Konquista Amerikas: Eine Heimatlose, die ihre Heimat verriet?
In einem kleinen Park in Mexico City steht fast schon versteckt am Rand im Schatten einiger Bäume eine bronzene Statuengruppe. Eingerahmt von einem Löwen und einem Adler zeigt die Plastik in stiller Eintracht ein Paar: Der Mann links trägt spanische Kleidung, rechts sitzt eine Frau im Huipil, einem weiten Hemd. Beide schauen nach vorn und strecken den linken Arm aus, als wollten sie etwas präsentieren. Doch ihre Geste weist ins Leere.
Der Mann: der Konquistador Hernán Cortés, der vor 500 Jahren das Reich der Azteken zerstörte. Die Frau: seine Begleiterin Malinche. Bis vor wenigen Jahren stand ihr gemeinsames Kind vor ihnen. Der Knabe mit dem Namen Martín gilt als einer der ersten Mestizen, also »Mischlinge« Mexikos. Er war halb spanisch, halb indigen, so wie heute über 60 Prozent der Bevölkerung. Doch eines Tages sägte jemand das bronzene Kleinkind von seinem Sockel.
Dabei war das Denkmal ohnehin schon von seinem Platz gewichen. Statt wie geplant auf einem zentralen Platz im geschichtsträchtigen Stadtteil Coyoacán wurde es 1982 in der versteckten Parkecke aufgestellt. Nicht Cortés oder der kleine Martín hatten den Unmut der Bevölkerung erregt, der Bannstrahl der Demonstranten traf vor allem Malinche. Eine Verräterin sei sie gewesen, die sich mit dem Feind eingelassen und ihn bei der Vernichtung des eigenen Volks unterstützt habe.
Das ganze Unternehmen, der Eroberungszug des Cortés, es wäre wahrscheinlich für die Spanier ein Fiasko geworden, hätte es Malinche nicht gegeben. Sie übersetzte für die Eindringlinge, lieferte ihnen wertvolle Informationen über den fremden Kontinent und führte sie ein in die Kultur seiner Bewohner. Macht sie das zur Verräterin? Wer sie heute verurteilt, muss zwei Dinge bedenken: zum einen, wie wenig wir wirklich über ihre Lebensumstände und ihre Person wissen. Und zum anderen, dass Malinche etwas Elementares fehlte, um überhaupt Verrat begehen zu können: ihre Freiheit.
Landung der Glücksritter
»Am nächsten Morgen, einem der letzten Märztage des Jahres 1519, kamen die Kaziken [Adligen] und viele Vornehme aus Tabasco und Umgebung zu uns und erwiesen uns große Ehrerbietung. Sie brachten vier Diademe und vielerlei Kleinodien, Eidechsen, Enten, Hunde aus Gold, ferner prächtige Mäntel und viele andere kleine Dinge. Aber das alles war nichts im Vergleich zu den 20 Weibspersonen, die sie uns verehrten. Unter ihnen befand sich eine ganz vortreffliche Frau, die später das Christentum annahm und Doña Marina genannt wurde.« So berichtet Bernal Díaz del Castillo über das erste Zusammentreffen zwischen Malinche, die er hier bei ihrem Taufnamen nennt, und den Konquistadoren. Der Chronist gilt als einer der erfahrensten Weggefährten Cortés'. Allerdings bediente er sich, als er sein berühmtes, 1568 erschienenes Werk »Wahrhafte Geschichten der Eroberung von Neuspanien« verfasste, nicht nur persönlicher Erinnerungen, sondern auch anderer Chroniken sowie hin und wieder der eigenen Fantasie.
Der Moment, den Bernal Díaz beschreibt, steht fast am Anfang der Expedition, an deren Ende das Aztekenreich in Schutt und Asche liegen wird. Am 10. Februar 1519 waren elf Schiffe von Kuba aus gestartet. Etwa 530 Mann umfasst der Trupp, Schiffsbesatzung, Sklaven von den Großen Antillen und in erster Linie Hidalgos, also Angehörige des niederen Adels, die in der Neuen Welt das finden wollen, was ihnen in der spanischen Heimat verwehrt bleiben würde: Reichtümer, Ruhm und politische Geltung. Dafür haben sie sich in die privat finanzierte Mission eingekauft. Ihr Anführer ist der 34-jährige Hernán Cortés, der sich auf Kuba unter anderem als Viehzüchter ein kleines Vermögen erwirtschaftet hat. Durch geschicktes Taktieren in der übersichtlichen politischen Landschaft der Antillen brachte er Kubas Gouverneur Diego Velázquez de Cuéllar dazu, ihm den Oberbefehl für die Expedition zu übertragen.
