News: Ein Gesicht in der Menge
Um diese entscheidende Frage zu klären, trainierten sie Schafe darauf, eins von zwei Gesichtern am Ende eines Y-förmigen Weges auszuwählen (Neuropsychologia vom April 2000). Zuerst mussten die Tiere sich zwischen zwei Schafen aus ihrer Herde und dann zwischen zwei unbekannten Artgenossen entscheiden. Wenn ihnen der gesamte Kopf gezeigt wurde, wählten die Versuchstiere immer das richtige Gesicht. Aber wenn die Forscher aussagekräftige Merkmale wie Ohren und Hörner abdeckten, bekamen die Schafe Schwierigkeiten: Sie konnten nur noch gute Bekannte ausmachen.
"Sie können ihre Freunde wirklich gut erkennen", begeistert sich Peirce über die Leistung der Tiere, die offensichtlich lange Zeit unterschätzt wurde. Durch Übung lernen sie, so geringe gesichtsspezifische Merkmale zu unterscheiden, wie etwa den Abstand zwischen den Augen.
Überraschend war auch die Entdeckung, dass die Tiere offenbar wie der Mensch auch ihre rechte Gehirnhälfte verwenden, um Gesichter wiederzuerkennen – was bisher nur bei Primaten entdeckt wurde. Das ist wie Öl ins Feuer einer ohnehin schon hitzigen Debatte über die Frage, wie die Asymmetrie unseres Gehirns entstand. Einige Wissenschaftler vertreten die Ansicht, dass sich die Zentren für Sprache und Links- oder Rechtshändigkeit zuerst entstanden und zwar in der linken Hemisphäre, was die Erkennung von Gesichtern auf die rechte Seite verdrängte.
Aber Peirce, dessen Schafe natürlich nicht Lesen und Schreiben können und auch keine Bevorzugung eines bestimmten Hufs erkennen lassen, glaubt vielmehr, dass sich das Zentrum für die Gesichtserkennung zuerst bildete. "Wir mussten erst mit sozialen Interaktionen, dann mit irgendwelchen Werkzeugen umgehen", erklärt er. Der Psychologe Michael Corballis stimmt mit ihm überein: "Rechts-hemisphärische Spezialisierung scheint im evolutionären Sinne ursprünglicher zu sein".
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 15.3.2000
"Sind Krähen Rechtshänder?"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 11.5.1998
"Linkshänder sind anders"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum der Wissenschaft 3/97, Seite 25
"Wie wir uns Gesichter merken und an sie erinnern"
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich)
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