Naturkatastrophen: Dreifaltigkeit des Schreckens
Haiti ist ein geplagtes Land: Wirbelstürme, Erdbeben und Seuchen verwüsten die verarmte Nation regelmäßig. Und die Unglücke verschärfen einander womöglich.
Vor einem knappen Jahr, am 12. Januar 2010, suchte eine der schwersten Naturkatastrophen der letzten Jahrhunderte Haiti heim: Mindestens 200 000 Menschen starben unter einstürzenden Bauten oder ertranken in Tsunamis, als ein Beben der Stärke 7 den Karibikstaat erschütterte. Die bald aus der ganzen Welt herbeigeeilten Hilfskräfte zählten mindestens 300 000 Verletzte und mehr als zwei Millionen Obdachlose – das Epizentrum lag in unmittelbarer Nähe der dicht besiedelten haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince. Bis heute müssen die meisten Überlebenden unter miserablen hygienischen Bedingungen in Notunterkünften hausen, denn der Wiederaufbau geht nur schleppend voran.
Die fatale Kombination aus Hurrikanen, Entwaldung und Erosion könnte auch die Ursache dafür gewesen sein, dass sich das Beben an der zuvor unbekannten Léogâne-Störung gelöst hat, vermuten der Geologe Shimon Wdowinski von der University of Miami und seine Kollegen. Die in relativ kurzer Zeit aufgetürmte zusätzliche Last auf der tektonischen Schwachstelle habe schließlich zum fatalen Bruch des Gesteins geführt, so die Forscher.
Fay, Gustav, Hann und Ike – vier apokalyptische Reiter
Demnach bahnte sich die Katastrophe bereits 2008 an, als kurz hintereinander die Stürme Fay, Gustav, Hanna und Ike ihre Bahnen über Haiti zogen und heftigen Dauerregen über dem Land ausschütteten. Besonders betroffen waren die Berge im Einzugsbereich des Léogâne-Flusses südwestlich von Port-au-Prince, die nach jahrhundertelangem Raubbau fast völlig entwaldet sind: Bäume bedecken nur noch maximal zwei Prozent des einst von dichter Vegetation überzogenen Gebiets. Die Folge: Seit 1975 hatte sich deswegen die durchschnittliche Erosionsrate bereits auf sechs Millimeter pro Jahr versechsfacht, und nun schwemmten die Sturzfluten von Fay und Co auf einen Schlag riesige Mengen an Sediment in den Mündungsbereich des Flusses.
Gleichzeitig entspannte sich das Gestein in der Bergregion, so dass sich dieser Plattenteil nun insgesamt leichter bewegen konnte – bis es am 12. Januar knallte und die aufgestaute Energie auf einen Schlag freigesetzt wurde. Die Art des Bebens war jedoch völlig untypisch für Haiti: Normalerweise verhaken sich an den zahlreichen Bruchlinien im Westen Hispaniolas Erdplatten, die sich horizontal gegeneinander verschieben. An der Léogâne-Störung schnellte der südliche Abschnitt des Bruchstücks jedoch zuerst senkrecht nach oben, obwohl sich die Platten hier eigentlich ebenfalls horizontal bewegen. Nahezu zeitgleich verschob sich das nördliche Teilstück in die Gegenrichtung, so dass große Gesteinspakete mit Wucht gegeneinandergerieben wurden, ohne dass die Oberfläche aufbrach. Diese Bewegungen liefern Wdowinski ein weiteres Argument dafür, dass die starke Erosion mit entsprechender Ablagerung andernorts ein maßgeblicher Auslöser der Katastrophe war.
Wenn Wasser auf den Untergrund drückt
Forschungsarbeiten von Geologen um Chi-Ching Liu von der Academica Sinica in Taipeh bestätigen zudem einen potenziellen Einfluss von Wirbelstürmen auf Erdbeben – auf ihrer Heimatinsel Taiwan, die nicht nur an der sehr aktiven Grenze zwischen der großen Eurasiatischen und der kleinen Philippinischen Platte, sondern auch mitten in der Zugbahn vieler pazifischer Taifune liegt. So sehr Taiwan von den regenreichen Wirbelstürmen überzogen wird: Richtig heftige Erdbeben, wie sie hier angesichts des kraftvollen Aufeinandertreffens zweier rasch gegeneinanderdrängender Platten zu erwarten wären, fehlen jedoch.
