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Umweltfreundliche Kühlung: Eiskalte Muskelspiele

Formgedächtnismetalle haben einen unerwarteten Zweitnutzen: Mit ihrer Hilfe lassen sich Klimaanlagen bauen, die ohne schädliche Kältemittel auskommen - und dabei Energie sparen.
Kühlschränke im Supermarkt

Dank Klimawandel dürften künftig auch hier zu Lande immer mehr Sommertage die 40-Grad-Marke passieren. Schon im Sommer 2016 verkauften sich große und kleine Klimaanlagen bestens. Aber genau das ist ein Problem: Kühlen kostet Energie. Einen Raum um nur ein Grad Celsius abzukühlen, benötigt die dreifache Energiemenge, die für das Aufheizen um den gleichen Wert gebraucht würde. 16 Prozent des Stroms wendet die Menschheit bereits jetzt dafür auf. Kühlschränke laufen rund um die Uhr, Klimaanlagen kühlen Büros, Kühlsysteme halten Computer und Motoren in Gang. Und der Bedarf steigt mit Klimawandel und wachsender Weltbevölkerung immer weiter. Hinzu kommt, dass die in Klimaanlagen eingesetzten Kältemittel als Klimakiller wirken. Unser Verlangen nach Kälte belastet darum die Atmosphäre doppelt: mit den Treibhausgasen selbst und mit Unmengen an Kohlendioxid, die durch den hohen Stromverbrauch emittiert werden – was wiederum die Erderwärmung befeuert.

Doch Kühlung kommt auch ohne schädliche Substanzen aus, wie die Ergebnisse von Forscherteams der Universität des Saarlandes und der Ruhr-Universität Bochum zeigten. Die Wissenschaftler machen sich die Elastizität und das Formgedächtnis von Nickel-Titan-Legierungen zu Nutze. Dadurch kamen sie ohne die üblichen Kältemittel aus und kühlen zudem energiesparender.

»Wird ein Nickel-Titan-Draht oder -Blech verformt oder gezogen, verändert sich die Gitterstruktur im Inneren des Metalls durch die mechanische Spannung«, erläutert Andreas Schütze, Professor für Messtechnik an der Universität des Saarlandes. »Diese so genannte Phasenumwandlung erwärmt das Material. Wenn das Metall nach dem Ausgleich mit der Umgebungstemperatur anschließend wieder entlastet wird, das heißt, wenn sich die Spannung löst, nimmt es seine alte Form wieder an und kühlt stark ab: etwa 20 bis 30 Grad unter das Umgebungsniveau – deutlich fühlbar, wenn man die eingesetzten Metalldrähte anfasst.«

Kühlen durch Entspannen

Die Bleche oder Drähte können sich wegen ihres Formgedächtnisses also wie Muskeln an- oder entspannen. Dass dabei Wärme aufgenommen und anschließend abgegeben wird, müsste sich gut zum Kühlen eignen, schlussfolgerten die Forscher. »Die aufgenommene Wärme geben wir außerhalb des Kühlschranks an die Umgebung ab, indem wir das Material dort zur Temperaturerhöhung wieder belasten, bevor der Kreisprozess aufs Neue beginnt«, erläutert Schütze.

Im elektrischen Gerät finden also ständig Verformungen dieser künstlichen »Muskeln« statt – es sind nur minimale Bewegungen, die jedoch die oben beschriebenen Temperatureffekte haben. Die bisherigen Versuche auf der Testplattform ergaben, dass man mit dem superelastischen Formgedächtnismaterial eine Abkühlung auf Werte knapp über dem Gefrierpunkt erreichen kann. Das genügt für den Kühlschrank und auch für Klimaanlagen.

»Auf Konferenzen machen die Kollegen große Augen und fragen: ›Ihr macht was …?‹ Es ist einfach keine naheliegende Anwendung«
Jan Frenzel

In ihren Versuchsreihen und Simulationsmodellen haben die Forscher nachgewiesen, dass ein solches Kühlverfahren funktioniert und in der Praxis eingesetzt werden kann. In einem Modellsystem simulierten die Projektmitglieder an der Universität des Saarlandes, wie der Kühlmechanismus am effizientesten ablaufen kann, zum Beispiel, wie stark das Material gezogen oder gebogen werden muss, um eine bestimmte Kühlleistung zu erreichen, oder ob schnelles Verformen effektiver ist als langsames.

Gefördert wird die Zusammenarbeit der beiden Gruppen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Programms Ferroic Cooling. Während die Kollegen im Saarland die ingenieurwissenschaftlich-technischen Aspekte bearbeiten, sind die Forscher an der Ruhr-Universität Bochum für die Weiterentwicklung des verwendeten Materials zuständig. »Ursprünglich wurden die Nickel-Titan-Legierungen für einen ganz anderen Zweck verwendet – etwa in der Medizin für Blutgefäßimplantate, so genannte Stents«, sagt der Bochumer Werkstoffwissenschaftler Jan Frenzel. Durch ein enges Röhrchen ins Blutgefäß geschoben, weiten die Stents sich durch die Körpertemperatur auf oder nehmen wieder ihre ursprüngliche Form an – und erfüllen so beständig und über Jahre ihren Zweck.

