Direkt zum Inhalt

News: Ein Gesicht in der Menge

Schafe sehen doch alle gleich aus - zumindest für uns. Aber offenbar können die Tiere Artgenossen anhand von Gesichtsmerkmalen eindeutig auseinander halten. Und sie verwenden ebenso wie wir Menschen ihre rechte Gehirnhälfte, um Freunde, Verwandte, geliebte und ungeliebte Mitschafe in der Herde auszumachen. Damit wirft der Wolllieferant einige Fragen über die Entwicklung der Asymmetrie unseres Gehirns auf.
Jon Peirce und seine Kollegen vom Babraham Institute in Cambridge wussten, dass Schafe ihre Artgenossen anhand von äußerlichen Merkmalen wie Hörnern erkennen. Was sie aber besonders interessierte war, ob die Tiere auch bekannte Gesichter, sozusagen Freunde und Kollegen, aus der Herde ausmachen können.

Um diese entscheidende Frage zu klären, trainierten sie Schafe darauf, eins von zwei Gesichtern am Ende eines Y-förmigen Weges auszuwählen (Neuropsychologia vom April 2000). Zuerst mussten die Tiere sich zwischen zwei Schafen aus ihrer Herde und dann zwischen zwei unbekannten Artgenossen entscheiden. Wenn ihnen der gesamte Kopf gezeigt wurde, wählten die Versuchstiere immer das richtige Gesicht. Aber wenn die Forscher aussagekräftige Merkmale wie Ohren und Hörner abdeckten, bekamen die Schafe Schwierigkeiten: Sie konnten nur noch gute Bekannte ausmachen.

"Sie können ihre Freunde wirklich gut erkennen", begeistert sich Peirce über die Leistung der Tiere, die offensichtlich lange Zeit unterschätzt wurde. Durch Übung lernen sie, so geringe gesichtsspezifische Merkmale zu unterscheiden, wie etwa den Abstand zwischen den Augen.

Überraschend war auch die Entdeckung, dass die Tiere offenbar wie der Mensch auch ihre rechte Gehirnhälfte verwenden, um Gesichter wiederzuerkennen – was bisher nur bei Primaten entdeckt wurde. Das ist wie Öl ins Feuer einer ohnehin schon hitzigen Debatte über die Frage, wie die Asymmetrie unseres Gehirns entstand. Einige Wissenschaftler vertreten die Ansicht, dass sich die Zentren für Sprache und Links- oder Rechtshändigkeit zuerst entstanden und zwar in der linken Hemisphäre, was die Erkennung von Gesichtern auf die rechte Seite verdrängte.

Aber Peirce, dessen Schafe natürlich nicht Lesen und Schreiben können und auch keine Bevorzugung eines bestimmten Hufs erkennen lassen, glaubt vielmehr, dass sich das Zentrum für die Gesichtserkennung zuerst bildete. "Wir mussten erst mit sozialen Interaktionen, dann mit irgendwelchen Werkzeugen umgehen", erklärt er. Der Psychologe Michael Corballis stimmt mit ihm überein: "Rechts-hemisphärische Spezialisierung scheint im evolutionären Sinne ursprünglicher zu sein".

Siehe auch

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.