mit einem Motion-Capture-Verfahren, wie es auch für Animationsfilme benutzt wird, erfassten die Forscher die Bewegungen der Objekte und übertrugen sie auf den Computer. Damit lagen die Rohdaten vor, und der Rechner war am Zug. "Unsere Software baute jetzt ein physikalisches Modell so aus Formelteilen und Variablen zusammen, wie der Roboter damals sein Selbstmodell aus virtuellen Motoren und Gelenken bastelte", sagt Lipson.
Physik auf die harte Tour
Das Prinzip hinter der Suche nach der richtigen Formel entlehnten sie aus der Evolutionstheorie: Per Zufall erzeugt der Computer einen Satz an Formeln, bewertet deren Aussagekraft anhand der Rohdaten und verwirft dann die schlechtesten. Die besten Kandidaten "überleben" und kommen eine Runde weiter, werden leicht variiert und einer erneuten Prüfung unterzogen.
Solche evolutionären Algorithmen sind mittlerweile seit Jahrzehnten in der Informatik gang und gäbe, wo sie hauptsächlich für Optimierungsprobleme angewendet werden. Radikal neu ist Lipson und Schmidts Ansatz also nicht – auch bei der Ermittlung mathematischer Formeln oder einer automatisierten "Selbstprogrammierung" eines Computers kamen sie schon zum Einsatz. In der Regel arbeitete die entsprechende Software dann allerdings die richtigen Parameter einer vorgegebenen Funktion heraus. Lipson und Schmidt versuchten es dagegen auf die harte Tour: Ihr System begann bei Null, ausgerüstet allein mit den Bausteinen für die Formel selbst.
Nach wenigen Minuten beim einfachen Pendel und bis zu 30 Stunden beim komplexen Doppelpendel spuckte der Computer die Gleichungen aus, die er für die besten hielt. Und siehe da: Es waren die Lagrange- und Hamilton-Funktionen, die auch Physiker für die Beschreibung solcher Systeme verwenden. Den ersten Test hat Lipsons Robo-Wissenschaftler also mit Bravour bestanden.
Wird er sich auch weiterhin so gut schlagen? Die Crux bei Lipsons Algorithmus und seinen Verwandten ist der Bewertungsschritt: Wie trifft man eine standardisierte Auswahl, welche die viel versprechenden Ansätze möglichst erhält und die unsinnigen verwirft. Zumal in der Frühphase der Berechnung, wenn vermutlich keine der zufällig erzeugten Formeln auch nur die Bits wert ist, aus denen sie besteht, gibt es keine pauschale Antwort auf diese Frage.
Ohne Physikbuch geht es leider doch nicht
Ein Problem, das auch die beiden Forscher sahen. Ihre Lösung bestand darin, von guten Formeln zu verlangen, auch die partiellen Ableitungen aus den Rohdaten zu errechnen, die, wie sie wussten, Geschwindigkeit und Beschleunigung der Massen repräsentieren. In den Bewertungsschritt eingebaut war außerdem das konkrete Ziel, in den Daten Invarianten zu entdecken – bestimmte Beziehungen also, die über die Zeit konstant blieben. So ausgestattet, konnte das Bewertungsprogramm davon abgehalten werden, massenhaft triviale Gleichungen zu bevorzugen.
Wenn die beiden Forscher in Zukunft ihr Verfahren auf schwer zu modellierende Ökosysteme anwenden, wie sie es geplant haben, stehen sie jedoch erneut vor demselben Problem. Vielleicht wären hier andere Hilfsdaten besser geeignet als bei den Pendeln. Wie es scheint, läuft auch bei Lipsons scheinbar universeller Formelfindungssoftware nichts ohne eine gehörige Portion Vorwissen über die zu erwartenden Resultate. Das wiederum steht der Idee entgegen, etwas wirklich Neues zu entdecken.
Ist man allerdings erst einmal bereit, nicht nur Rohdaten, sondern auch Wissen aus dem Physikbuch in den Algorithmus zu packen, verbessert sich seine Leistungsfähigkeit dramatisch: Statt 30 Stunden wie zuvor, fand das Programm schon nach sieben bis acht Stunden eine Lösung für das Doppelpendel, wenn ihm die Bewegungsgleichung für das simplere Einfachpendel als Ausgangsmaterial zur Verfügung stand.
Überhaupt: Arbeitslos wollen Lipson und Schmidt ihre Forscherkollegen ohnehin nicht machen. Auch der beste Robo-Wissenschaftler kann nicht erklären, was die einzelnen Terme seiner Gleichung eigentlich bedeuten sollen. Hat der Algorithmus die "richtigen" Aspekte berücksichtigt? Oder ist er am Ende nur zufälligen Regelmäßigkeiten aufgesessen. Und solange die leistungsfähigste Intelligenz auf diesem Planeten zwischen zwei Ohren sitzt, ist hier wohl wieder der Mensch gefragt.
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