Frühe Seefahrt: Eine unendliche Geschichte
Haben Seefahrer von Kreta schon vor über dreitausend Jahren ihren Weg in die Nordsee gefunden? Der Heidelberger Ethnologe Hans Peter Duerr glaubt: Ja. Anfang der 1990er Jahre hatte der damals in Bremen lehrende Professor zusammen mit Studenten im nordfriesischen Watt nach der im Mittelalter versunkenen Stadt Rungholt gesucht und dabei auch eine Reihe von Objekten entdeckt, die offenbar minoischen Ursprungs waren, darunter Scherben von Gefäßen des täglichen Gebrauchs aus dem 14. bis 13. Jahrhundert v. Chr. – eigentlich eine Sensation.
Doch Duerr scherte sich nicht um Grabungserlaubnisse, sondern heuerte ein Schiff und fuhr mit zwei Dutzend Studenten ins Watt. Auch gab er – aus Sorge, die Funde würden verschwinden – bis heute nicht alle Funde ab, woraufhin die Vertreter vom Archäologischen Landesamt Schleswig-Holstein fortan jeden Dialog konsequent verweigerten.
Aus der Sensation wurde nichts. Stattdessen kam ein Possenspiel in mehreren Akten zur Aufführung, in dem der wissenschaftliche Disput keine, der Austausch von Vorwürfen und Beleidigungen dagegen eine große Rolle spielte. Auf sachlicher Ebene gab es in all den Jahren keine Veränderung: Viele Archäologen – und speziell das Landesamt in Schleswig – werfen Duerr vor, das archäologische Handwerk nicht zu beherrschen und wissenschaftliche Prinzipien verletzt zu haben. Der Ethnologe kontert, er sei immer zu einer Kooperation bereit gewesen, nur habe er als Außenseiter in der Zunft eben nie eine faire Chance bekommen.
Zweifel bleiben
Jetzt hebt sich der Vorhang zum nächsten Akt. Auf eigene Rechnung gab Duerr Analysen in Auftrag, mit denen er beweisen will, dass die Keramik erstens tatsächlich aus dem Kreta minoischer Zeit stammt, und dass sie zweitens tatsächlich aus dem Watt Nordfrieslands geborgen wurde. Ersteres wurde eigentlich nie bezweifelt. Hartmut Matthäus von der Universität Erlangen etwa bestätigte schon vor Langem, dass die Scherben »echt« seien. Unterstützung bekam Hans Peter Duerr nun auch von Hans Mommsen vom Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik in Bonn. Hier hatte der Ethnologe die Scherben einer so genannten Neutronenaktivierungsanalyse unterziehen und damit die Häufigkeit von Spurenelementen bestimmen lassen. Dieser geochemische Fingerabdruck verweist auf den Ort, wo einst der Ton abgebaut und zur Kanne gebrannt wurde, kann allerdings über das Alter der Objekte selbst keine Auskunft geben. Mommsens Ergebnis: »Die Scherben stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der zentralkretischen Region um Knossos und Phaistos.«
Doch was von Anfang an fehlte, war der Beweis, dass die Scherben tatsächlich aus dem nordfriesischen Watt stammen. Für einen Vergleich schickte Duerr deshalb eine Probe des an den Scherben haftenden Schmutzes zusammen mit Sedimenten aus dem nordfriesischen Watt an Stefan Simon vom Rathgen-Forschungslabor in Berlin. Zwar führte Simons Röntgenfluoreszenzuntersuchungen zu dem Ergebnis: »Beide Proben stammen sicher aus einem sehr ähnlichen Naturraum« – dass sie wirklich aus dem nordfriesischen Watt stammen, kann er Duerr jedoch allenfalls glauben.
Nun wären Duerrs Scherben nicht die ersten Zeugnisse aus dem bronzezeitlichen Kreta in Nordeuropa. Das Besondere an diesem Fall: Es handelt sich um Überreste einer Bügelkanne, eines einfachen Transport- und Vorratsbehälters, dem man damals keinen besonderen Wert zumaß. Solche Krüge waren also sicher kein Handelsgut. Auch ist unwahrscheinlich, dass sie über viele Zwischenhändler in den Nordseeraum hätte kommen können. Daraus lässt sich durchaus der Schluss ziehen, dass diese Gefäße zur Aufbewahrung von Öl damals zur Ausrüstung eines minoischen Schiffs gehörten. »Ganz undenkbar ist das sicher nicht«, meint Matthäus und verweist auf andere Funde minoischen Ursprungs in Norddeutschland und Cornwall.
