News: Ein spiegelbildlicher Signalstoff
Zu den für Lebewesen wichtigsten chiralen Verbindungen gehören Aminosäuren, an deren zentralem Kohlenstoffatom sich eine Amino- und eine Carbonsäuregruppe befinden, ein Wasserstoffatom sowie ein Rest, von dem abhängt, um welche Aminosäure es sich genau handelt. Je nach Anordnung der Liganden liegt eine L- oder eine D-Aminosäure vor. Allerdings nutzen nur wenige Organismen – hauptsächlich Bakterien – die D-Form in ihren Molekülen. Von den höheren Tieren und vor allem den Säugetieren wurde bislang angenommen, daß sie ausschließlich L-Aminosäuren in ihren Zellen haben.
Das vermeindlich sichere Wissen geriet ins Wanken, als Solomon Snyder von der Johns Hopkins University School of Medicine vor einiger Zeit verkündete, im Gehirn von Ratten die Aminosäure D-Serin gefunden zu haben. In den Proceedings of the National Academy of Sciences vom 9. November 1999 berichtet er nun, daß er auch das Enzym, mit dem Zellen diese D-Aminosäure herstellen, isolieren und untersuchen konnte. Ort der Synthese sind sogenannte Astrocyten – Zellen im Gehirn, die als Begleiter von Nervenzellen andere Aufgaben als die Reizweiterleitung und Verarbeitung übernehmen. Mit dem Enzym Serin-Racemase wandeln die Astrocyten das normale L-Serin in seine D-Form um.
Das D-Serin wirkt außerhalb der Astrocyten als Aktivator des sogenannten NMDA-Rezeptors. Der wiederum kommt vor allem in Nervenzellen vor, die an Lernprozessen, dem Gedächtnis und höheren Hirnleistungen beteiligt sind. Früher glaubten Neurowissenschaftler, der Rezeptor würde alleine durch den Neurotransmitter Glutamat stimuliert. Als Snyder und seine Mitarbeiter jedoch mit Enzymen das D-Serin zerstörten, blieben die NMDA-Rezeptoren auch in Anwesenheit von Glutamat inaktiv.
Vermutlich handelt es sich bei dem D-Serin um eine Art Sicherung gegen die unter Umständen verheerenden Wirkungen eines überaktiven NMDA-Rezeptors, meint Snyder. Glutamat ist eine der häufigen Verbindungen im Körper, erst die seltenere Verbindung D-Serin ermöglicht eine wirksame Kontrolle.
Die neuen Ergebnisse könnten eventuell für die Frühbehandlung von Schlaganfall-Patienten nützlich sein. Der plötzlich auftretende Sauerstoffmangel führt nämlich zu einer heftigen Übererregung der NMDA-Rezeptoren, was die Zerstörung von Nervenzellen nach sich zieht. "Wenn wir in der Lage wären, die Rezeptoren auszuschalten oder herunterzufahren, könnten wir eventuell Schäden vermeiden", sagt Snyder.
Der Heidelberger Verlag Spektrum der Wissenschaft ist Betreiber dieses Portals. Seine Online- und Print-Magazine, darunter »Spektrum der Wissenschaft«, »Gehirn&Geist« und »Spektrum – Die Woche«, berichten über aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.