Anfang März erreicht der spanische Trupp die Stadt Potanchan. Die dort lebenden Maya hatten bereits Monate zuvor die Bekanntschaft der Spanier gemacht und wenig Interesse an neuen Nachbarn. Deshalb wurde aus zögerlichem Kontakt schnell eine entschlossene, bewaffnete Auseinandersetzung. Cortés hat leichtes Spiel. Vor allem dank seiner Artillerie und der Pferde – beides haben die Maya noch nie gesehen – nimmt er die Stadt ohne große eigene Verluste ein. Nach einigen Verhandlungen unterwerfen sich die eingeschüchterten Einheimischen dem spanischen König und bekunden Interesse am christlichen Glauben – beides vermutlich entweder zum Schein oder weil sie die Dimensionen nicht verstanden haben. Als Versöhnungsgeste überreichen die Anführer schließlich Geschenke, darunter die eingangs erwähnten Frauen, die einige Tage später getauft werden.
Sklavin der Maya
Als »hübscheste, gewandteste und aufgeweckteste« sticht für Bernál Díaz die junge Malinche hervor, wobei diese Bewertung auch durch das Wissen um ihre spätere Rolle beeinflusst sein mag. Cortés gibt sie dem Hauptmann Alonso Hernández Puortocarrero zur Frau – allzu verbindlich scheint diese Eheschließung aber nicht zu sein, denn der Gatte wird Ende Juli als Gesandter nach Spanien reisen und vermutlich nie zurückkehren. Schon bald erkennt Cortés die Bedeutung der kaum 20-jährigen Frau für seine Mission und holt sie an seine Seite. Denn Malinche ist keine gebürtige Maya – und sie spricht zwei Sprachen.
Der Vorgeschichte Doña Marinas widmet Bernál Díaz ein ganzes Kapitel. »Das stellte angesichts der Konzentration auf die Taten von Männern in den Quellen jener Zeit eine absolute Ausnahme dar. Frauen wurden in der Konquista als Marketenderinnen, als Sklavinnen und vor allem auch als Konkubinen benutzt, doch werden sie in den Chroniken kaum erwähnt oder bleiben namenlos«, schreibt der Historiker Stefan Rinke von der Freien Universität Berlin in seinem Buch »Konquistadoren und Azteken«. Der Chronist Bernál Díaz berichtet, dass Marina als Tochter eines Adligen in einem Ort namens Paynala vermutlich in der Nähe der heutigen Hafenstadt Coatzacoalcos geboren wurde. »Es wird weithin angenommen, dass La Malinches indigener Name Malinalli war, der Name eines Tages im aztekischen Kalender, der durch gewundenes Schilf repräsentiert wird«, schreibt die britische Literaturwissenschaftlerin Jean Franco. Nach dem Tod des Vaters hatte sich ihre Mutter neu verheiratet und einen Sohn bekommen, den sie als Erben bevorzugte. Ihre erstgeborene Tochter gab sie deshalb weg. Über Umwege landete sie schließlich als Sklavin bei den Maya und lernte zwangsläufig deren Sprache.
Das Übersetzer-Tandem
Die Maya komplimentieren die Spanier schnell weiter nach Westen, wo die Aussicht auf Gold weitaus größer sei. Sie berichten ausführlich vom großen Reich der Azteken, das sich in den vergangenen Jahrhunderten aggressiv ausgebreitet hat. Seine Hauptstadt Tenochtitlan wird vor allem von tributpflichtigen Stadtstaaten versorgt. Diese liefern Lebensmittel und Gefangene für die Menschenopfer – ein wesentlicher Bestandteil der Religionen Mittelamerikas in jener Zeit, der auch die Kriegsführung beeinflusst. Denn anders als in Europa ist eines der Hauptziele von Gefechten, Gefangene zu machen und nicht den Gegner auszuschalten.