Den Vorwurf, dass es bei seinen Funden nicht mit rechten Dingen zuging, hat Duerr jedoch auch mit den neuen Analysen nicht ausräumen können. Matthäus: »Leider bleiben letzte Zweifel bezüglich der Herkunft.« Zudem wurde der Streit zwischen Duerr und dem zuständigen Landesamt in Schleswig so feindselig geführt, dass sich längst kein Archäologe mehr traut, um eine Grabungsgenehmigung im nordfriesischen Watt zu bitten. »Momentan kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand in dieses Wespennest greift«, meint Matthäus.
Ehernes Gesetz
Dabei könnte das nach Ansicht des Spezialisten für das bronzezeitliche Kreta durchaus spannend sein, schließlich hat Duerr nach eigenen Angaben neben den Scherben mittlerweile auch andere womöglich minoische Objekte entdeckt – die er freilich erst nach gründlicher wissenschaftlicher Untersuchung herausrücken will. Schon vor Jahrzehnten haben Bewohner der Gegend zudem einen mehrere Zentner schweren Steinanker entdeckt, der den Beschreibungen nach von einem minoischen Schiff stammen könnte. Allein: Der Anker wurde nie geborgen und liegt noch irgendwo im Watt.
Und so endet auch dieser Akt ohne Happy End. Dass Duerr Opfer eines Schabernacks wurde, man ihm die Objekte unterschob, ist schwer vorstellbar. An dem Komplott hätten zu viele beteiligt sein und zu lange schweigen müssen. Aber auch – und das ist das Tragische an der Geschichte – wenn alles so war, wie er sagt, bleibt unbestritten und nicht wiedergutzumachen, dass er gegen das eherne Grundgesetz der Archäologie verstieß, wonach ein Objekt, dessen Herkunft unklar ist, keinen wissenschaftlichen Wert hat. Guter Glaube nützt da gar nichts. Wer mit einer Sensation aufwartet, muss sich doppelter Überprüfung stellen. Doch solange sich niemand findet, der noch einmal ins Watt fährt und nachschaut, hat Duerr vielleicht sechs Richtige – aber keinen Lottoschein in der Hand.
Joachim Schüring ist Redakteur bei »Abenteuer Archäologie«
Doch Duerr scherte sich nicht um Grabungserlaubnisse, sondern heuerte ein Schiff und fuhr mit zwei Dutzend Studenten ins Watt. Auch gab er – aus Sorge, die Funde würden verschwinden – bis heute nicht alle Funde ab, woraufhin die Vertreter vom Archäologischen Landesamt Schleswig-Holstein fortan jeden Dialog konsequent verweigerten.
Aus der Sensation wurde nichts. Stattdessen kam ein Possenspiel in mehreren Akten zur Aufführung, in dem der wissenschaftliche Disput keine, der Austausch von Vorwürfen und Beleidigungen dagegen eine große Rolle spielte. Auf sachlicher Ebene gab es in all den Jahren keine Veränderung: Viele Archäologen – und speziell das Landesamt in Schleswig – werfen Duerr vor, das archäologische Handwerk nicht zu beherrschen und wissenschaftliche Prinzipien verletzt zu haben. Der Ethnologe kontert, er sei immer zu einer Kooperation bereit gewesen, nur habe er als Außenseiter in der Zunft eben nie eine faire Chance bekommen.