Auf Veränderungen in der Massenbilanz führen auch Serge Guillas vom University College London und sein Team regelmäßige Zunahmen der Erdbebentätigkeit im Ostpazifik zurück. Immer wenn El Niño zusätzliche Wassermassen gegen die Küste Südamerikas drückte, nahm die Seebebentätigkeit in der Region zu: Das zusätzliche Gewicht presst mehr Wasser in den Seeboden, wo es als Gleitmittel die Gesteinsbewegung erleichtert. Und ein ähnlicher Effekt könnte das Erdbebendesaster in der chinesischen Provinz Sichuan im Jahr 2008 mitausgelöst haben: Geologen um Fan Xiao vom Sichuan Geology and Mineral Bureau in Chengdu halten es für sehr plausibel, dass die seit 2004 aufgestauten Wassermassen des Zipingpu-Stausees der entscheidende Faktor waren, die das Gestein im Untergrund letztlich brechen ließen. Immerhin drückten mehr als 300 Millionen Tonnen Wasser zusätzlich auf die Verwerfungslinien in der Erdkruste: Sie pressten die Ränder der Bruchstücke noch stärker zusammen und erhöhten die Reibung – bis der Fels barst.
Mit Haiti traf das Erdbeben nicht nur den ärmsten Staat der Neuen Welt, sondern auch ein Land, das ohnehin von Naturkatastrophen geplagt ist: Regelmäßig ziehen Wirbelstürme über die Insel Hispaniola hinweg, die sich die Dominikanische Republik und Haiti teilen. Die begleitenden ergiebigen Niederschläge lösen oft riesige Erdrutsche aus und spülen die letzten Reste des fruchtbaren Bodens aus den kahlgeschlagenen Bergen ins Meer: Holzkohle ist meist die einzige Energiequelle der Bevölkerung, ihre Gewinnung sorgt jedoch ebenso für ein ökologisches Desaster.
Die fatale Kombination aus Hurrikanen, Entwaldung und Erosion könnte auch die Ursache dafür gewesen sein, dass sich das Beben an der zuvor unbekannten Léogâne-Störung gelöst hat, vermuten der Geologe Shimon Wdowinski von der University of Miami und seine Kollegen. Die in relativ kurzer Zeit aufgetürmte zusätzliche Last auf der tektonischen Schwachstelle habe schließlich zum fatalen Bruch des Gesteins geführt, so die Forscher.
Fay, Gustav, Hann und Ike – vier apokalyptische Reiter
Demnach bahnte sich die Katastrophe bereits 2008 an, als kurz hintereinander die Stürme Fay, Gustav, Hanna und Ike ihre Bahnen über Haiti zogen und heftigen Dauerregen über dem Land ausschütteten. Besonders betroffen waren die Berge im Einzugsbereich des Léogâne-Flusses südwestlich von Port-au-Prince, die nach jahrhundertelangem Raubbau fast völlig entwaldet sind: Bäume bedecken nur noch maximal zwei Prozent des einst von dichter Vegetation überzogenen Gebiets. Die Folge: Seit 1975 hatte sich deswegen die durchschnittliche Erosionsrate bereits auf sechs Millimeter pro Jahr versechsfacht, und nun schwemmten die Sturzfluten von Fay und Co auf einen Schlag riesige Mengen an Sediment in den Mündungsbereich des Flusses.
Dort hatte sich in den letzten Jahrzehnten in unmittelbarer Nähe des späteren Epizentrums das Delta des Léogâne rapide vergrößert, und das Gewicht des abgelagerten Erdmaterials drückte zunehmend auf die Störungslinie im Untergrund. Nach den Berechnungen von Wdowinskis Team reichte die veränderte Massenbilanz in der Region aus, um das schwere Erdbeben auszulösen: Während sich das Gewicht des Gebirgszugs auf dem Festland durch den Abtrag verringerte, lastete nun eine größere Masse auf der Erdkruste im Meer. Sie blockierte das nördliche Ende der Léogâne-Störung und damit die Bewegung der lokalen Krustenbruchstücke: Spannungen bauten sich verstärkt auf.