Ende April treten sie erstmals in Kontakt mit Vertretern der Mexica – so der Eigenname der Azteken. In der Provinz Totonacapan, deren Bewohner an die Mexica Tribut entrichten müssen, treffen sie sich mit dem vom Aztekenherrscher Moctezuma II. eingesetzten Gouverneur. Dass eine weitestgehend geradlinige Kommunikation möglich ist, beruht auf zwei Zufällen: Der eine ist Malinche, die die Sprache der Maya und die der Mexica, also Nahuatl beherrscht. Der zweite heißt Gerónimo de Aguilar. Der Franziskanerpriester hat 1511 mit weiteren Gefährten Schiffbruch erlitten, überlebte aber und wurde von den Maya versklavt. Während der Zeit in der Gefangenschaft lernte er ihre Sprache. Cortés fand ihn schließlich nach langer Suche zu Beginn der Expedition. Aguilar ermöglichte bereits den Spaniern den Austausch mit den Bewohnern von Potanchan. Im Tandem mit Malinche übersetzt er nun auch die Gespräche mit den Mexica. Spätestens zu diesem Zeitpunkt begreift Cortés, wie wichtig die junge Frau für sein Vorhaben ist. »Mehr als die Freiheit« soll er ihr für ihre Dienste versprochen haben, berichtet sein Sekretär Francisco López de Gómara. Wohl nur kurze Zeit später spricht sie auch Spanisch.
Malinches Dienste werden von nun an regelmäßig benötigt. Denn in rascher Folge treffen bald Delegationen aus der Aztekenkapitale ein. Immer wieder tauschen beide Seiten zurückhaltende Höflichkeiten und Geschenke aus. Das mitgebrachte Gold lässt die Spanier nur noch mehr auf einen Besuch bei Moctezuma in Tenochtitlan drängen – doch die Mexica weichen aus und spielen auf Zeit. Sie wollen hinter die Pläne der Fremdlinge kommen. Wer war da zu ihnen als Besucher gekommen? Waren es Menschen, waren es Götter? Es gilt als sicher, »dass die Mexica und die anderen Mesoamerikaner, auf die die Spanier trafen, Probleme mit der Zuordnung der Europäer hatten«, schreibt Historiker Rinke. Zumal es im Glauben der Menschen keine so strikte Trennung zwischen der göttlichen und der weltlichen Sphäre gegeben habe wie etwa im Christentum. Auch zeitweilige Verkörperungen von Gottheiten durch Menschen seien durchaus vorstellbar gewesen.
Ein Widerspruch bereitet Vergnügen
Die Expedition dringt weiter nach Norden vor, gründet mit Villa Rica de Vera Cruz die erste spanische Siedlung auf dem amerikanischen Kontinent und beschließt nach internem Streit, weiter nach Westen ins Landesinnere Richtung Tenochtitlan zu marschieren. Vom ursprünglichen Auftrag seiner Mission, neue Handelspotenziale auszuloten, hat sich Cortés inzwischen entfernt. Er agiert auf eigene Faust, nicht mehr im Auftrag des kubanischen Gouverneurs. Um alle Brücken hinter sich abzubrechen und seine Begleiter bedingungslos an sich zu binden, lässt er die Schiffe zerstören.
Es läuft gut für Cortés. Seine Männer versorgen sich bei der indigenen Bevölkerung – skeptische, zurückhaltende Menschen, die aber oftmals in der heranrückenden Truppe mögliche Befreier sehen statt neue Unterdrücker. »In den Gebieten, durch die Cortés zu Beginn seiner Expedition zieht, sind die Indianer von seinen Eroberungsabsichten nicht weiter beeindruckt, weil sie bereits von den Azteken erobert und kolonisiert worden sind«, schrieb der Historiker und Soziologe Tzvetan Todorov. »Das damalige Mexiko ist kein einheitlicher Staat, sondern ein Konglomerat von den Azteken unterworfener Völker.« Diese tragen zudem Feindschaften untereinander aus. Cortés profitiert von dieser Uneinigkeit. Der Widerspruch zwischen den Aussagen beider Parteien bereite ihm großes Vergnügen, schreibt er zu einem späteren Zeitpunkt in einem Brief an Kaiser Karl V.
