Universum: Forscher streiten um erstes Licht im Kosmos
Schon kurz nach dem Urknall verdunkelte sich das Universum: Das Wasserstoffgas, das den jungen Kosmos ausfüllte, ließ das Licht der ersten Sterne und Galaxien nicht hindurch. Über Hunderte von Millionen Jahren hinweg blieben ganze Galaxien voller Sterne – und sogar extrem helle Leuchtfeuer, wie sie supermassereiche Schwarze Löcher erzeugen – aus der Ferne unsichtbar. Doch schließlich, als hochenergetisches ultraviolettes Licht die Wasserstoffatome in Elektronen und Protonen aufbrach, löste sich dieser kosmische Nebel auf. Die Frage, wie diese »Reionisierung« ablief – welche Himmelsobjekte den Prozess antrieben und wie viele von ihnen dazu nötig waren –, beschäftigt die Astronomen seit Jahrzehnten.
Inzwischen haben Wissenschaftler mit Hilfe gleich mehrerer Untersuchungen einen tieferen Blick in den jungen Kosmos geworfen als jemals zuvor. Dabei nutzten sie Galaxien und Dunkle Materie als gewaltige kosmische Linse, um einen Blick auf die frühesten Galaxien im Universum zu werfen und herauszufinden, wie diese Galaxien den kosmischen Nebel auflösen konnten. Außerdem entdeckte ein internationales Astronomenteam Dutzende von supermassereichen Schwarzen Löchern – jedes davon enthält mehrere Millionen Sonnenmassen –, die den jungen Kosmos erhellten. Und ein weiteres Team fand Hinweise darauf, dass solche supermassereichen Schwarzen Löcher bereits mehrere hundert Millionen Jahre früher existierten als bislang angenommen. Wie diese Entdeckungen zeigen, haben supermassereiche Schwarze Löcher erheblich zur Reionisierung beigetragen – und werfen zugleich die Frage auf, wie diese Objekte so früh in der kosmischen Geschichte entstehen konnten.
In den ersten Jahren nach dem Urknall war das Universum noch so heiß, dass sich keine Atome bilden konnten. Protonen und Elektronen sausten unabhängig voneinander umher und streuten jedes Licht. Erst nach 380 000 Jahren sank die Temperatur so weit ab, dass sich Elektronen und Protonen zu Wasserstoffatomen verbanden. Und aus diesem Wasserstoffgas entstanden dann im Verlauf von einigen hundert Millionen Jahren die ersten Sterne und Galaxien. Das Sternenlicht jener Galaxien war intensiv und energiereich, ein großer Teil der Strahlung fiel in den ultravioletten Teil des Spektrums. Das Licht breitete sich im Kosmos aus, stieß auf das Wasserstoffgas und reionisierte die Atome, spaltete sie also erneut in Protonen und Elektronen auf. Und damit verschwand zugleich die ultraviolette Strahlung der Sterne.
Galaxienhaufen als Gravitationslinse
Um die ersten Sterne aufzuspüren, müssen die Astronomen daher nach deren nicht ultravioletten Strahlung suchen. Doch diese Strahlung ist schwach und ohne Hilfe kaum auszumachen. Rachael Livermore, Astrophysikerin an der University of Texas in Austin, und ihr Team fanden eine solche Hilfe: eine gewaltige Gravitationslinse. Dabei handelt es sich um einen Galaxienhaufen, dessen Gravitation – nicht nur die der sichtbaren, sondern auch die der unsichtbaren Dunklen Materie – den Raum krümmt und so die Strahlung weit dahinterliegender Objekte fokussiert und verstärkt. Mit dieser Unterstützung gelang es Livermore und ihren Kollegen, auf Aufnahmen des Weltraumteleskops Hubble extrem leuchtschwache Galaxien in Entfernungen aufzuspüren, die einem Weltalter von nur 600 Millionen Jahren entsprechen – also mitten in der Epoche der Reionisierung liegen.
Addiere man diese Galaxien zu den bereits bekannten, schreiben Livermore und Kollegen in einer jüngst im Fachblatt »Astrophysical Journal« erschienenen Veröffentlichung, dann sollte die ultraviolette Strahlung aller Sterne zusammen ausreichen, um das Universum zu reionisieren. Die Berechnungen haben allerdings eine Schwachstelle: Die Forscher müssen abschätzen, wie viel der ultravioletten Strahlung der Sterne aus ihrer jeweiligen Galaxie – in der es ebenfalls viel Wasserstoffgas gibt, das Licht blockiert – entkommen und weit genug in den Kosmos vordringen kann, um für eine großräumige Reionisierung zu sorgen. Und diese Abschätzung ist höchst unsicher, wie Livermore eingesteht.
So verwundert es nicht, dass nicht alle Forscher den Ergebnissen des Teams um Livermore glauben. Rychard Bouwens etwa, Astrophysiker an der Universität Leiden in den Niederlanden, behauptet in einer ebenfalls an das »Astrophysical Journal« eingesandten Veröffentlichung, Livermore habe die Strahlung des als Gravitationslinse wirkenden Galaxienhaufens nicht korrekt berücksichtigt. Deshalb seien die weit entfernten Galaxien leuchtschwächer als von Livermore und ihrem Team behauptet, und die Strahlung der Sterne dieser Galaxien reiche eben doch nicht aus, um das Universum zu reionisieren.