Zweifel bleiben
Jetzt hebt sich der Vorhang zum nächsten Akt. Auf eigene Rechnung gab Duerr Analysen in Auftrag, mit denen er beweisen will, dass die Keramik erstens tatsächlich aus dem Kreta minoischer Zeit stammt, und dass sie zweitens tatsächlich aus dem Watt Nordfrieslands geborgen wurde. Ersteres wurde eigentlich nie bezweifelt. Hartmut Matthäus von der Universität Erlangen etwa bestätigte schon vor Langem, dass die Scherben »echt« seien. Unterstützung bekam Hans Peter Duerr nun auch von Hans Mommsen vom Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik in Bonn. Hier hatte der Ethnologe die Scherben einer so genannten Neutronenaktivierungsanalyse unterziehen und damit die Häufigkeit von Spurenelementen bestimmen lassen. Dieser geochemische Fingerabdruck verweist auf den Ort, wo einst der Ton abgebaut und zur Kanne gebrannt wurde, kann allerdings über das Alter der Objekte selbst keine Auskunft geben. Mommsens Ergebnis: »Die Scherben stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der zentralkretischen Region um Knossos und Phaistos.«
Doch was von Anfang an fehlte, war der Beweis, dass die Scherben tatsächlich aus dem nordfriesischen Watt stammen. Für einen Vergleich schickte Duerr deshalb eine Probe des an den Scherben haftenden Schmutzes zusammen mit Sedimenten aus dem nordfriesischen Watt an Stefan Simon vom Rathgen-Forschungslabor in Berlin. Zwar führte Simons Röntgenfluoreszenzuntersuchungen zu dem Ergebnis: »Beide Proben stammen sicher aus einem sehr ähnlichen Naturraum« – dass sie wirklich aus dem nordfriesischen Watt stammen, kann er Duerr jedoch allenfalls glauben.
Nun wären Duerrs Scherben nicht die ersten Zeugnisse aus dem bronzezeitlichen Kreta in Nordeuropa. Das Besondere an diesem Fall: Es handelt sich um Überreste einer Bügelkanne, eines einfachen Transport- und Vorratsbehälters, dem man damals keinen besonderen Wert zumaß. Solche Krüge waren also sicher kein Handelsgut. Auch ist unwahrscheinlich, dass sie über viele Zwischenhändler in den Nordseeraum hätte kommen können. Daraus lässt sich durchaus der Schluss ziehen, dass diese Gefäße zur Aufbewahrung von Öl damals zur Ausrüstung eines minoischen Schiffs gehörten. »Ganz undenkbar ist das sicher nicht«, meint Matthäus und verweist auf andere Funde minoischen Ursprungs in Norddeutschland und Cornwall.
Den Vorwurf, dass es bei seinen Funden nicht mit rechten Dingen zuging, hat Duerr jedoch auch mit den neuen Analysen nicht ausräumen können. Matthäus: »Leider bleiben letzte Zweifel bezüglich der Herkunft.« Zudem wurde der Streit zwischen Duerr und dem zuständigen Landesamt in Schleswig so feindselig geführt, dass sich längst kein Archäologe mehr traut, um eine Grabungsgenehmigung im nordfriesischen Watt zu bitten. »Momentan kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand in dieses Wespennest greift«, meint Matthäus.
Ehernes Gesetz
Dabei könnte das nach Ansicht des Spezialisten für das bronzezeitliche Kreta durchaus spannend sein, schließlich hat Duerr nach eigenen Angaben neben den Scherben mittlerweile auch andere womöglich minoische Objekte entdeckt – die er freilich erst nach gründlicher wissenschaftlicher Untersuchung herausrücken will. Schon vor Jahrzehnten haben Bewohner der Gegend zudem einen mehrere Zentner schweren Steinanker entdeckt, der den Beschreibungen nach von einem minoischen Schiff stammen könnte. Allein: Der Anker wurde nie geborgen und liegt noch irgendwo im Watt.
Und so endet auch dieser Akt ohne Happy End. Dass Duerr Opfer eines Schabernacks wurde, man ihm die Objekte unterschob, ist schwer vorstellbar. An dem Komplott hätten zu viele beteiligt sein und zu lange schweigen müssen. Aber auch – und das ist das Tragische an der Geschichte – wenn alles so war, wie er sagt, bleibt unbestritten und nicht wiedergutzumachen, dass er gegen das eherne Grundgesetz der Archäologie verstieß, wonach ein Objekt, dessen Herkunft unklar ist, keinen wissenschaftlichen Wert hat. Guter Glaube nützt da gar nichts. Wer mit einer Sensation aufwartet, muss sich doppelter Überprüfung stellen. Doch solange sich niemand findet, der noch einmal ins Watt fährt und nachschaut, hat Duerr vielleicht sechs Richtige – aber keinen Lottoschein in der Hand.
Joachim Schüring ist Redakteur bei »Abenteuer Archäologie«
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