Die Totonaken etwa empfangen die Spanier in ihrer Hauptstadt Cempoala als potenziellen Bündnispartner gegen die Mexica. Die Konquistadoren sehen das genauso. Um seine Loyalität zu beweisen, setzt Cortés sogar zufällig anwesende Tributeintreiber Moctezumas fest, die er später heimlich wieder laufen lässt, versehen mit einer Freundschaftsbotschaft an ihren Herrn. Solch zweigleisiges Taktieren prägt die diplomatische Vorgehensweise des spanischen Anführers und wird ihn schließlich zum Ziel führen.
Bei all diesen Treffen und Verhandlungen mit einheimischen Gesandten und Adligen sitzt Malinche an der Seite des Anführers. Sie übersetzt nicht nur, sondern sie kann die Denkweise der Gesprächspartner am besten nachvollziehen und weiß, wie sie das jeweilige Gegenüber ansprechen muss. Es ist ein ungewohntes Bild – sowohl für die Spanier als auch für die Einheimischen, die das sogar bildlich festgehalten haben. Mesoamerikanische Völker schrieben bis ins 16. Jahrhundert hinein in Piktogrammen, ähnlich unseren heutigen Comics, und zeichneten so auch ihre Geschichte auf. Einige dieser Abbildungen sind erhalten geblieben. Chronisten jener Zeit, wie etwa der Missionar Bernardino de Sahagún oder der Mestize Diego Muñoz Camargo, illustrierten mit ihnen ihre Werke, in denen sie aus indigener Perspektive über die Geschehnisse rund um den Fall der Aztekenhauptstadt Tenochtitlan berichten. Auf vielen der kleinen Bilder taucht zentral eine Frauenfigur zwischen all den kriegerischen Männern auf. Sie trägt das Gewand der Einheimischen, steht aber auf der Seite der Eroberer. Häufig ist über ihr eine Zunge abgebildet, die sie als Sprecherin identifiziert. Auch die indigenen Gesprächspartner betrachten die junge Frau als wichtige Verbindung zu den Spaniern.
Keine Geliebte, sondern Gefangene
Während der Verhandlungen verschmilzt das Paar mitunter sogar zu einer Person. Die Tlaxcalteken beispielsweise sprechen Cortés mit dem Namen Malinche an. Hier wie auch in weiteren Situationen dürfte sie ihren Herrn nicht nur als Übersetzerin, sondern auch mit ihren Kenntnissen über Kultur und Landeskunde zur Seite gestanden haben. »Diese Frau war ein entscheidendes Werkzeug bei unseren Entdeckungsfahrten. Vieles haben wir unter Gottes Beistand nur mit ihrer Hilfe vollbringen können«, bewertet Bernál Díaz. Cortés selbst allerdings erwähnt sie in seinen regelmäßigen Briefen nach Spanien nur ein einziges Mal – ihm ist es wichtiger, seine eigene Rolle zu betonen.
Die Nähe, die sich zwangsläufig zwischen Malinche und Cortés entwickelt hatte, führte auch zu einer sexuellen Beziehung. Nur wenige Details darüber sind bekannt – etwa dass um das Jahr 1523 ein gemeinsamer Sohn das Licht der Welt erblickt. Sehr häufig heißt es, Malinche sei Cortés' »Geliebte« gewesen, eine etwas fragwürdige Wortwahl für die Beziehung zwischen Herr und Gefangener. Deutlich wird das vor allem, als der Konquistador die Mutter seines Sohnes nach der Geburt mit einem anderen Mann verheiratet.
Ausgerechnet die unterstellte Affäre mit dem Anführer der Eindringlinge ist jedoch die Basis für den Vorwurf des Verrats und der Illoyalität gegenüber ihrem Volk. Solche Vorstellungen haben ihren Ursprung in der Zeit des aufkommenden Nationalismus und der Unabhängigkeitsbestrebungen Mexikos im 19. Jahrhundert. Doch loyal kann nur sein, wer sich einer Gruppe zugehörig fühlt. Folgt man der von Bernál Díaz überlieferten Herkunftsangabe Malinches, ist es schwer vorstellbar, dass sie sich als Angehörige einer örtlichen Volksgruppe empfunden hat, geschweige denn als Mitglied einer übergreifenden indigenen Gemeinschaft, an deren Existenz seinerzeit weder die Mexica noch die Tlaxcalteken oder die Maya glaubten.