Gleichzeitig entspannte sich das Gestein in der Bergregion, so dass sich dieser Plattenteil nun insgesamt leichter bewegen konnte – bis es am 12. Januar knallte und die aufgestaute Energie auf einen Schlag freigesetzt wurde. Die Art des Bebens war jedoch völlig untypisch für Haiti: Normalerweise verhaken sich an den zahlreichen Bruchlinien im Westen Hispaniolas Erdplatten, die sich horizontal gegeneinander verschieben. An der Léogâne-Störung schnellte der südliche Abschnitt des Bruchstücks jedoch zuerst senkrecht nach oben, obwohl sich die Platten hier eigentlich ebenfalls horizontal bewegen. Nahezu zeitgleich verschob sich das nördliche Teilstück in die Gegenrichtung, so dass große Gesteinspakete mit Wucht gegeneinandergerieben wurden, ohne dass die Oberfläche aufbrach. Diese Bewegungen liefern Wdowinski ein weiteres Argument dafür, dass die starke Erosion mit entsprechender Ablagerung andernorts ein maßgeblicher Auslöser der Katastrophe war.
Wenn Wasser auf den Untergrund drückt
Forschungsarbeiten von Geologen um Chi-Ching Liu von der Academica Sinica in Taipeh bestätigen zudem einen potenziellen Einfluss von Wirbelstürmen auf Erdbeben – auf ihrer Heimatinsel Taiwan, die nicht nur an der sehr aktiven Grenze zwischen der großen Eurasiatischen und der kleinen Philippinischen Platte, sondern auch mitten in der Zugbahn vieler pazifischer Taifune liegt. So sehr Taiwan von den regenreichen Wirbelstürmen überzogen wird: Richtig heftige Erdbeben, wie sie hier angesichts des kraftvollen Aufeinandertreffens zweier rasch gegeneinanderdrängender Platten zu erwarten wären, fehlen jedoch.
Stattdessen bauen immer wieder so genannte stille Beben einen großen Teil der aufgestauten Spannung ab – unter Mithilfe der Taifune: Ihr extrem tiefer Luftdruck "verringert" regelmäßig das Gewicht des Festlands und entlastet damit den Untergrund. Die heftigen Niederschläge wirken zudem als Gleitmittel und fördern damit ebenfalls die Bebentätigkeit. Wdowinski verweist deshalb auch auf verschiedene Erschütterungen auf Taiwan, die nach der Wirbelsturmsaison auftraten. Die Berge der Insel sind jedoch noch weit gehend bewaldet, Erosion verschärft die Situation also nicht.
Auf Veränderungen in der Massenbilanz führen auch Serge Guillas vom University College London und sein Team regelmäßige Zunahmen der Erdbebentätigkeit im Ostpazifik zurück. Immer wenn El Niño zusätzliche Wassermassen gegen die Küste Südamerikas drückte, nahm die Seebebentätigkeit in der Region zu: Das zusätzliche Gewicht presst mehr Wasser in den Seeboden, wo es als Gleitmittel die Gesteinsbewegung erleichtert. Und ein ähnlicher Effekt könnte das Erdbebendesaster in der chinesischen Provinz Sichuan im Jahr 2008 mitausgelöst haben: Geologen um Fan Xiao vom Sichuan Geology and Mineral Bureau in Chengdu halten es für sehr plausibel, dass die seit 2004 aufgestauten Wassermassen des Zipingpu-Stausees der entscheidende Faktor waren, die das Gestein im Untergrund letztlich brechen ließen. Immerhin drückten mehr als 300 Millionen Tonnen Wasser zusätzlich auf die Verwerfungslinien in der Erdkruste: Sie pressten die Ränder der Bruchstücke noch stärker zusammen und erhöhten die Reibung – bis der Fels barst.
Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings leider nicht, dass mit dem Rückbau von Staudämmen oder durch reduzierte Erosion Erdbeben generell verhindert werden könnten: Tektonische Gewalten bauen diese Zerreißkräfte auf. Verlagerte Erd- oder aufgestaute Wassermassen könnten sie jedoch verstärken. Auf Haiti verschlimmerte die Erosion jedenfalls noch die humanitäre Katastrophe: Ausgelöst von den Erschütterungen rutschten abgeholzte Hänge ins Meer, die dort Flutwellen auslösten – und weitere Menschenleben forderten.
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