Direkt zum Inhalt

News: Erkannt und Erinnert

Das Gedächtnis für visuelle Informationen ist leistungsfähiger als bislang angenommen. Sekundenbruchteile reichen aus, um komplexe Szenen zu erfassen. Allerdings funktioniert das am besten in unbekannter Umgebung. In den eigenen vier Wänden spielt uns das visuelle Gedächtnis dafür manchen Streich.
Warum sucht man eigentlich jeden Morgen erneut nach dem Hausschlüssel? Und warum findet man selbst in einer unbekannten Stadt nach Stunden noch sein Auto auf dem großen Parkplatz wieder. Es scheint merkwürdig, dass wir uns an Dinge in einer bekannten Umgebung bisweilen weniger gut erinnern, als in einer fremden.

Die Ursachen für dieses Phänomen liegen in der Art und Weise, wie das Gehirn visuelle Informationen speichert. Zum einen ist es bemerkenswert, dass eine Szene schon nach wenigen Sekunden überaus detailliert erfasst wird. Zum anderen können Veränderungen in so einer Szene das Erinnerungsvermögen torpedieren, indem sich zeitlich verschiedene Eindrücke in der Erinnerung miteinander vermischen.

Der erste Fall beschreibt den Parkplatz in einer fremden Stadt. David Melcher von der Rutgers University und seine Kollegen zeigten Probanden hunderte dreidimensionale, im Computer generierte virtuelle Räume, in dem sich zwölf vollkommen verschiedene Objekte befanden - zum Beispiel ein Apfel, ein Spielzeug und eine Lampe. Die verschiedenen Zimmer mit ihrem Inventar erschienen in zufälliger Reihenfolge für Zeiträume zwischen einer Viertel Sekunde und vier Sekunden auf dem Bildschirm.

Nachdem die Testpersonen eine Szene einmal sahen, erinnerten sie sich beispielsweis an vier Objekte. Wurde ihnen die gleiche Szene noch einmal gezeigt, konnten sie sich schon an sechs Objekte erinnern. Je öfter sie ein und denselben virtuellen Raum sahen, umso umfangreicher wurde ihr Erinnerungsschatz, wobei dafür wohl die absolute Zeit verantwortlich ist. Denn es war egal, ob die Personen eine Szene zweimal je eine Sekunde lang betrachteten oder einmal für zwei Sekunden. Interessant war zudem, dass die Steigerung der erinnerten Gegenstände selbst dann in gleichem Maße anstieg, wenn zwischen den identischen Szenen viele andere Bilder gezeigt wurden.

Melcher geht deshalb davon aus, dass solche visuellen Eindrücke nicht in den Sekundenspeicher des Ultrakurzzeit-Gedächtnisses gehen, sondern im Kurzzeit-Gedächtnis gespeichert werden. Dabei scheint es hier einen speziellen Bereich für visuelle Informationen zu geben; wurden die Bilder von Apfel und Spielzeug nämlich durch Wörter ersetzt, stieg die Zahl der erinnerten Gegenstände nach längerer oder mehrmaliger Betrachtung nicht an.

Neben dem ersten Fall gibt es aber auch einen zweiten: den des verlegten Hausschlüssels. Wenn der Computer-generierte Raum als solcher unverändert blieb, die Möbel also immer an ein und demselben Platz standen, der Apfel aber nicht mehr auf dem Tisch sondern auf der Fensterbank lag oder die Lampe gänzlich fehlte, wurde das visuelle Gedächtnis fehlerhaft. Dann vermischten sich nach mehrmaliger Betrachtung die verschiedenen Erinnerungen, und die Zahl der erinnerten Objekte sank deutlich ab. Genau deshalb sollte man seinen Hausschlüssel zuhause immer an einen festen Ort legen.

  • Quellen
Nature 412: 401 (2001)
Rutgers University

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.