News: Eine neue Form von Materie beim 'kleinen Urknall'
Das letzte Mal haben die nötigen Bedingungen vermutlich vor rund 12 bis 15 Milliarden Jahren geherrscht. Wenige Millisekunden nach dem Urknall, aus dem das Universum hervorgegangen ist, existierten die Quarks nach den gängigen Theorien in Form eines Quark-Gluonen-Plasmas, bevor das Weltall sich so weit ausgedehnt hatte, dass die Temperaturen unter den kritischen Wert sanken und die Materie dadurch zu Protonen und Neutronen kondensierte.
Doch jede Theorie muss sich nach den Regeln der naturwissenschaftlichen Forschung einer experimentellen Überprüfung stellen. Dieser Aufgabe verschrieben sich gleich sieben große Arbeitsgruppen am Teilchenbeschleuniger CERN in der Schweiz. Die Forscher wollten schwere Ionen mit großer Geschwindigkeit kollidieren lassen, um hinreichend hohe Dichten und Temperaturen für das gesuchte Plasma zu erzeugen. Sie entschieden sich für das Element Blei, mit dem sie ein Ziel aus Blei oder Gold beschossen.
Der Ionenstrahl traf in einer Reihe von Versuchen mit so großer Energie auf das Ziel, dass die Temperatur in einem kleinen Bereich 100 000-mal so hoch wie im Innern der Sonne wurde und die Energiedichte 20-mal größer als in gewöhnlichen Atomkernen. Sieben verschiedene Detektoren fingen die Strahlung und die Trümmer des Zusammenstoßes auf.
Für sich alleine betrachtet hätte keiner der Datensätze nachweisen können, dass sich bei der Kollision kurzzeitig ein Quark-Gluonen-Plasma gebildet hat, doch "die kombinierten Daten aus den sieben Experimenten ... haben ein klares Bild von einem neuen Zustand der Materie ergeben", sagte Luciano Maiani, der Generaldirektor des CERN auf einem Seminar am 10. Februar 2000. So detektierten die Sensoren Photonen, die direkt von dem Plasma stammen könnten – allerdings emittieren auch sehr viele andere Vorgänge, die sich bei dem Zusammenstoß ereignen, Strahlung. Eine andere Arbeitsgruppe stellte fest, dass ein als J-Psi bezeichnetes Teilchen nur in geringen Mengen auftrat. Das passte genau zu den Berechnungen, denn das Quark-Gluonen-Plasma sollte die Bildung des Teilchens unterdrücken.
Die Konzentration, Verteilung und Energie weiterer Partikel fügten sich wie bei einem Puzzle schließlich nur dann widerspruchsfrei zusammen, wenn sich tatsächlich kurzzeitig ein Quark-Gluonen-Plasma gebildet hat, das sehr schnell expandierte. Dabei kühlte es aus und wurde dünner, bis die Gluonen die Quarks einfangen und zusammenfassen konnten. Zu diesem Zeitpunkt expandierte das System mit mehr als der halben Lichtgeschwindigkeit – ein "kleiner Urknall" im Labor.
Das Experiment am CERN hat die Richtigkeit der theoretischen Modelle bestätigt. Um die Eigenschaften des neuen Plasmas zu erfoschen, ist die Anlage jedoch nicht geeignet. Diese Aufgabe geben die Wissenschaftler in der Schweiz weiter an die Physiker des Relativistic Heavy Ion Collider am Brookhaven National Laboratory in den USA, der dieses Jahr in Betrieb gehen soll. Und ab 2005 sind die Europäer auch wieder dabei mit dem Large Hadron Collider am CERN, der dann mit ALICE ein neues Schwerionen-Experiment bekommt.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 13.10.1999
"Nobelpreis für Physik 1999"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 9.12.1997
"Dem kosmischen Urplasma auf der Spur"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich)
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