Die traurige Nacht
Auch während der Eroberung Tenochtitlans steht Malinche in der ersten Reihe. Im November 1519 ziehen die Spanier in die aztekische Hauptstadt ein, die inmitten eines Salzsees auf einer Insel liegt und nur durch wenige Dammstraßen mit dem Festland verbunden ist. Begleitet werden sie dabei von tausenden verbündeten indigenen Kriegern. Wahrscheinlich aus übersteigertem Selbstbewusstsein begeben sich die Konquistadoren direkt in die Höhle des Löwen – befördert zusätzlich durch die zögernde Haltung Moctezumas. Dieser empfängt sie als Gäste und bringt sie im Palast seines Vaters unter. Einerseits sehen sich die Eroberer in der reichen Mexica-Metropole am Ziel ihrer Wünsche. Andererseits haben sie Angst vor der allgegenwärtigen Praxis der Menschenopfer, mit der sie an dieser Stelle direkt in Berührung kommen. Dabei schneiden die Priester den Gefangenen die Brust auf, reißen das schlagende Herz heraus, stoßen die Leichname anschließend die Treppe der pyramidenförmigen Tempel hinunter und verspeisen schließlich Teile von ihnen. Die Bekehrungsversuche der christlichen Konquistadoren laufen ins Leere.
Um ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten, nehmen die Gäste Moctezuma gefangen, zwingen ihn in ihr Quartier, von wo er monatelang seine Amtsgeschäfte weiterführt – unter spanischem Einfluss. So sorgen die Konquistadoren dafür, dass aus dem gesamten Reich Gold nach Tenochtitlan fließt, wo sie es zu Barren einschmelzen.
Als Cortés die Stadt im Frühjahr 1520 gemeinsam mit Malinche und einigen Truppen verlässt, um sich gegen eine Strafexpedition des spanischen Statthalters von Kuba zur Wehr zu setzen, explodiert die spannungsgeladene Situation: Sein Stellvertreter Pedro de Alvarado, der mit nicht einmal 200 Spaniern in der Stadt zurückgeblieben ist, verliert die Nerven. Aus Angst vor einem Hinterhalt der aztekischen Oberschicht attackiert er die Würdenträger während eines rituellen Tanzes anlässlich des Frühjahrsfestes und massakriert sie. »Der Hof war voll Blut, Eingeweiden, abgeschlagenen Köpfen, Händen und Füßen dieser Unglücklichen«, berichtet der »Codex Durán«, eine Art Geschichte der Azteken. Die Mexica greifen nun ihrerseits zu den Waffen und schließen die Spanier in deren Quartier ein. Am Belagerungszustand können weder der eilig zurückgekehrte Cortés noch Moctezuma etwas ändern. Letzterer kommt während der Kämpfe sogar ums Leben – ob ermordet von den Spaniern oder aus Versehen von den eigenen Leuten getötet, ist nicht ganz klar. In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1520 packen die Spanier schließlich die gestohlenen Schätze zusammen und versuchen aus der Stadt zu fliehen. Doch die Mexica bemerken den nächtlichen Zug. Etwa die Hälfte der Spanier und 1000 einheimische Verbündete sterben während dieser »noche triste« – der »traurigen Nacht«. Die Konquistadoren verlieren ihre gesamte Artillerie und das erbeutete Gold in den Kanälen der Stadt. Viele Gefangene landen zudem auf den Opfersteinen der Priester.
Der Fall Tenochtitlans
Hernán Cortés zieht sich zunächst zu seinen Verbündeten nach Tlaxcala zurück, arbeitet aber eifrig an einem endgültigen Eroberungsplan. Während die Mexica unter einer Pockenepidemie leiden, verstärkt er seine Truppen mit Neuankömmlingen aus Kuba und beginnt mit dem Bau von 13 Schiffen, um einen Angriff auf die Hauptstadt auch zu Wasser zu unterstützen. Im April 1521 werden die Brigantinen durch einen eigens gegrabenen Kanal in den Salzsee verlegt, im Mai beginnt die endgültige Belagerung. Mitte August schließlich fällt das ausgehungerte Tenochtitlan nach zähen Kämpfen.
