Direkt zum Inhalt

News: DNA: nur Strick- oder auch Leiter?

Wissenschaftlicher Disput soll zur Wahrheit führen. Doch zunächst erscheinen die vielen widersprüchlichen Ergebnisse aus unzähligen Versuchen eher verwirrend als erhellend. So verkünden einige Forscher, das biologische Riesenmolekül DNA könne elektrischen Strom leiten, andere wollen das mit ihren Experimenten widerlegt haben. Gleich vier Artikel zu dieser Streitfrage sind in den letzten Wochen erschienen. Eine ganz vorsichtige Zwischenbilanz könnte lauten: Zumindest im Vakuum oder über kurze Strecken ist die DNA tatsächlich ein elektrischer Leiter, auch wenn bislang niemand weiß, wie die Ladungen sich auf dem Strickleiter-ähnlichen Molekül fortbewegen.
Die erste Beobachtung, daß elektrischer Strom scheinbar durch DNA-Moleküle fließt, liegt rund vierzig Jahre zurück und entpuppte sich als Meßartefakt. In Wirklichkeit hatte der Strom den Weg durch Eispartikel neben der DNA genommen. Seit diesem Irrtum bemühen sich die Forscher, die Leitfähigkeit des Umgebungsmilieus herabzusetzen, in ihren Berechnungen wieder vom ermittelten Wert abzuziehen oder auf andere Weise zu berücksichtigen. Die dabei auftretenden Unsicherheiten bieten Kritikern vielerlei Ansatzpunkte, die Versuchsergebnisse zu bezweifeln.

In den meisten Experimenten geben die Wissenschaftler zu der DNA zwei verschiedene Chemikalien, die sich zwischen die Basenpaare des Biomoleküls lagern. Unmittelbar nach einem bestimmten Signal – zum Beispiel einem Lichtblitz – wandert ein Elektron von einer der beiden Substanzen zur anderen. Je nachdem, wie gut die DNA als elektrischer Leiter geeignet ist, verläuft dieser Transport schnell oder langsam.

Das Team um Jaqueline K. Barton vom California Institute of Technology (Caltech) arbeitet mit einer verfeinerten Methode. Wie in biologischen Zellen liegt die DNA bei ihren Tests als Doppelstrang vor: Zwei antiparallele Ketten, die aus alternierende Zucker- und Phosphatgruppen aufgebaut sind, werden über Wasserstoffbrückenbindungen zwischen verschiedenen organischen Basen, die an den Zuckerbausteinen hängen, zusammengehalten. Dabei passen nur die Basen Guanin (G) und Cytosin (C) sowie Adenin (A) und Thymin (T) jeweils zueinander. Die DNA sieht insgesamt wie eine gedrehte Strickleiter aus – die Zucker-Phosphatketten repräsentieren die senkrechten Seile und die Basenpaare stellen die Sprossen dar. Dabei kommt es zwischen den "Seilen" zu einem regelrechten Stapel von Basenpaaren.

Die Caltech-Wissenschaftler verankerten die DNA-"Strickleitern" mit einem Ende auf einer Goldoberfläche, so daß die Makromoleküle annähernd aufrecht standen. Das Gold markierte die eine Grenze der elektrischen "Teststrecke". Als Gegenpart fungierte die Substanz Daunomycin, die sich zwischen die Basenpaare legt und ausschließlich mit Guanin eine feste Bindung eingeht. Barton und ihre Kollegen synthetisierten deshalb DNA-Moleküle, die nur eine einzige Guaninbase enthielten, und legten damit die Länge des Ladungstransportes fest (Angewandte Chemie, International Edition vom April 1999).

Unabhängig davon, an welcher Stelle der insgesamt 15 Basenpaare langen DNA das Daunomycin sich befand, wanderten Elektronen in den Experimenten sehr schnell von der Goldoberfläche zur Chemikalie. War die Stapelung der Basen durch ein nicht zueinander passendes Paar gestört – zum Beispiel Cytosin und Adenin –, verlief der Ladungstransport dagegen deutlich langsamer. Daraus schließen die Forscher um Barton, daß die Elektronen über die Basenstapel wandern. Wenn dem so ist, schlagen sie vor, könnten Mutationen in der DNA sehr schnell durch eine Messung des Leitwertes erkannt werden.