Können Quasare den Kosmos reionisieren?
Wenn Sterne also diese Aufgabe nicht meisterten, wie sieht es dann mit supermassereichen Schwarzen Löchern aus? Bis zu mehrere Milliarden Sonnenmassen können die gewaltigen Objekte enthalten. Sie ziehen Materie aus ihrer Umgebung an, heizen sie auf, und die aufgeheizte Materie sendet Strahlung aus. So werden die Schwarzen Löcher zu Quasaren, extrem leuchtkräftigen Objekten, die mehr ionisierende Strahlung ausstoßen als Sterne und daher – zumindest theoretisch – für die Reionisierung des Kosmos verantwortlich sein könnten.
Doch dazu muss es genügend viele Quasare im jungen Universum geben. In einer im April 2017 auf dem wissenschaftlichen Dokumentenserver »arXiv« veröffentlichten Bericht meldet ein internationales Forscherteam die Entdeckung von 33 Quasaren mit dem Subaru-Teleskop. Die Objekte besitzen danach nur etwa ein Zehntel der typischen Helligkeit früher aufgespürter Quasare. Wie Teammitglied Michael Strauss, Astrophysiker an der Princeton University in den USA, erläutert, sollte es mit derart leuchtschwachen Quasaren möglich sein, die von supermassereichen Schwarzen Löchern erzeugte ultraviolette Strahlung zu berechnen. Die Forscher sind noch dabei, diese Analyse durchzuführen, und hoffen, in den kommenden Monaten Ergebnisse veröffentlichen zu können.
Der älteste dieser Quasare existierte bereits eine Milliarde Jahre nach dem Urknall – das scheint also etwa die Zeit zu sein, die nötig ist, um ein normales Schwarzes Loch durch die Aufnahme von Materie zu einem supermassereichen Schwarzen Loch anwachsen zu lassen. Deshalb ist eine andere jüngst gemeldete Entdeckung so rätselhaft. Ein von Richard Ellis, Astronom an der Europäischen Südsternwarte ESO, geleitetes Team beobachtete eine helle Galaxie, in der viele neue Sterne entstehen, gerade einmal 600 Millionen Jahre nach dem Urknall. Das Spektrum der Galaxie liefert Hinweise auf ionisierten Stickstoff. Um Stickstoff zu ionisieren, ist aber mehr hochenergetische ultraviolette Strahlung nötig, als sie von Sternen abgestrahlt wird. Folglich muss es, so argumentiert Ellis, eine weitere starke Quelle ionisierender Strahlung geben – möglicherweise ein supermassereiches Schwarzes Loch.
Aufregende Entdeckung
Ein einziges supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum einer jungen Galaxie könnte eine Ausnahme sein. Die Entdeckung bedeutet nicht automatisch, dass es zu jener Zeit genügend derartige Objekte gab, um das Universum zu reionisieren. Deshalb begann Ellis damit, weitere Galaxien zu untersuchen. Und sein Team ist möglicherweise auch bei anderen großen Galaxien im jungen Kosmos auf Hinweise für die Existenz supermassereicher Schwarzer Löcher gestoßen. Eine genaue Untersuchung dieser Objekte könnte daher die Frage beantworten, was die Reionisierung des Universums angetrieben hat – und wie supermassereiche Schwarze Löcher überhaupt entstanden sind. »Das ist eine aufregende Möglichkeit«, sagt Ellis.
So scheinen all diese neuen Studien auf eine relativ einfache Erklärung für die Reionisierung des Universums hinauszulaufen. Die erste Generation junger, heißer Sterne leitete demnach den Prozess ein und trieb ihn über mehrere hundert Millionen Jahre hinweg an. Nach und nach begannen diese Sterne zu vergehen, und die neuen Sterne, die sie ersetzten, waren nicht ganz so hell und heiß. Inzwischen hatten die supermassereichen Schwarzen Löcher jedoch ausreichend Zeit anzuwachsen und die Führungsrolle bei der Reionisierung zu übernehmen. Forscher wie Steven Finkelstein, Astrophysiker an der University of Texas in Austin, untersuchen derzeit mit den neuesten Beobachtungsdaten die Einzelheiten dieses Szenarios. Beispielsweise gehen sie der Frage nach, welchen Anteil Sterne und Schwarze Löcher zu unterschiedlichen Zeiten an dem Prozess hatten.
Mit dem für das Jahr 2018 anstehenden Start des James Webb Space Telescope, des Nachfolgers des Weltraumteleskops Hubble, werden diese Forschungen noch einmal gewaltigen Auftrieb bekommen. Denn das James Webb Space Telescope wurde maßgeblich für die Aufgabe entworfen, die ersten Objekte im jungen Kosmos aufzuspüren. Und die Entdeckung dieser Objekte wird dann sicherlich wieder ein ganzes Bündel neuer Fragen aufwerfen.
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