News: Eine elementare Entdeckung
Doch die wissenschaftliche Welt erkannte diese Resultate nicht an. Da die vermutete Halbwertszeit von Element 43 bei 210 000 Jahren liegen sollte, schlossen die meisten Wissenschaftler die natürliche Existenz dieses Elements auf der wesentlich älteren Erde aus. Perrier und Segrè stellten Element 43 hingegen künstlich her, indem sie Molybdän mit der Ordnungszahl 42 in einem Cyclotron mit subatomaren Teilchen beschossen. Sie gaben ihm den Namen Technetium (Tc). Auch die Tatsache, dass Tacke eine Chemikerin und nicht Physikerin und zudem eine Frau war, die in keiner höheren akademischen Position stand, hat ihrer Behauptung vermutlich nicht geholfen. 1979 starb Ida Tacke.
Doch mittlerweile haben Wissenschaftler gelernt, dass Technetium durchaus natürlich auftritt: Es entsteht bei der spontanen Spaltung von Uran. David Curtis und seine Kollegen vom Los Alamos National Laboratory in Kalifornien haben kürzlich Technetium in kandischen Uranerzen bestimmt, ein Fund, der Forschungen aus den 60er Jahren erneut bestätigte. Die Konzentration war allerdings verschwindend gering. Sie betrug nur einige Pikogramm Technetium pro Kilogramm Uran. Und die von Noddack und Berg untersuchten Erze enthielten lediglich zehn Prozent Uran. Bei diesen niedrigen Konzentrationen stellt sich die Frage, ob ihre Analysegeräte überhaupt die erforderliche Empfindlichkeit besaßen, das Technetium zu detektieren.
John T. Armstrong vom National Institute of Standards and Technology in Gaithersburg benutzte ein Programm zur Analyse von Spektren sowie eine Datenbank mit hochpräzisen Röntgenmessungen, um die Untersuchungen von Noddacks Team zu simulieren. Er stellte bei einer Reihe virtueller Experimente fest, dass sich die Masurium-Messungen Noddacks tatsächlich auf die Anwesenheit von Element 43 in den Columbiterzen zurückführen ließ. Auch waren die von Noddack und Berg benutzten Instrumente nach Angaben von Armstrong offenbar ausreichend empfindlich. Sie konnten damit weniger als ein Milliardstel Gramm Element 43 nachweisen, das sich in einem chemisch separierten Extrakt aus einem Kilogramm Erz befand. "Aufgrund dieser Erkenntnisse", meint Armstrong, "ist es hochwahrscheinlich, dass sie Element 43 gefunden haben."
Andere Tatsachen sind fast schockierend. Die Noddacks und Berg benutzten die selbe Röntgentechnik, um später Element 75, Rhenium zu entdecken, was die Wissenschaft ohne Zögern anerkannte. Sie beschrieben ihre Daten in der selben Zeitschrift wie bei ihren Masuriumforschungen. Zudem war es Tacke, die als erste vorschlug, eine nukleare Spaltung könnte für einige Versuchsergebnisse des berühmten Physikers Enrico Fermi verantwortlich sein. Fermi hingegen glaubte, transuranische Elemente synthetisiert zu haben, Atome mit einer Ordnungszahl höher als 92, der von Uran. Später stellte sich heraus, dass Tacke richtig lag und Fermi falsch. Doch die Ironie des Schicksal wollte es, dass Fermi für die "Entdeckung" der transuranischen Elemente 1938 den Nobelpreis bekam.
Trotzdem ist die Masurium-Entdeckung noch lange nicht bewiesen. Die Noddacks und Berg gaben in ihrer Arbeit von 1925 eine mehrere Größenordnungen zu hoch liegende, unmögliche Konzentration von Element 43 an. Außerdem enthält ihre Publikation nicht genügend detailierte Angaben über ihre Experimente, so dass Armstrong und Pieter van Assche von der Katholieke Universiteit Leuven einige instrumentelle und analytische Versuchsanordnungen nachträglich herleiten mussten. Eine ihrer wohlwollensten Annahmen war, dass die Noddacks und Berg den Elektronenstrahl magnetisch auf eine Fläche von weniger als einem Quadratmilimeter fokussieren konnten.
Auch wenn der Fall Noddack und Berg noch nicht entgültig entschieden ist, aufregender war er noch nie zuvor. "Anfänglich hielt ich es für unmöglich, dass die Noddacks und Berg Technetium entdeckt haben," sagt Albert Ghiorso vom Lawrence Berkely National Laboratory, selbst Entdecker mehrerer transuranischer Elemente. "Doch beim näheren Hinsehen halte ich das nicht mehr für ausgeschlossen."
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