Gravitationslinsen: Entferntester Stern dank 1000-facher Vergrößerung entdeckt
Der Spitzname klingt schon mal gut: Earendel. Das Wort stammt aus dem Altenglischen und bedeutet so viel wie »Morgenstern« oder »aufgehendes Licht«. Ein Forscherteam hat es nun für einen von ihm entdeckten Stern gewählt, der sein Licht bereits rund 900 Millionen Jahre nach dem Urknall ins All ausgesendet hat. Damit dürfte Earendel der am weitesten entfernte einzeln sichtbare Stern sein, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bislang entdecken konnten. Die Studie dazu ist im Fachmagazin »Nature« erschienen.
Normalerweise lassen sich derart alte und damit weit entfernte Sterne überhaupt nicht mehr einzeln beobachten: Sie sind viel zu leuchtschwach. Doch im Fall von Earendel haben sich Gravitationslinsen wieder einmal als praktisch erwiesen. Bei einer Gravitationslinse wird das Licht auf Grund eines zwischen Beobachter und Himmelskörper liegenden massereichen Objekts gebündelt und somit verstärkt. Der Effekt war bereits von Albert Einstein im Jahr 1936 vorhergesagt, aber erst Jahrzehnte später beobachtet worden.
Earendel stellt einen neuen Rekord auf
Inzwischen spüren Forscherinnen und Forscher alle möglichen Himmelsobjekte dank diverser Gravitationslinseneffekte auf: Eine Mikrogravitationslinse beispielsweise, bei dem ein Stern als Linse dient, kann frei fliegende Planeten zu Tage fördern, die ganz allein durchs All driften. Massereiche Galaxienhaufen als Linsen können das Licht dahinterliegender Objekte als Mehrfachbilder erscheinen lassen: So sehen wir einen Quasar im Sternbild Pegasus beispielsweise als berühmtes »Einsteinkreuz« gleich viermal am Himmel.
Auch einzelne, weit entfernte Sterne haben Astronomen und Astronominnen bereits dank Gravitationslinsen aufgespürt. Bisher galt das allerdings nur für Himmelskörper, die nicht weiter als 9 Milliarden Lichtjahren von uns entfernt lagen. Der Stern Earendel ist mit einer Rotverschiebung von 6,2 und einer daraus resultierenden Entfernung von rund 12,9 Milliarden Lichtjahren neuer Rekordhalter. Ein Galaxienhaufen im Vordergrund hatte sein Licht um einen Faktor von mehreren tausend verstärkt, so dass er auf Aufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops zu erkennen ist.
Laut einem Team um Brian Welch von der Johns Hopkins University könnte Earendel ein Stern in einem Einzel- oder einem Doppelsystem gewesen sein. Vermutlich war er ein wahrer Riese, der es auf eine Masse von mehr als 50 Sonnenmassen brachte. Spektroskopische Beobachtungen mit dem James Webb Space Telescope sollen die Entdeckung nun bestätigen und eine genauere Klassifikation ermöglichen.
Mittlerweile dürfte von Earendel nicht mehr viel übrig sein: Auf Grund seiner großen Masse ist der Stern, der vor 12,9 Milliarden Jahren gen Erde leuchtete, höchstwahrscheinlich längst als Supernova explodiert – und sein Licht nicht auf-, sondern untergegangen.
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