News: Fast schon absolut glatt
Hines erläuterte am 18. März 1998 ihre Arbeit zum Perfektionsverständnis auf dem jährlichen Treffen der American Physical Society in Los Angeles. Ihre Forschungen, die sie an den Bell-Laboratories begann, ist für die Halbleiterindustrie von großer wirtschaftlicher Bedeutung, denn eine rauhe Oberfläche, selbst auf atomarer Ebene, kann die Leistung eines Transistors stark herabsetzen. "In dem Maße, wie wir immer kleinere Geräte verwenden, werden rauhe Oberflächen zunehmend ein Problem", erklärt Hines.
Die Möglichkeit der perfekten Oberfläche wurde gewissermaßen unbeabsichtigt vor etwa fünf Jahren entdeckt, als die Forscher der Bell-Labors eine neue Methode suchten, um Staub von den Silizium-Wafern zu entfernen, die zur Produktion von integrierten Schaltkreisen benutzt werden. Beim alten Verfahren, das aus den 60er Jahren stammte, wurden die Silizium-Wafer unter anderem in basischen Peroxid-Bädern gewaschen. Doch die heutigen, viel kleineren Schaltkreise entwickeln eine Rauhigkeit auf atomarer Ebene, die chemisch hervorgerufen wird und die Leistung des Transistors bedeutend beeinträchtigt.
Als die Forscher den Säuregrad und die Zusammensetzung der chemischen Lösung veränderten, entdeckten sie, daß sie auf der Siliziumoberfläche kleine Gebiete erzeugen konnten, die vollständig flach waren – sogar auf atomarer Ebene. Ja, von 30 000 Oberflächenatomen ragte nur ein einziges hervor.
Diese Perfektion ist aber nur bei einem einzigen Typ von Siliziumoberfläche – dem Silizium (111) – reproduzierbar . Es unterscheidet sich von Silizium (100), das für integrierte Schaltkreise benutzt wird. Somit, bemerkt Hines, besteht das Forschungsziel darin, chemische Lösungen zu finden, die Perfektion auf unterschiedlichen Oberflächen erzeugen. Hierzu muß man ihrer Meinung nach verstehen, wie die verwendeten Chemikalien – eine Flußsäure-haltige Lösung – vorstehende Atome wegätzt. "Zu diesem Zeitpunkt wissen wir bereits, was vor sich geht", sagt sie. "Als nächstes müssen wir die Chemie verändern, um die Reaktionen zu kontrollieren. Ich bin völlig davon überzeugt, daß dies möglich ist."
Die beste Oberfläche, die Hines und ihre Kollegen bisher erreicht haben, sieht durch das Tunnelelektronenmikroskop aus wie eine Folge von Stufen, wobei jede Stufe nur so hoch wie ein einziges Atom ist. Die Stufen sind das Ergebnis von minimalen Fehlern beim Zuschneiden der Silizium-Wafer.
Ein anderes interessantes Beispiel für Oberflächenchemie ist die Produktion von gleichseitigen Dreiecken. In diesem Fall scheinen die Chemikalien sich in kleine Fehler auf der Siliziumoberfläche einzugraben – jeder besteht aus nur ein paar Atomen –, um die Fehlerstellen sodann zu Dreiecken von 1000 Atomen Kantenlänge aufzuweiten. Die Grundfläche eines jeden Dreiecks ist absolut flach. "Das hat uns sehr lange stutzig gemacht", erklärt Hines. "Dann zeigte sich, daß es im Kristall einen atomaren Defekt gab, der sehr reaktiv war. Beim Glätten wird die Atomstruktur dann dreieckig."
Hines ist von den chemischen Reaktionen, die sowohl die glatten Oberflächen als auch die Dreiecke erzeugen, tief beeindruckt. In beiden Fällen polieren die Chemikalien in einer sehr präzisen Art und Weise Oberflächenatome weg – und zwar jeweils nur ein Atom. Diesen Prozeß nennt sie "Unzipping", denn die benachbarten Atome werden ähnlich wie bei einem Reißverschluß (engl.: zipper) nacheinander abgetrennt und wegpoliert. Das ist der Reaktionstyp, den Hines bei ihrer Suche nach perfekten Oberflächen kontrollieren will.
Die Technik hat viele Anwendungsmöglichkeiten, fügt die Wissenschaftlerin hinzu. Zusätzlich zur Technologie der integrierten Schaltkreise wäre die Chemie bei der Herstellung kleiner Bauteile auf Mikroebene nutzbringend. Diese chemischen Anwendungen, so Hines, könnten nicht nur zur Bildung von Mustern in Werkstoffen genutzt werden, sondern auch zur Auftragung dünner Filme.
"Das Schöne an der Chemie ist, daß das alles automatisch geschieht", sagt sie. "Man muß also keine Maschine bauen, die nur je ein Atom entfernt. Das hat die Chemie gewissermaßen eingebaut".
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