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News: Ein mächtiger Schrei nach Futter

Wie bringt ein einzelnes Kuckucksküken - der Schwindler im Nest - seine Pflegeeltern dazu, ihn mit so viel Nahrung zu versorgen, wie sie normalerweise für die gesamte Brut ihrer eigenen Küken herbeischaffen? Wie schafft er es, daß sie ihn überhaupt füttern? Diese Fragen beschäftigen Ornithologen, seit der Brutparasitismus des Kuckucks bekannt ist. Die Antwort erscheint recht simpel: Das Parasitenküken muß nur laut genug nach Futter schreien.
In Nature vom 25. Februar 1999 beschreiben R.M. Kilner und seine Kollegen von der University of Cambridge wie das Kuckucksküken sein Ziel erreicht. Sie entdeckten, daß der Parasit das Verhalten des eigentlichen Nachwuchses eines Rohrsängerpaares nicht einmal sonderlich gut nachahmt, sondern einfach direkt Signale abgibt, die laut und deutlich "fütter mich!" bedeuten.

Sobald die Jungvögel ihre Schnäbel weit aufreißen und einen grellbunten Schlund darbieten, machen sie es nicht nur ihren Eltern leichter, sie zu füttern. Sie geben auch ein wichtiges Signal an diese weiter und lassen sie wissen, wie viele Küken auf Futter warten. Zwischen den Fütterungszeiten verstärken die Küken die Botschaft mit einem eindeutigen sich wiederholenden Bettelruf.

Elternvögel reagieren auf diese Signale, indem sie genügend Futter für die ganze Brut herbeischaffen. Es ist jedoch noch nicht ganz klar, wie die beiden Signale zusammenwirken, um genau die richtige Menge an elterlicher Aktivität zu erzeugen. Ist ein Signal wichtiger als das andere? Oder ergänzen sich beide Signale, so daß ein kleinerer Schnabel möglicherweise durch größeres Geschrei ausgeglichen werden kann?

Der gewöhnliche Kuckuck ist ein Parasit. Das Kuckucksweibchen legt ein einziges Ei in das Nest einer anderen Vogelspezies, z.B. eines Rohrsänger (Acrocephalus scirpaceus), eines kleinen Sumpfvogel, der nur einen Bruchteil der Größe eines Kuckucks aufweist. Nachdem der Kuckuck geschlüpft ist, schubst er alle anderen Eier und Küken aus dem Nest, damit er soviel Nahrung bekommt, wie die Eltern herbeischaffen können.

Den Eltern der Rohrsänger scheint es eindeutig an elterlicher Verantwortung zu mangeln, denn sie bemerken nicht, daß ihr Nachwuchs verschwunden ist, sondern füttern den Eindringling eifrig weiter. Deshalb fragten sich die Forscher um Kilner, wie ein einziger Kuckucksnestling mit nur einem Schlund und einer Stimme es schafft, seine Pflegeeltern davon zu überzeugen, ihn mit soviel Nahrung zu versorgen, wie für vier ihrer eigenen Nestlinge ausgereicht hätte.

Zuerst mußten die Wissenschaftler herausfinden, wie Rohrsänger auf die Forderung ihrer eigenen Küken nach Futter reagieren. Diese Informationen erhielten sie aus einer kombinierten Feld- und Laborstudie an Vögeln, die ihre eigenen Jungen in Wicken Fen in Cambridgeshire aufzogen. Sie wollten herausfinden, ob der zur Schau gestellte Schlundbereich und die Rate der Bettelrufe den Elternvögel eindeutige Informationen vermitteln und ob ein Signal wichtiger ist als das andere.

Die Forscher nahmen kleine Gruppen von Rohrsängerküken in unterschiedlichen Altersstufen vorübergehend aus dem Nest, fütterten sie und zeichneten dann die anschließende Zurschaustellung ihres aufgerissenen Schlundes auf sowie die Rate der Bettelrufe, als ihr Hunger zunahm. Sie fanden heraus, daß sowohl stimmliche als auch visuelle Signale "multiple Botschaften" übertrugen, die das Alter der Nestlinge sowie ihren Bedarf an Futter widerspiegelten.

Um festzustellen, ob Vogeleltern unterschiedlich auf visuelle und stimmliche Signale reagieren, befestigten die Forscher kleine Lautsprecher an zwei Rohrsängernestern, in denen zwei bzw. vier Küken lebten. Dann spielten sie die Aufnahmen von "zusätzlichen" Nestlingrufen ab. Ohne die Tonbandeinspielung brachten die Eltern mit vier Küken fast doppelt so viel Futter ans Nest wie die Eltern mit zwei Küken. Als jedoch ein zusätzlicher Kükenruf oder gar vier weitere Rufe vor jedem Nest abgespielt wurden, erhöhten beide Elternpaare ihre Futterrationen, um die "Extra"-Küken zu füttern.

Aufgrund der Daten glauben Kilner und seine Kollegen, daß der gesamte dargebotene Schlundbereich – das visuelle Signal – den Eltern eine grobe Vorstellung darüber vermittelt, wie viele Küken und in welchem Alter sie zu füttern haben. Das stimmliche Signal scheint genauere Informationen über den Hunger der Küken zu liefern. Nachdem sie festgestellt hatten, daß Rohrsänger Informationen aus beiden Signaltypen kombinierten, um abzuschätzen, wieviel Futter erforderlich ist, beschäftigten sich die Forscher intensiver mit dem Kuckuck.

Rohrsängereltern füttern den einzelnen Kuckuck genau mit demselben Futter und derselben Rate, wie sie ihre eigenen vier Küken füttern würden. Es ist nicht die Größe des Kuckuckskükens, die sie dazu veranlaßt, fanden die Forscher heraus. Als sie ein einzelnes Singdrossel- oder Amselküken in ein Rohrsängernest setzten, brachten die Pflegeeltern viel weniger Futter. Und es kann auch nicht der größere Schlund des Kuckucks sein, denn der ist weniger deutlich sichtbar als die leuchtend hellen Schlünde der Rohrsängerküken und außerdem erheblich kleiner als der gesamte sichtbare Schlundbereich von vier Rohrsängerküken zusammen.

Das Geheimnis liegt im Bettelruf des Kuckuckskükens. Sechs bis acht Tage nach dem Ausschlüpfen ähnelt die Ruferate sehr stark der von Rohrsängerküken. Sobald der Kuckuck jedoch wächst, wird sein Bettelruf immer schneller, und schließlich ruft er sogar häufiger als vier Rohrsängernestlinge zusammen. Das reicht aus, um das schwache Schlundsignal auszugleichen.

Indem der Kuckuck also die Regeln der Rohrsänger nutzt, mit denen die Altvögel herauszufinden, wieviel Futter ihre Küken brauchen, schafft er es, wie im Schlaraffenland zu leben. Er muß gar nicht wie ein Rohrsänger aussehen oder wie ein Rohrsänger singen, er braucht nur den Regeln entsprechend zu schreien.

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