Unkonventionelle Idee

»Wenn wir auf Konferenzen unser Projekt vorstellen, machen die Kollegen große Augen und fragen: ›Ihr macht was …?‹ Es ist einfach keine naheliegende Anwendung.« Bekannt sind die Eigenschaften der Nickel-Titan-Legierung eigentlich schon seit den 1960er Jahren aus der Grundlagenforschung. Damals kam allerdings noch niemand auf die Idee, dass man sie in den Dienst umweltfreundlicher Kühlsysteme stellen könnte. Aber Klimawandel macht erfinderisch, könnte man wohl sagen.

Wie sich ein Stoff bei der Phasenumwandlung verhält, hängt von zahlreichen Faktoren ab – etwa von der chemischen Zusammensetzung oder seiner Mikrostruktur. Frenzel und Kollegen arbeiten nun daran, das Material zu optimieren; es haltbarer für den langfristigen Einsatz zu machen oder seine strukturelle und funktionelle Ermüdung zu minimieren und den Kühlungseffekt womöglich noch weiter zu verbessern, so dass beispielsweise – derzeit noch Zukunftsmusik – ein Abkühlen auf Minusgrade möglich wird. Dann wäre die Technik auch für Kühlschränke mit Eisfach geeignet.

»Wir haben die Materialzusammensetzung modifiziert, haben zur reinen Nickel-Titan-Verbindung noch die Metalle Kupfer und Vanadium hinzugefügt. Dadurch konnten wir die Stabilität des Kühleffektes verbessern«, erläutert Frenzel. Es sei faszinierend, zu beobachten, welche Auswirkungen die chemische Zusammensetzung auf das Kühlverhalten habe. »Wenn ich zum Beispiel nur 0,1 Prozent mehr Nickel dazugebe, dann ändert sich die Umwandlungstemperatur gleich um etwa 20 Grad.«

Prinzip der Klimaanlage mit Formgedächtnislegierung | Die Abbildung veranschaulicht, wie die Klimaanlage auf Basis von Formgedächtnislegierungen (FGL) die Luft abkühlt: Die maximal gedehnten Drahtbündel entspannen sich auf dem Weg von der 12-Uhr-Position zur 6-Uhr-Position, dabei entziehen sie der Umgebungsluft Wärme. Dieser gekühlte Luftstrom wird anschließend in das zu kühlende Objekt eingeleitet. In der zweiten Hälfte des Rundlaufs werden die Drahtbündel unter Spannung gesetzt, wodurch sie sich erwärmen.

Raum für Feintuning

Auch die strukturelle Stabilität soll noch besser werden. »Wenn man sich die von uns verwendeten Nickel-Titan-Drähte unter dem Mikroskop anschaut, sieht man, dass sie aus Kristallen bestehen. Wir bearbeiten die Drähte Schritt für Schritt so, dass die Struktur immer feiner wird – denn je feiner die einzelnen Kristalle, desto haltbarer ist das Material.«

Das DFG-Programm fördert die Grundlagenforschung, doch die Wissenschaftler aus Saarbrücken und Bochum sind schon dicht an der Anwendung. Ein Modell für eine Klimaanlage gibt es bereits. Andreas Schütze von der Universität des Saarlandes sagt: »Wir sind jetzt dabei, aufbauend auf unseren Ergebnissen einen optimierten Prototyp zur Luftkühlung zu bauen. Bei ihm stellen wir einen Kühlkreislauf her: Die warme Luft wird auf der einen Seite an einem rotierenden Bündel von Formgedächtnisdrähten vorbeigeleitet. Indem wir mehrere Drähte verwenden, erzielen wir eine höhere Kühlleistung.«

Das Bündel wird belastet, dabei wärmer, dreht sich, wird auf der anderen Seite entlastet und kühlt ab. »Die zu kühlende Luft wird dort dann vorbeigeleitet, um so einen angrenzenden Raum zu kühlen.« Vor allem das Feintuning beschäftigt nun die Forscher: »Um den Prozess noch weiter zu optimieren, werden alle Abläufe modelliert und die Modelle durch Vergleich mit Experimenten weiter verfeinert. Aus Modell und Experiment werden wir so etwa ableiten, aus wie vielen Formgedächtnis-Drähten das rotierende Drahtbündel idealerweise besteht oder welche Drehzahl bei der Rotation die besten Ergebnisse liefert«, erläutert Schütze.

Er schätzt, dass es noch etwa sieben bis zehn Jahre dauert, ehe die ersten Klimaanlagen oder Kühlschränke mit der Technik entwickelt und gebaut werden könnten. Nach jetzigem Stand erreiche diese bereits das Level moderner energieeffizienter Kühlschränke. »Aber es gibt neben der Material- und Prozessoptimierung viele weitere Möglichkeiten, die Geräte effizienter zu machen – etwa bei der Isolierung des Gehäuses. Im Zusammenspiel macht jede optimierte Komponente die Energiebilanz noch besser.«

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