Tagelang ziehen die Sieger mordend, raubend und vergewaltigend durch die Straßen. »Hatten die Spanier seit ihrer Ankunft in Mesoamerika rund die Hälfte ihrer Soldaten verloren, so entsprach das vielleicht 1000 Mann. Das war zwar ein hoher Verlust, aber er verblasst im Vergleich zu den abertausenden indigenen Kriegern und Zivilisten, die an der Seite der Europäer und gegen sie kämpfend ihr Leben auf den Schlachtfeldern ließen«, schreibt Stefan Rinke. Wenige Tage später beginnt der Wiederaufbau der Stadt – und somit die Basis für die Kolonie Neuspanien.
Was Malinche während dieser Wirrnisse tut, darüber schweigen die Quellen. Vermutlich steht sie aber ständig an der Seite des Anführers, auch als er wenig später zu weiteren Eroberungszügen ins Umland aufbricht. Zudem berichtet Bernál Díaz, dass sie gemeinsam mit Cortés 1523, also zwei Jahre nach der Zerstörung Tenochtitlans, in ihre Heimat gereist sei und dort ihre Mutter und ihren Bruder besucht habe. Doch scheint der Chronist hier eher eine christliche Erweckungsgeschichte rund um ein berühmtes Testimonial platzieren zu wollen. Denn die Angehörigen begegnen ihr mit großer Angst vor der Rache der Verstoßenen. »Doña Marina aber trocknete ihre Tränen. Sie sprach ihnen Mut zu und sagte, dass sie nicht gewusst hätten, was sie tun. Sie verzeihe ihnen. Gott habe auf diese Weise alles zum Besten gelenkt.« Ob diese Begegnung wirklich stattgefunden hat, ist mehr als fragwürdig.
Hochzeit, Tod und Nachleben
Auf einer weiteren Expedition ins Gebiet des heutigen Honduras kommt es zur bereits erwähnten Verheiratung Malinches. Cortés gibt seine Begleiterin im Oktober 1524 dem Hauptmann Juan Jaramillo zur Frau. Anscheinend hat er sein persönliches Interesse an ihr verloren und benötigt auch ihre Dienste nicht mehr.
Mit der Hochzeit wird es still um Malinche, und sie verschwindet aus den Quellen. Angeblich verbrachte sie ihr restliches Leben in einem Haus in Coyoacán – damals noch ein eigenständiger Ort, heute jener Stadtteil Mexico Citys, in dem ihr Denkmal stehen sollte. Im selben Gebäude wie Malinche soll auch Cortés eine Zeit lang gewohnt haben und 1522 dort seine Ehefrau Catalina unter- und umgebracht haben, nachdem sie aus Kuba angereist war. Ein Mord konnte ihm jedoch nie nachgewiesen werden. Malinche bringt dort ihre Tochter Maria zur Welt und stirbt wohl um das Jahr 1529.
Betrachtet man die spärliche Quellenlage und die wenigen verifizierbaren Informationen über sie, ist es erstaunlich, wie präsent ihre Person in der mexikanischen jüngeren Geschichte und Gegenwart ist und wie kontrovers über sie diskutiert wird. Vermutlich bieten gerade die vielen Leerstellen in ihrer Biografie die Projektionsfläche dafür. So interpretierten feministische Schriftstellerinnen Malinche als Heldin, die sich als ursprünglich Unfreie in einer männlich dominierten Welt behauptet. Zudem inspirierte sie unzählige Künstlerinnen und Künstler zu Gemälden, Plastiken, Liedern und Erzählungen. Seit wenigen Jahrzehnten wird sie langsam rehabilitiert, und das Image der Verräterin bröckelt von ihr ab.
Nicht aber in den Augen der mexikanischen Nationalisten, die sich seit der Unabhängigkeitsbewegung Anfang des 19. Jahrhunderts mit allen Mitteln von der spanischen Vergangenheit abzugrenzen suchten. Für jene, die es ihnen nicht gleichtun und einer fremden Kultur den Vorzug vor ihrer eigenen geben, glauben sie darum einen treffenden Namen gefunden zu haben: »Malinchista«.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.