Anthony Harriman von der Université Louis Pasteur glaubt dagegen, DNA könne elektrischen Strom nur über sehr kurze Distanzen von höchsten fünf Basenpaaren leiten (Angewandte Chemie, International Edition vom April 1999). Er benutzte zwei Chemikalien und maß den Elektronentransport indirekt über die Fluoreszenz der einen Substanz. Nach seinen Ergebnissen tunneln die Elektronen sehr rasch über drei, vier oder fünf Basenpaare, wobei die Geschwindigkeit mit der zu überwindenden Distanz zunimmt. Für die Vermessung größerer Entfernungen ist die Fluoreszenzmethode nicht geeignet.

Trotzdem meint der Wissenschaftler, daß die DNA nur als Kurzstreckenleiter geeignet ist. Für Ladungstransport über größere Distanzen ist seiner Meinung nach die Verbindung der gestapelten Basenpaare nicht ausgeprägt genug.

Dieser Ansicht stehen die Resultate von Hans-Werner Fink und Christian Schönenberger von der Universität Basel entgegen (Nature vom 1. April 1999). Die beiden Forscher untersuchten mit zwei metallischen Elektroden direkt den Stromfluß durch die DNA. Ihre Probe waren ganze Bündel mehrerer DNA-Stränge, die über ein Loch in einer goldbeschichteten Metallplatte gezogen waren. Die Länge der DNA-"Seile" betrug dabei mindestens 600 Nanometer, manche waren sogar so lang wie ein Bakterium.

In einem Low-Energy Electron Point Source-Mikroskop beschossen die Wissenschaftler die DNA mit Elektronen, ohne daß das Molekül dabei ionisiert wurde. Je nach Ladungszustand der DNA-Stränge wurden die Elektronen unterschiedlich abgelenkt, was sich mit einem Detektor aufzeichnen ließ. Mit einer Manipulatorspitze zerrissen Fink und Schönenberger die DNA-"Seile" und legten eine Spannung zwischen der goldenen Platte und dem Manipulator an. Das Problem eines eventuell leitenden Umgebungsmediums entfällt bei diesem Verfahren, da die Probe sich in einem Vakuum befindet.

Aus mehreren Strom-Spannungs-Diagrammen berechneten die Forscher einen spezifischen Widerstand der DNA von ungefähr einem Milliohm mal Zentimeter. Das ist vergleichbar mit den Werten elektrisch leitfähiger Polymere oder guten metallischen Halbleitern. Dabei ist denkbar, daß die Elektronen innerhalb der DNA-"Seile" sogar noch besser wandern, denn niemand weiß, wie groß der Widerstand an den DNA-Metall-Übergängen eigentlich ist.

Eine Arbeitsgruppe um Bernd Giese von der Universität Basel und Maria E. Michel-Beyerle von der Technischen Universität München schlägt ein Modell vor, wie die Elektronen sich über längere DNA-Stücke fortbewegen. Danach wandern die Elektronen sprungweise vorwärts, indem sie zwischen Thymin- und Cytosinbasen tunneln. Positive Ladungen vermögen dagegen nur von einer Guaninbase zur nächsten zu tunneln (Angewandte Chemie, International Edition vom April 1999).

Die Hypothese erklärt zum einen die Langstreckenleitung mittels einer Folge kurzer Transporte. Außerdem hebt es die Bedeutung der Positionen von Guaninbasen hervor. Sollen auch positive Ladungen wandern, darf der Abstand zwischen den Guanin-Cytosin-Paaren nicht zu groß sein.

Die Leitung des elektrischen Stroms durch DNA ist also nicht ganz geklärt. Und es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis der Traum einiger Wissenschaftler in Erfüllung geht: elektronische Systeme mit Leitungen aus DNA-Molekülen auszustatten.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.