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News: Ein Puppenlabor

Die Puppen des Käfers Epilachna borealis sind nackt, unbeweglich und auffällig gefärbt. Sie wären somit das ideale Opfer für Raubtiere, hätten sie nicht vor langer Zeit eine Fähigkeit perfektioniert, die als kombinatorische Chemie bezeichnet wird. Der einfache Aufbau und die Vielfalt, der von ihnen benutzten Abwehrstoffe, versetzt die Wissenschaftler in Erstaunen.
Es dauert nur wenige Tage bis aus den Puppen der Marienkäferart Epilachna borealis die nächste Generation schlüpft – und damit Plagegeister der Landwirtschaft. Doch in dieser Zeit sind sie mehr als ungeschützt. "Wie diese Viecher überleben, war bisher ein echtes Rätsel", sagt Thomas Eisner, Ökologieprofessor an der Cornell University. "Sie leuchten gelb auf einem Hintergrund grüner Blätter, sie haben keinerlei mechanische Verteidigungsmöglichkeiten, und sie sind allem, was vorbei kommt, gnadenlos ausgeliefert – besonders den aggressiven Ameisen." Wie Eisner erläutert, verteidigen sich die Puppen einiger Käferarten mittels an Mundwerkzeuge erinnernde Apparate auf ihrem Bauch. Indem sie mit ihrem Bauch wackeln, gelingt es den Puppen meist, die Beine oder Fühler der angreifenden Insekten zu zwicken. Mit dieser Methode überleben sie, bis sie erwachsen sind. Doch E. borealis verfügt nicht über derartige mechanische Verteidigungsmöglichkeiten, und so nahm Eisner die Puppen genauer unter die Lupe. Durch das Mikroskop betrachtet, erkennt man feine Körperhaare, an deren Ende Chemikalientröpfchen glitzern. Frank C. Schröder von der Fakultät für Chemie und Biochemie an der Cornell University führte eine Reihe analytischer Untersuchungen durch, die ungeahnt komplexe Verteidigungsmechanismen enthüllten.

Die Puppen von Epilachna borealis kombinieren auf verschiedene Art drei einfache Moleküle zu einem wahren Arsenal an komplexen chemischen Verbindungen, die ihrer Verteidigung dienen. Die gebildeten Chemikalien scheidet die Käferpuppe dann durch ihre mikroskopisch kleinen Körperhaare aus. So kann sie fast allen freßlustigen Angreifern ein Schnippchen schlagen (Science, Ausgabe vom 17. Juli 1998).

"Die industrielle Chemie hat in den letzten fünf Jahren gerade erst begonnen, die kombinatorische Chemie zu praktizieren. Wissenschaftler erzeugen eine hohe Anzahl von Varianten eines einzigen architektonischen Grundschemas. Sie testen im Anschluß daran sehr schnell eine Reihe von Verbindungen auf deren pharmazeutische Aktivität und nutzen dazu Untersuchungsmethoden mit hohem Durchsatz", erklärt Jerrold Meinwald, Professor für Chemie an der Cornell University. "Genau dasselbe macht auch diese Käferpuppe: Sie erzeugt hunderte Abschreckungsmittel aus nur drei einfachen Grundstoffen. Dann läßt der Käfer den Labortest einfach ausfallen und geht gleich zum Feldversuch über, bei dem ... der letzte große Test das eigene Überleben darstellt."

Eine der Chemikalien, die Epilachna borealis erzeugt, ist eine einem Halsband ähnliche Struktur aus 280 Atomen, die einen einzigen großen Ring bilden. Alleine diese Substanz schon ermöglicht es der Käferpuppe, relativ ungestört zu leben. Zum Beispiel werden hungrige Ameisen schnell davon abgestoßen, wenn sie mit diesem Stoff aus den Puppen in Berührung kommen. Ihnen vergeht sozusagen sofort der Appetit und sie reinigen mittels spezieller Bürsten an ihren Vorderbeinen die Fühler hastig von den üblen Substanzen.

"Eine der aufregendsten Eigenschaften der zur Abwehr dienenden Chemikalien ist die unglaubliche Vielfalt an Ringen", bemerkt Schröder. Normalerweise haben zyklische Naturprodukte häufig Ringe, die aus fünf, sechs oder vielleicht sieben Atomen bestehen. Verbindungen mit Ringen aus 30 oder 40 Atomen kann man bereits als sehr selten bezeichnen. Die Entdeckung einer ganzen Bibliothek von neuartigen Verbindungen mit Ringgrößen von ca. 30 bis zu weit über 200 Atomen kam für uns natürlich völlig unerwartet." Dennoch verwenden die Käferpuppen zur Herstellung dieser ungewöhnlichen Verbindungen sehr einfache Grundbausteine: Drei unterschiedliche kleine Baublöcke, die mit herkömmlichen Fettsäuren verwandt sind, dienen dem Bau der Ringe. Viele unterschiedliche Kombinationen der Elemente erzeugen dann eine höchst komplexe Mischung, eine ganze Bibliothek großer Ringe.

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