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Chronobiologie: Diese Frühaufsteher-Spinnen fürchten keinen Jetlag

Für drei Netzspinnen ist jeder Tag rund sechs Stunden kürzer als normal: Ihre innere Uhr tickt einfach chronisch zu schnell, und niemand weiß warum. Vielleicht haben sie Vorteile als extreme Frühaufsteher?
Eine schicke, krabbenförmige Spinne lauert im Netz: Gasteracantha arcuata

Drei Spinnenspezies sind neue Rekordhalter: Ihre inneren Uhren ticken viel schneller als die fast aller Verwandten. Das sorgt dann für einen drastischen Unterschied zwischen der allen Zellen vorgegebenen und der tatsächlichen Taglänge, berichtet ein Wissenschaftlerteam nun auf der Jahrestagung der Society for Neuroscience. Was aber uns Menschen einen täglichen massiven Jetlag bescheren würde, stecken diese Spinnen merkwürdigerweise völlig problemlos weg.

Gasteracantha cancriformis | Die innere Uhr dieser Spinne – der Spezies Gasteracantha cancriformis – tickt deutlich rascher als bei anderen Tieren. Vielleicht ist sie deshalb frühmorgens fitter als die Konkurrenz?

Das Team um Darrell Moore von der East Tennessee State University war stutzig geworden, nachdem die Forscher die Aktivitäten verschiedener Netzspinnen über einige Tage hinweg in völliger Dunkelheit mit Infrarotgeräten beobachtet hatten. Solche Experimente – die längst auch schon mit menschlichen Freiwilligen durchgeführt wurden – dienen dazu, den voreingestellten, nicht durch Außenreize wie den Tag-Nacht-Zyklus ständig nachjustierten Rhythmus der inneren Uhr zu dokumentieren. Wie sich zeigte, unterscheidet sich die Chronobiologie verschiedener Spinnen sehr stark: Drei der Testspezies gibt ihre Uhr einen nur gut 17 bis 19 Stunden langen Tag vor, andere dagegen leben ohne Licht offenbar in einem alle rund 28 Stunden sich wiederholenden Zyklus. Und eine chaotische Art schien im Dauerdunkel sogar überhaupt keinen geregelten Tagesablauf mehr einzuhalten.

Besonders die drei extrem kurz getakteten nahen Verwandten Allocyclosa bifurca, Cyclosa turbinata und Gasteracantha cancriformis erstaunten die Spinnenforscher durch ihre enorme Flexibilität: Sie stellten sich scheinbar problemlos innerhalb von 24 Stunden darauf ein, dass die Wissenschaftler künstliche Tageslichtlängen vorgaben und diese dann drastisch um bis zu sechs Stunden vor- und zurückverlegten. Andere derart traktierte Tiere und der Mensch brauchen meist rund eine Woche, bis sie Jetlag-Symptome überwunden und sich an die neue Ortszeit angepasst haben.

Warum sich manche, aber nicht alle Netzspinnen derart gut an veränderte Tageslichtzeiten anpassen können, ist auch den Forschern um Moore unklar. Auffällig ist, dass die Spinnen unter natürlichen Bedingungen tags völlig passiv im Netz lauern, um Feinde nicht auf sich aufmerksam zu machen: Bei Dunkelheit entfalten sie dagegen kurze, hektische Aktivitäten, bessern ihr Netz aus und bringen Beute ein. Viele Untersuchungen zur Chronobiologie von Mensch und Tier deuten darauf hin, dass ein verkürzter Rhythmus der inneren Uhr beim Menschen bei Frühaufstehern eher vorkommt – und insgesamt wohl auch bei Organismen unter eher hektischen, hohe Flexibilität fordernden Umweltbedingungen häufiger ist. Womöglich gelingt es auch den kurz getakteten Spinnen also verlässlicher, vor Sonnenaufgang notwendige Wartungsarbeiten am Netz durchzuführen, spekulieren die Spinnenforscher. Trotz intensiver Forschungsbemühungen seit Jahrzehnten – für die 2017 der Physiologie-Nobelpreis verliehen wurde – scheinen Chronobiologen die unbeantworteten Fragen aber so bald nicht auszugehen.

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